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Reisetagebuch

Tournee-Blog 4: Luzerner Sinfonieorchester in der Stadt des Tangos

Das Luzerner Sinfonieorchester gibt vom 22. bis zum 28. August Konzerte in Metropolen in Südamerika. In diesem Blog erhalten Sie Einblicke in den Tourneealltag.

Buenos Aires, 30. August 2023

Wir passieren die Flussmündung am selben Ort, wo vor 60 Jahren das berühmte «Mara-Cello von Antonio Stradivari», einst vom Cellisten des Trio di Trieste gespielt, bei einem Schiffsbruch fast verloren gegangen wäre. Es grenzte an ein Wunder, dass das Instrument in einem Koffer am Flussufer im Morgengrauen gefunden wurde.

Wir setzen unsere Flussfahrt über den Rio de la Plata bei wolkenfreiem Himmel fort und betrachten die Skyline von Buenos Aires, die sich am Horizont abzeichnet. Mit seinem Stradivari betritt Steven Isserlis in bester Laune argentinischen Boden und die Stadt am Rio de la Plata, in der bei jedem Schritt im Untergrund ein Hauch von Tango mitschwingt.

Im unablässigen Rhythmus einer internationalen Tournee begeben wir uns unmittelbar nach der Ankunft ins Hotel, vorbei an den prächtigen Gebäuden aus dem Jahrhundertwechsel. Wir checken in einem Hotel ein, das in Sichtweite des Obelisken an der Avenida 9 de Julio liegt, welche die «Porteños» stolz als die Grösste Südamerikas bezeichnen.

Ein erhebender Anblick – knapp 2500 Sitz- und 500 Stehplätze fasst das Teatro Colón.
Bild: Bernhard Pompey
Zurich / Switzerland

Gegenüber befindet sich das «Teatro Colón», ein beeindruckender Bau; ja, ein Musiktempel mit mythischem Ruf, der 1857 nach dem Vorbild eines klassischen italienischen Theaters in der Zeit des argentinischen Wirtschaftsaufschwungs errichtet wurde.

Liebe steckt in jedem Detail: Die Sitznummern im Konzertsaal des das Teatro Colón.
Bild: Bernhard Pompey / Luzerner Sinfonieorchester

Das Teatro Colón, die erste Adresse für klassische Musik auf dem südamerikanischen Kontinent, hat alle Grössen der Musikwelt beherbergt. Arthur Rubinstein schwärmte in seinen Memoiren davon, Maria Callas und Enrico Caruso traten mehrfach hier auf, aber vor allem auch «unsere» Martha Argerich, die erst Tage zuvor hier brillierte. Und nun wir, das Luzerner Sinfonieorchester. Wie wird das Publikum auf unser Orchester reagieren?

Bereits während der Anspielprobe wird klar: Die Akustik des Hauses ist von absoluter Weltklasse. 
Bild: Bild: Bernhard Pompey / Luzerner Sinfonieorchester

Es ist 19:45 Uhr. Es knistert, das Publikum strömt noch immer herein – festlich gekleidete Menschen, die sich darauf freuen, unser Orchester zu hören. Der Präsident des Mozarteums Argentino betont die Bedeutung des Ereignisses auf der Kulturagenda seiner Stadt mit Pathos: «Ihr seid das einzige internationale Sinfonieorchester, das in dieser Saison im Teatro Colón auftreten wird!» Das Haus ist bis auf den letzten Platz ausverkauft, die Stimmung ist grandios. Ein Sitznachbar in der Loge teilt uns mit, dass die Erwartungen des Publikums enorm seien. Zwei ganzseitige Interviews und Berichte in den grossen «La Nacion» und «El Clarin» unterstreichen diese Bedeutung.

In der Vorhalle des Teatro Colón: Intendant, Numa Bischof-Ullmann und Chefdirigent, Michael Sanderling.
Bild: Bild: Bernhard Pompey / Luzerner Sinfonieorchester

Punkt 20 Uhr: Michael Sanderling gibt den Takt zur «Egmont Ouvertüre». Seidener Streicherklang erfüllt das Haus mit seinen knapp 2500 Sitzplätzen sowie den knapp 500 besetzen Stehplätzen.

