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Schweizer Rock Pioniere

Revival von Krokodil ohne Walty Anselmo. Der erste Rockmusiker der Schweiz
tritt in die zweite Reihe zurück. Eine Ära geht zu Ende.

Die legendäre Schweizer Band ist zurück in neuer Formation und mit neuem Album. Doch Gitarrist und Sänger Walty Anselmo, ist aus gesundheitlichen Gründen nur noch als Gast dabei.

Der erste Schweizer Rockmusiker Walty Anselmo hat Parkinson und muss kürzer treten.
Bild: Alex Spichale / MAN

Krokodil 2021: Erich Strebel, Terry Stevens, Düde Dürst und Adrian Weyermann. 
Bild: Archiv Dürst

Die Pionierrolle von Krokodil in der Schweizer Musikgeschichte, in der Entwicklung von Rock und Pop, kann nicht überschätzt werden. Die Zürcher Band, Anfang 1969 offiziell gegründet von Düde Dürst, Walty Anselmo, Hardy Hepp, Terry Stevens und Mojo Weideli, war nicht nur eine Schweizer Rockband der ersten Stunde, sie war auch die erste Schweizer Supergroup mit internationaler Ausstrahlung. Ausgestattet mit einem weltweiten Deal beim US-Label Liberty, bei dem Weltstars wie Ike & Tina Turner, Canned Heat und Cher unter Vertrag standen.

Krokodil 1970: Hardy Hepp, Walty Anselmo, Mojo Weideli, Düde Dürst und Terry Stevens.
Bild: Eric Bachmann Fotoarchiv

Vor allem musikalisch hatte das Krokodil neue Wege beschritten. Noch in der Beat-Ära eiferten Schweizer Bands ihren internationalen Idolen nach und wollten möglichst klingen wie sie. Nicht so Krokodil: «Wir wollten unser eigenes Material spielen», sagt Düde Dürst. Krokodil waren ein progressives, psychedelisches und unbedingt unkommerzielles Rock-Ungetüm, bei dem «alles, wirklich alles möglich war».

Düde Dürst: «Drogen waren der Killer»

Dabei waren Krokodil keine typische Prog-Rock-Band. Sie war zwar progressiv, aber auch psychedelisch und bluesig. Die Blues Harp von Mojo Weideli prägte den Reptilien-Sound. Krokodil waren einzigartig und mehr als die meisten anderen Prog-Bands amerikanisch ausgerichtet. Die Improvisation war ein wesentliches Element, und die Song-Strukturen waren offen, nicht so starr wie bei den meisten anderen progressiven Bands. Die Songs liessen Spielraum für Spontaneität und Interaktion, vor allem live.

Mangels Auftrittsmöglichkeiten in der Schweiz konzentrierte sich die Band aber auf den deutschen Markt. Ob als «Einheizer» für Top Acts wie Pink ­Floyd und Uriah Heep oder an grossen Festivals. In Deutschland waren Krokodil allgegenwärtig und spielten meist in Hallen von gegen 6000 Zuschauern. Oft im Paket mit den deutschen Labelkollegen, den Kraut-Rockern Can und Amon Düül II. Krokodil waren eine gefragte Live-Attraktion, und vor allem Walty Anselmo hinterliess bleibende Eindrücke als psychedelischer Zeremonienmeister an Gitarre und Sitar. Das «Hamburger Abendblatt» schrieb: «Anselmo ist zweifellos einer der interessantesten Musiker der deutschen Szene, mit einer Einschränkung: Er ist Schweizer.»

Dann, nach sechs intensiven Jahren, war der Ofen aus. Die vier verbliebenen Musiker waren müde von den Unwägbarkeiten der jungen Rockszene, ausgenützt und ausgebeutet von der Musikindustrie. Den Rest besorgten die Drogen. «Wir waren ausgelaugt und ausgebrannt», sagt Dürst, «Drogen waren der Killer.»

Mit dem Ausscheiden von Walty Anselmo geht eine Ära zu Ende

Walty Anselmo mit Sitar. 1970 (Photo by Hügin/RDB/ullstein bild via Getty Images)
Bild: Ullstein Bild Dtl. / ullstein bild

Jetzt, 50 Jahre danach, kommt es zum Comeback. Ein Comeback mit Verzögerung, der Startschuss fiel eigentlich schon vor einem Jahr mit der Neu-Interpretation des Kultalbums «An Invisible World Revealed» von 1971, eines Meilensteins der Schweizer Rockgeschichte. Doch dann kam Corona, und das geplante Konzert-Revival musste abgesagt werden.

