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Film

Martin Suter spaziert durch sein Leben

Am 75. Locarno Film Festival feierte "Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit" von André Schäfer seine Weltpremiere. Am 25. August kommt der Film, der den Autor durch seine Bücher spazieren lässt, in die Kinos.
Bild: Keystone/URS FLUEELER

In "Erica Jong - Breaking The Wall", der in Locarno nur wenige Tage zuvor ebenfalls am seine Weltpremiere gefeiert hatte, ist es eine der zentralen Fragen: Wie dreht man einen Dokumentarfilm über eine Schriftstellerin, einen Schriftsteller? Die US-Autorin Erica Jong ("Fear of Flying") wollte selber nicht glauben, dass es auch nur annähernd interessant sei, ihr beim Schreiben zuzuschauen.

Im Gegensatz zu Kaspar Kasics, der in seinem Autorinnenporträt weniger die Bücher von Erica Jong als ihre Person und ihre gesamte Lebenswelt ins Zentrum stellte, wählt André Schäfer in "Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit" einen ganz anderen Ansatz. Er vermischt Dokumentarfilm und Fiktion, indem er den Zürcher Schriftsteller an frühere Wohnadressen begleitet, auf Reisen oder an Auftritte, er lässt ihn erzählen, während er zwischendurch beinahe unmerklich aus der Realität heraus in seine eigenen Geschichten flaniert.

Auf seinen Spaziergängen taucht Martin Suter ein in Szenen aus "Die Zeit, die Zeit", "Die dunkle Seite des Mondes" oder "Lila, Lila" und beobachtet seine eigenen Figuren. Figuren, die er nach eigenen Angaben in sich selber sucht, gross macht - und nach Abschluss eines Buches wieder klein. Anhand seiner Bücher erzählt der 74-Jährige, wie er schreibt und wie jeder seiner Geschichten ein Geheimnis inne wohnt. Und ganz viel Fantasie. Denn wo, wenn nicht in Büchern, kann auch einfach mal etwas unmöglich sein, fragt er.

Wenig Neues

Suter ist aber auch in Begleitung seiner Familie zu sehen. Als Zuschauerin oder Zuschauer sieht man etwa, wie er mit Frau und Kind Einrichtungsgegenstände für ihr Traumhaus in Marrakesch sucht, wie die drei zusammen Videos von Toni, dem verstorbenen Sohn von Martin Suter und seiner Frau Margrith Nay, anschauen oder wie der Autor mit Tochter Ana plaudert.

Auch bekannte Persönlichkeiten wie Musiker Stephan Eicher, der deutsche Ex-Fussballprofi Bastian Schweinsteiger oder der deutsche Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre durchkreuzen die Szenen. Das sind unterhaltsame Begegnungen, nicht mehr und nicht weniger. Wirklich bereichernd sind vor allem die Momente, in denen Suter ganz alleine vor der Kamera steht und mit viel Selbstironie erzählt. Anekdoten aus seiner Kindheit, über seinen beruflichen Werdegang, seine Erfolge und seine Niederlagen.

Eines ist ganz sicher wahr: Viel Neues lässt sich durch "Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit" nicht über den Bestsellerautor erfahren. Doch der haargenau 90 Minuten lange Film bleibt immer kurzweilig. Er ist clever aufgebaut und mit kreativen Ideen gespickt.

Produktiver Geist

Es spielt keine Rolle, ob man Suters Bücher kennt oder nicht. Denn so fantastisch die Idee mit dem durch seine eigenen Geschichten wandelnden Autor auch ist - sie irritiert nicht. Im Gegenteil. Sie gibt dem Werk eine schöne Form und bietet ausserdem eine gute Grundlage dafür, mit Suter über sein Schreiben zu sprechen.

Im Gegensatz zu "Erica Jong - Breaking The Wall", in dem Kaspar Kasics eine rebellische, witzige, aber auch sehr nachdenkliche Feministinnenikone porträtiert, eine Knalltüte, wenn man so will, lebt André Schäfers Dokumentarfilm über Martin Suter weniger vom Drive und der Exzentrik der Hauptfigur. Im Zentrum steht ein ruhiger Mann, der mit seinen Büchern nicht wie Jong für gesellschaftliche Veränderung kämpft, sondern die pure Freude an Unterhaltung und guten Geschichten bedient. Egal, ob diese der Wahrheit nahe sind oder nicht. (sda)