Jeder Ton erklingt kristallklar und mit warmem Timbre. Nach zwei Zugaben nehmen wir die Nacht von Buenos Aires auf. Die Herzen aller Musikerinnen und Musiker sind erfüllt von den Schwingungen dieses einmaligen Konzertes.

Das Orchester unter Chefdirigent Michael Sanderling im Teatro Colón.
Bild: Bild: Bernhard Pompey / Luzerner Sinfonieorchester

In einem prächtigen Stadtpalais im noblen Viertel «Palermo» empfangen uns die Gastgeber zu einem privaten Empfang. In diesem Haus speisten bereits Pablo Casals, Mstislav Rostropovitch und Birgit Nilsson. Hier schliesst sich ein Kreis: Inmitten der erzählten Anekdoten enthüllt uns der Gastgeber, dass das bereits erwähnte «Mara Cello» ein Jahr lang in diesem Apartment zum Trocknen auf dem Boden ausgebreitet war.

Das Mara-Cello von Antonio Stradivari – zum Trocknen ausgelegt.
Bild: Bild: Privat-Archiv

Der Abend endet mit einem wunderbaren Kommentar des Präsidenten: «Wir erwarten Ihr Orchester so bald wie möglich wieder in Buenos Aires.»

Am nächsten Morgen werfen wir gespannt einen Blick in die Zeitung. Der Kritiker der «La Nacion» verleiht dem Luzerner Sinfonieorchester eine hymnische Note: «Mucho tiempo hace también que no se oye una orquesta como la de Lucerna, pasmosa en cada sección -en cada fila, se diría- y con una cuerda de esas que, como diría William Blake, es tarea de siglos.»

(«Es ist schon lange her, dass man ein Orchester wie das Luzerner gehört hat, verblüffend in jeder Sektion - in jeder Reihe, könnte man sagen - und mit Streichern von denen, die, wie William Blake sagen würde, eine Aufgabe von Jahrhunderten ist.»)

Was für ein wundervoller Tourneeabschluss. Gleich morgen geht es wieder zurück. Beseelt und in bester Erinnerung werden wir Buenos Aires verlassen.

Das Luzerner Sinfonieorchester

Montevideo, 28. August 2023

Uruguay, einst als das «Schweiz Südamerikas» bezeichnet, trägt mit Stolz sein «Teatro Solís» – heute ein Denkmal von hoher nationaler Bedeutung. Der Name des Theaters ehrt Juan Pedro Díaz de Solís, den ersten europäischen Entdecker, der angeblich die Gewässer des Rio de la Plata durchsegelte.

Am 25. August 1856 wurde das Theater eröffnet, genau im selben Jahr, als Robert Schumann verstarb. Diese zeitliche Koinzidenz verleiht unserer heutigen Aufführung seines Cellokonzerts mit Steven Isserlis hier eine besondere Note.

Beindruckend: Die Kuppel des grossen Saals im Teatro Solís.
Bild: Bild: Maciel Mayumi

Ein nächtlicher Spaziergang im Barrio Historico versetzt uns in eine Szenerie, in der ein eisiger Wind die Strassen durchzieht und die salzige Brise des Atlantiks vermischt. In einem einladenden Hafenrestaurant erwarten uns delikate uruguayische Spezialitäten, die die hungrigen Musikerinnen und Musiker nach ihrer langen Reise wieder stärken - die wohltuende Wirkung der regionalen Gerichte regeneriert unsere Energie.

Im angeregten Gespräch mit Steven Isserlis tauschen wir Gedanken über uruguayische Musiker und ihre Geschichten aus. Unter anderem erinnern wir uns an Camille Saint-Saëns – jenen Künstler, dem wir vor einiger Zeit in Luzern eine besondere Hommage gewidmet haben. Saint-Saëns erhielt während einer Tournee anno 1916 den Auftrag, eine Nationalhymne für Uruguay zu komponieren, doch leider wurde dieses Vorhaben nie umgesetzt. Stattdessen erklingt nun am Unabhängigkeitstag jeweils die Hymne «Orientales, la Patria o la tumba» aus der Feder von Francisco José Debali.

