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Kunst

Von der Strasse ins Museum: Wie ein Obdachloser in New York mit Schweizer Hilfe zum gefeierten Künstler wurde

Armando Alleyne lebte fast zehn Jahre auf der Strasse. Dann entdeckte ihn eine Schweizer Verlegerin und brachte seine erste Monografie heraus. Wir haben ihn in seinem Studio in New York besucht.
Er malt Bilder, an denen man sich entlang hören möchte: Armando Alleyne.
Bild: Bild: Sedon Pepper

Jetzt, mit Anfang 60, hat Armando Alleyne in Brooklyn ein Zimmer für sich allein. Es ist ein Studio, in dem er lebt, malt und betet. Am Radio läuft 88,3 FM, ein Jazz-Sender. Zur Musik malt der Künstler seine Bilder, er nennt sie Jazz-Porträts. Aretha Franklin, Thelonious Monk, Nina Simone, Miles Davis. Finger auf Tasten, vervielfachte Saxofone in allen Richtungen, Schlagzeuge. Man sieht den Rhythmus, am liebsten würde man sich diesen Bildern entlang hören. Die Gesichter der Musiker sind ernst im Ausdruck, heiter in den Farben. So fühle er sich, «ernst und heiter», sagt Armando Alleyne, im Grunde sei er sehr ernst, sogar wenn er Witze mache.

Wir sitzen am kleinen Küchentisch, trinken Kaffee und reden. Immer wieder springt Armando Alleyne auf, um ein Bild aus einem Stapel hervorzuholen. Seine sterbende Schwester Maria, sein Vater, ein männlicher Akt. Das Triptychon von George Floyd bereitet er auf dem Bett aus; die Worte «I can’t breathe» umkreisen dessen Kopf. Armando Alleyne ist auch ein politischer Künstler. Er hat immer gemalt; seine Familie, seine Umgebung, das Zeitgeschehen. Wenn er kein Geld für Farbe hatte, schnitt er Papier aus Magazinen aus und gestaltete Collagen.

Als die Aids-Krise kam, verlor er einen grossen Teil seiner Freunde

Aufgewachsen ist Armando Alleyne mit neun Geschwistern in einer Sozialwohnung an der Lower East Side in Manhattan, vier Brüder teilten ein Zimmer. Heute teilt er sein Studio grosszügig mit seinen Ahnen, dem Gott Olodumare und der heiligen Maria: Fünf verschiedene Altäre hat er bei sich eingerichtet. Mit Fotos verstorbener Familienangehöriger, Idolen, Heiligen und Gottheiten; mit Kreuzen, Kerzen, Blumen, Opfergaben und Figuren, etwa einer schwarzen Maria. Die katholischen Einflüsse seiner puerto-ricanischen Mutter und die afrikanischen Wurzeln seines im karibischen Barbados geborenen Vaters kommen hier zusammen.

In den 1980er-Jahren arbeitete Armando Alleyne kurze Zeit als Lehrer am City College in New York, wo er zuvor in Kunst und Pädagogik abgeschlossen hatte. Als die Aids-Krise kam, verlor er einen grossen Teil seiner Freunde und später seine ihm nahe Schwester Maria. «I was deeply, deeply, deeply depressed.» Er konnte nicht mehr unterrichten. Er konnte keine Miete mehr bezahlen und wurde schliesslich obdachlos. Er sollte es neun Jahre lang bleiben.

In den Obdachlosenunterkünften ging es ihm immer schlechter; Armando Alleyne ertrug das Essen nicht, musste sich ständig erbrechen. Doch irgendwann entdeckte er ein etwas besseres Heim und siedelte um. Er ging von Arzt zu Arzt, bis ihm einer helfen konnte. Während all der Zeit malte er weiter. Doch wohin mit den Bildern? Er steckte sie unter seine Matratze, doch das verbot man ihm – «ein Brandrisiko», hiess es im Heim. Er steckte sie in seinen Spind – «Brandrisiko». Vieles verschwand, wurde gestohlen oder weggeworfen. Zuletzt half ihm ein Heimarbeiter zu einer Invalidenrente aufgrund seiner Depression. Er fand heraus aus dem Heimzyklus.

Auf dem Treppenabsatz in Brooklyn kam er mit einer Herausgeberin ins Gespräch

Dass er auch hinein in die Kunstwelt fand, liegt unter anderem an der Schweizerin Stephanie Rebonati. Sie ist die Mitherausgeberin von Armandos erster Monografie «A Few of My Favorites» in der Edition Patrick Frey. «Wir haben Armando nicht gefunden, er war schon da», betont sie. Als erstes sei der Sänger Sedon Pepper 2015 in einem Secondhandladen auf Armandos Bilder gestossen. Er wollte mehr über den Künstler wissen und hinterliess seine Telefonnummer im Laden. Ein Jahr später bekam er einen Anruf von Armando. Kurz darauf kam er auf einem Treppenabsatz in Brooklyn mit Stephanie Rebonati darüber ins Gespräch.

Den ständigen Drang zu malen.
Bild: Patrick Frey Edition

Die Autorin und Kunstbuch-Herausgeberin hat sich zwei Jahre Zeit genommen, Armando Alleyne kennen zu lernen. «Er ist der wahrste Künstler, den ich kenne», sagt sie, «er hat diesen ständigen Drang zu malen und einen ganz eigenen Stil». Zusammen mit einer Co-Herausgeberin, dem Künstler und einem jungen Grafikteam aus Brooklyn wurde jedes Detail des Buches gemeinsam entwickelt, von der Farbe des Papiers über den besonderen Aufbau –­ Bilder vor Text. 2021 ist die Monografie vom Bundesamt für Kultur zu einem der «schönsten Schweizer Bücher» des Jahres gekürt worden. «Es gibt mir ein warmes Gefühl, dass es dieses Buch gibt», sagt Stephanie Rebonati, «etwas, das uns alle überdauern wird».

Allmählich gewinnt Armando Alleyne auch in New York an Bekanntheit. Die zweite Ausstellung in der Galerie Carracci Art im Finanzdistrikt hat kürzlich mit vielen Verkäufen geendet, es folgte eine Buchpräsentation auf dem Schweizer Konsulat im Mai. Wenn man Armando Alleynes Biografie kennt und seine Bilder sieht, wird deutlich: Hier ist ein grosser Künstler durch schwierige soziale Umstände lange klein gehalten worden. Jetzt bekommt er allmählich Raum.

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