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Bühne

Puritanismus Zürcher Art – Trajal Harrell und das Zurich Dance Ensemble sagen selbstironisch Adieu 

«Tambourines», die Abschiedsinszenierung des Hauschoreografen des Schauspielhauses Zürich, Trajal Harrell, hinterlässt die Ahnung: Er wird uns fehlen.
Szene aus dem Stück «Tambourines» von Trajal Harrell am Schauspielhaus Zürich. Mit Ondrej Vidlar, Perle Palombe, Songhay Toldon, Frances Chiaverini, New Kid, Perle Palombe, Patricia Aumüller.
Bild: Bild: Orpheas Emirzas

Was für ein Abschied! Was für ein Abschied von einem Künstler, der sein Herz auf dem Gesicht trägt und es dem Publikum verschenkt. Die letzte Arbeit von Trajal Harrell in Zürich ist ein Werk voller Wehmut. «Tambourines» des Tänzers und Choreografen und des Zurich Dance Ensemble in der Schiffbau-Box vom Publikum bewegt, von den Mitwirkenden bewegend gefeiert, ist auch die Ankündigung eines Verlusts.

Beschreiben, was in Harrells letztem Teil seiner amerikanischen Trilogie zu sehen ist? Wer an die Vorlage erinnert, den Roman «Der scharlachrote Buchstabe» von Nathaniel Hawthorne, erinnert sich an die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem unehelichen Kind (des Pfarrers) von der Dorfgesellschaft verurteilt wird, auf der Brust ein scharlachrotes «A» («Adultery» für Ehebruch) zu tragen. Doch ein Plot ist für Trajal Harrell stets Anlass, diesen hinter sich zu lassen.

Das Trajal-Harrell-Bukett am Schauspielhaus Zürich

An der Premiere seiner Abschiedsinszenierung steht er persönlich am Eingang, begrüsst ihm Bekannte mit einem Händedruck, die anderen mit einem warmen Blick. Dann fordern er, Alicia Aumüller und Ondrej Vidlar das Publikum auf, die Geschichte auf Wikipedia nachzulesen, «Lest den ersten Abschnitt», um ihn sofort wieder zu vergessen. Harrell erklärt auch die Dramaturgie des Abend als «ein Quintett in den Sätzen Unzucht, Erziehung, Feier». Seine Arbeit ist ein Dialog auf Augenhöhe, als Künstler will er verstanden werden. Auch dafür wird er geliebt, nicht nur von seinen Fans.

Szene aus «Tambourines»: Trajal Harrell und Perle Palombe
Bild: Bild: Orpheas Emirzas

Die internationale Kritik ist von seiner Arbeit immer wieder begeistert: «The New York Times» bezeichnete sein «Köln Concert» zur Musik von Keith Jarrett und Joni Mitchell als eine der besten Tanzaufführungen des vergangenen Jahres; die Jury der Swiss Dance Day nominierte sein vielleicht überzeugendstes Stück in der Schweiz, «Monkey off My Back or the Cat’s Meow». Diese Arbeiten sind in Zürich in den nächsten Wochen noch einmal zu sehen, die Spielzeit schliesst mit einem Trajal-Harrell-Festival.

Auch «Tambourines», an das Schlaginstrument erinnernd, in so vielen Kulturen wichtig, ist nicht die Nacherzählung eines Romans. Vielmehr inspirieren ihn und seine Darsteller der Geist des Buches, dessen Haltung, die Affekte und das Gefühl einer Verwandtschaft zwischen der Geschichte von damals, dem puritanischen 17. Jahrhundert in Amerika und der Situation von Frauen heute.

Hommage an die Kostümabteilung

«Unzucht» ist der Schlüssel, der den Abend eröffnet. Die Choreografie ist minimalistisch, der Bühnenraum leer und puritanisch, getanzt wird im Geist des japanischen Butoh. «Tambourines» ist ein Trajaleskes Gesamtkunstwerk, das vom Bühnenlicht genauso lebt wie von den Körpern und ihren Kostümen. Sind es hundert verschiedene, sind es mehr? Dieser Abschied versteht sich auch als grosse Hommage an die Kostümabteilung des Hauses, der Harrell viel zu verdanken hat, wie er stets beteuert.

Sene aus «Tambourinse:» Die «Erzieherin» (Patricia Aumüller) und ihre Novizinnen.
Bild: Bild: Orpheas Emirzas

Allerdings, hier sind die Kleider ihrer ursprünglichen Funktionen enthoben, ein Rock kann eine Hose sein, eine Hose ein Turban. Ein Turban ein Rock. In einer ähnlichen Vielheit, dieses Mal mit einer grossen Portion Humor, verhalten sich auch die Bühnenpersönlichkeiten. Wenn die «Erzieherin» Alicia Aumüller, das magisches Zentrum an Präsenz, ihren Schützlingen das Beten und die Selbstkasteiung vorexerziert, ist es durchaus erlaubt, dass eine der Novizinnen göttlich wegdämmert. So viel Leichtigkeit war selten bei Trajal Harell. Sie steht im Gegensatz zum Abschiedsweh auf unserer Seite der Bühne.

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