Diesmal, am 10. September in der Alten Kaserne Zürich, sollte es klappen. Im Gepäck hat die Band das nigelnagelneue Album «Another Time». Ein Corona-Produkt, denn erst die konzertfreie Zeit hat das Album ermöglicht. Die Freude über das neue Song-Material wird durch die Absenz des 75-jährigen Walty Anselmo getrübt. Der erste Schweizer Rockmusiker leidet seit einigen Jahren unter Parkinson. Bei der Neuaufnahme von «World Revealed» war er noch dabei und guten Mutes. «Einen Slow Blues bekomme ich noch hin», sagte er im März. Inzwischen beeinträchtigt die Krankheit sein Gitarrenspiel zu sehr, weshalb ein festes Engagement in der Band nicht mehr möglich ist. «Doch das Krokodil-Blut fliesst immer noch in seinen Adern. Walty ist und bleibt ein Teil von Krokodil», sagt Dürst. Wann immer es seine Gesundheit erlaubt, wird er als Special Guest bei den Konzerten dabei sein. Mit dem Ausscheiden von Anselmo geht eine Ära zu Ende. Der Pionier hat vor allem in den 60er- und 70er-Jahren das Musikgeschehen in der Schweiz massgeblich geprägt.

Das neue Krokodil hat also ein neues Gesicht. Von der Ur-Formation sind nur noch Schlagzeuger Düde Dürst (75) und Bassist Terry Stevens (76) dabei. Dürst war nach Krokodil immer aktiv, zuletzt beim Comeback von Les Sauterelles. Terry Stevens dagegen hat nach dem Ende von Krokodil als Musiker nicht wirklich Tritt gefasst. «Dr Ängländer» arbeitete aber bis zu seiner Pensionierung als Tonmeister im Opernhaus Zürich. Sängerlegende Hardy Hepp (77), der heute in Wallenwil TG als Kunstmaler arbeitet, wird wie Anselmo bei Konzerten in der Schweiz als Sänger dazustossen. Mojo Weideli ist 2006 an Herzversagen gestorben.

Anselmo ist begeistert von seinem Nachfolger

Neu dabei sind Keyboarder Erich Strebel und Gitarrist und Sänger Adrian Weyermann. Der gebürtige Freiämter Strebel kennt Dürst von Jo Geilo & the Heartbreakers und «Back to the ­Groove», spielte bei Familie Trüeb, Michael von der Heide und ist vor 15 Jahren in Theaterprojekte gerutscht, als musikalischer Leiter und Arrangeur, vor allem für Erich Vock und Marco Rima. Der 50-Jährige ist ein geschmackvoller Keyboarder, der dem Krokodil eine neue Note gibt, sich gleichzeitig mit viel Musikalität und Gespür in den Kosmos von Psychedelia einfügt.

Adrian Weyermann (49) ist wie Dürst ein Niederdörfler. Der ehe­ma­lige Frontmann von Crank und The Weyers ist aber nicht nur der Wunschgitarrist von Dürst, sondern auch von Anselmo. «Wir verstehen uns menschlich und musikalisch prächtig», sagt Weyermann, und Anselmo ist begeistert von der Arbeit seines Nachfolgers.

Trotz neuer Formation und neuer Instrumentierung gelingt es dem neuen Krokodil, ans alte Krokodil anzuknüpfen. Noch immer ist alles möglich, noch immer gibt es den Freiraum, Breaks und Rhythmuswechsel. Die Stücke können schon mal bis acht Minuten lang sein, der Sound ist psychedelisch. Aber die Pionierzeit ist natürlich längst verflogen, «Another Time». Aber auch das neue Krokodil setzt auf die Kraft des Kollektivs. Oft gibt Dürst das rhythmische Grundgerüst vor, Weyermann fügt eine Idee dazu, das Stück wird aber zusammen in der Band erarbeitet. Jeder gibt sich in den kreativen Prozess ein. Krokodil-Groove.

So ist zwar Adrian Weyermann der erste und beste Sänger der Band, doch auch Strebel, Stevens und Anselmo haben ihre Parts als Leadsänger. Der Song «Shadow Blues» hat Weyermann dem Sänger Anselmo auf den Leib geschrieben. Umwerfend! Unnachahmlich hinter dem Beat singt Terry Stevens auf «Better Slow Down». Eine Kiffer-Hymne für das ewige Lächeln. Zum Schmunzeln schön und ein potenzieller Hit – wenn der Song nicht acht Minuten lang wäre.

Das Krokodil ist mehr als ein Nos­talgie-Projekt aus der Gründerzeit des Schweizer Rock. Die Band ist ambitioniert, und gebucht sind Konzerte auch schon in Deutschland. Ist «Another Time» vielleicht sogar das beste Album von Krokodil? Dürst lächelt verschmitzt und meint im breitesten Züritüütsch: «Scho no mögli.»

Krokodil: Another Time. CD erscheint am 10.9., LP folgt im Nov./Dez. Live: 10.9. Alte Kaserne Zürich; 20.11. Scala Wetzikon; 27.11. Villingen-Schwenningen; 14.1.22 Grabenhalle St.Gallen.

Schweizer Rock-Pioniere Der Artikel beruht in Teilen auf Recherchen aus dem Sachbuch «Schweizer Rock- Pioniere» von Stefan Künzli, das am 12. Oktober im Zytglogge- Verlag erscheint. Jetzt vorbestellen.

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