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Lucerne Festival

Musik-Comedy mit Rachmaninow: «In jeder Musik hat es viel Schalk»

Das Klassik-Comedy-Duo Igudesman & Joo zerstäubt Konventionen mit riesigem Erfolg. An ihrer Rachmaninow-Premiere am Lucerne Festival gehört Starpianistin Yuja Wang zu den Überraschungen.

Das Klassik-Comedy-Duo von Aleksey Igudesman (rechts)  und Hyung-ki Joo (links) mit Special Guest Yuja Wang.
Bild: Bild: Julia Wesely

Ihr Duo «Igudesman & Joo» bringt, genau zum 150. Geburtstag des Komponisten am 1. April, ein Rachmaninow-Programm an das Lucerne Festival. Wie kam es dazu?

Aleksey Igudesman: Ich habe über Rachmaninow einen Dokumentarfilm gedreht. Er nennt sich «Breaking Rachmaninoff» und er wird um den ersten April herum in der Schweiz, Deutschland und in Österreich ausgestrahlt. Dafür wurde auch in Luzern gefilmt, wo er in seiner Villa bei Hertenstein zeitweise seine Heimat hatte. So war es eigentlich naheliegend, die Premiere unseres neuen Programms «Happy Birthday, Sergei Rachmaninoff!» in Luzern zu machen. Zum Glück war das Lucerne Festival sofort dabei.

Rachmaninoff begleitet Sie schon lange, seit seine Pianistenpranken Sie zu einem berühmten Sketch inspiriert haben.

«Rachmaninoff had big hands» (lacht). Da spielen wir mit seinen physischen Attributen. Er war ja ein zwei Meter grosser Riese und ebenso gigantisch waren eben seine Hände. Es gibt bei ihm Akkorde, die sind für uns nicht spielbar, nur versetzt. Wir haben dafür mit der Hilfe von Steinway extra Holzstücke gebastelt. Nur so kann man diese weiten Tonabstände erreichen. Das Video davon war lange Zeit die Nummer 1, wenn man auf Youtube nach Rachmaninow suchte.

Für die Premiere Ihres Programms «Happy Birthday, Sergei Rachmaninoff!» in Luzern haben sie die Starpianistin Yuja Wang eingeladen. Sie wird dann wohl für diese Akkorde zuständig sein?

Der Geiger Aleksey Igudesman.
Bild: Bild: Julia Wesely (12. 7.  2020)

Sie ist zwar genau das Gegenteil von «grossen Händen». Yuja ist aber eine der virtuosesten Pianistinnen. Sie spielt unglaublich schnell. Man hört gar nicht, dass sie die Töne nicht gleichzeitig anschlägt. Ein unglaubliches Energiebündel und eine gute Freundin von uns.

Der ernste Rachmaninow und Ihre Konzerte, wo es viel zu lachen gibt – ist das nicht eine Faust aufs Auge?

Rachmaninow war sicher nicht bekannt dafür, humorvoll durchs Leben zu gehen. Auch auf den Fotos schaut er immer sehr ernst. Doch in seinen Kompositionen, zum Beispiel in den Paganini-Variationen, hat es viel Schalk. Überhaupt findet man in jeder Musik – bis hin zu den tragischsten Opern – viel Humor. Ich möchte noch betonen: Wir machen nicht Comedy. Wir nutzen den Witz, der in der Musik schon angelegt ist, und kitzeln ihn heraus.

Konzert und witzig – die beiden Ausdrücke wirken aber selbst heute noch fremd im Klassikbetrieb.

Eigentlich unverständlich. Wir öffnen seit 20 Jahren die klassische Musik, führen sie in neue, überraschende Verbindungen. Und wir trafen und treffen eigentlich immer auf ein offenes, meist begeistertes Publikum.

Die meisten Veranstalter wagen aber selten Neues?

Viele Intendanten unterschätzen ihr Publikum. Was es mag. Seine Offenheit. Da ist eine grosse Angst vor dem Neuen. Sie setzen lieber auf das Etablierte. Sicherheit ist wichtiger, als neues Publikum in den Saal zu bringen. Alles schreit, unser Publikum wird älter! Und dann macht man nichts. Das Lucerne Festival ist da eine Ausnahme. Michael Haefliger ist sehr offen für Experimente. Schliesslich laden sie uns schon zum zweiten Mal ein (schmunzelt).

Das Duo Igudesman und Joo im Konzertsaal des KKL bei ihrem Auftritt am Lucerne Festival zum Thema «Humor» (2015)
Bild: Bild: Patrick Hürlimann/Lucerne Festival

Aber denken Sie wirklich, dass ältere Konzertbesucher bereit sind für diese neuen Formate?

Man kann immer ein paar Zuschauer verlieren. Aber die alten Konzertformate sind nicht mehr safe. Ein Konzert muss auch Spass machen! Bei uns ist das Publikum meist deutlich jünger und auch durchmischter. Wir machen am Schluss des Konzertes oft Fotos, zusammen mit einer ganzen Familie, von der Grossmutter bis zu den Enkelkindern. Das sollte nicht die Ausnahme sein, sondern die Regel.

Sie fühlen sich auch nach 20 Jahren noch wie Pioniere in diesem Feld?

Manchmal schon (lacht). Neu ist unsere Art allerdings nur bedingt. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Konzerte früher viel wilder waren. Paganini oder Liszt haben oft einzelne Sätze von Sinfonien gespielt und dazwischen trat zum Beispiel ein Sänger mit einer Geige auf. Oder die Uraufführung von Beethovens Violinkonzert im Dezember 1806: Da spielte der Geiger Franz Clement nach dem ersten Satz eine spontane, improvisierte Kadenz, für die er die Geige nach unten drehte! Er hatte Angst, dass ihm das Publikum sonst einschläft. Gelungene Sätze wurden regelmässige rausgeklatscht. Erst Mahler begann, in den Konzertsälen «aufzuräumen». Diese Frische des 19. Jahrhunderts muss wieder kommen. Jedes Konzert sollte voller Überraschungen sein.

Aber bringen die heutigen Künstler und Künstlerinnen diese Kreativität auch mit?

Gewisse muss man sicher eher pushen. Aber jeder Künstler sollte nicht nur Freiheiten haben. Er muss vom Veranstalter auch aufgefordert werden, kreativ zu sein. Und wenn es nur ist, mit dem Publikum zu sprechen. Da sind die Intendanten gefordert. Sie werden nicht dafür bezahlt, immer das Gleiche zu machen. Man kann nicht erwarten, dass das Publikum sich für immer dieselben Stücke, dieselben Formate und dieselben Künstler begeistert. Wir leiten in der Tonhalle Düsseldorf die Konzertserie «Virtuosen-Varieté». Da laden wir Talente ein, die es im klassischen Konzertbetrieb nicht immer leicht haben. Zum Beispiel einen Beat-boxenden Flötisten oder einen Musiker, der gleichzeitig tanzt. Und das Publikum kommt in Scharen.

Bei Konzerten mit Starmusikern zahlt das Publikum allerdings hohe Eintrittspreise. Da möchte man vielleicht keine Experimente.

Sie laden ja auch keinen Sternekoch ein und erwarten, dass er das immer gleiche Menü kocht. Da wollen sie auch überrascht werden. Man muss uns nur ein bisschen mehr Vertrauen geben. Und im Konzertsaal freut sich das Publikum auch am meisten über die Zugaben, über das Überraschende. Wir sollten aus den Programmen mehr Zugaben machen.

Lucerne Festival im Frühjahr

Rachmaninow-Gruss und Mendelssohn-Fest
Igudesman & Joo mit Gast Yuja Wang spielen die Weltpremiere von «Happy Birthday, Sergei Rachmaninoff!» am Samstag, 1. April, 18.30, im KKL Luzern im Rahmen des Frühjahrsfestivals von Lucerne Festival. In den weiteren Konzerten führt das Lucerne Festival Orchestra sein «Mendelssohnfest» weiter: Am Freitag, 31. März, mit Mendelssohns erster Sinfonie und Chopins zweitem Klavierkonzert (mit Rafal Blechacz), am Sonntag, 2. April, mit dem Cellokonzert von Schumann (mit Pablo Ferrández) und Mendelssohns Sinfonie «Lobgesang» (u. a. mit der Sopranistin Regula Mühlemann).
www.lucernefestival.ch

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