Der dampfende Eintopf holt uns ins Hier und Jetzt im Restaurante «Es Mercad» zurück. Sanftes Gitarrenspiel durchbricht die Atmosphäre, und unser Blick wird auf einen eleganten, grossgewachsenen Herrn gelenkt – ein waschechter Tanguero, wie er im Buche steht. Doch hier spielt er nicht für Touristen, sondern für die Stammgäste, los Montevideanos. Mitreissende Tangolieder wechseln sich ab mit einer subtilen Melancholie, die über dem Rio de la Plata schwebt. Ein Nachbar stimmt in den Refrain ein, und so entsteht ein gemeinsames Klangbild. In der anschliessenden Unterhaltung mit dem Nachbar entsteht ein Diskurs über Gott und die Welt, vor allem aber wird uns nahegelegt, dass der Tango nicht etwa nur eine argentinische Tradition ist, sondern auch tief in der uruguayischen Kultur verwurzelt ist.

Unser Konzert im prächtigen Konzertsaal des Teatro Solís.
Bild: Bild: Bernhard Pompey/ Luzerner Sinfonieorchester
Steven Isserlis, als einer der besten Cellisten überhaupt, begleitet uns bei all unseren fünf Konzerten.
Bild: Bild: Bernhard Pompey/ Luzerner Sinfonieorchester

Unser Konzert im grossen Saal des Teatro Solís lässt sich am besten in einem Kommentar zusammenfassen, welchen wir in der Konzertpause einfangen konnten. Zahlreiche Mitglieder des Nationalorchesters Uruguays kamen, um das Luzerner Sinfonieorchester zu hören. «Como bien toque esta orquesta! Es incredible. A me me encanta totalmente.» | «Wie gut dieses Orchester spielt! Es ist wunderbar. Ich liebe es total.»

Heute geht es für uns in den wohl beeindruckendsten Konzertsaal unserer gesamten Tournee – dem Teatro Colon in Buenos Aires. Für unsere Passage nehmen wir traditionell das Boot über den Río de la Plata – wo sich sich Flusswasser und Meerwasser vermischen.

Die Musikerinnen und Musiker des Luzerner Sinfonieorchesters auf der Fähre von Montevideo nach Buenos Aires.
Bild: Bild: Bernhard Pompey/ Luzerner Sinfonieorchester

Das Luzerner Sinfonieorchester

Rio de Janeiro, Brasilien, 25. August 2023

Unser dritter Tag auf der Tournee ist angebrochen, und unser Ziel ist Rio. Die Faszination, die Rio de Janeiro ausstrahlt, hat die Vorfreude aller Mitreisenden bereits im Vorfeld zum Brodeln gebracht. Die Gelegenheit, in Rio aufzutreten – dem ultimativen Schmelztiegel, in dem europäische, afrikanische und lateinamerikanische Kulturen miteinander erklingen –, ist zweifellos ein lang gehegter Traum jeder Musikerin und jedes Musikers. Schöne Erinnerungen an unseren letzten Auftritt im Teatro Municipal 2014 (damals mit James Gaffigan und Renaud Capuçon) versüssen die Erwartungen.

Aus dem Flughafen kommend, wird man vom Corcovado bereits begrüsst.
Bild: Bilder: Bernhard Pompey

Rio de Janeiro ist der Ort, an dem der berühmteste unter den brasilianischen Komponisten, Heitor Villa-Lobos, sein ganzes Leben lang gewirkt hat. Rio ist auch die Stadt, in der die rhythmischen Klänge des Sambas in jeder Strasse widerhallen und in den Abendstunden die «Saudade» zusammen mit dem Nebel an der Copacabana Einzug hält.

Kaum in Rio gelandet, geht es - nach einem kurzen Imbiss mit Blick auf die Copacabana - direkt zur Anspielprobe und anschliessendem Konzert. Das Teatro Municipal ist ein Zeuge des industriellen Wunders der Jahrhundertwende. Mit seiner majestätischen Präsenz, ursprünglich im klassizistischen Stil konzipiert und nach einer Brandrenovierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Stil des Art Déco wieder erblüht, befindet es sich nur einen Steinwurf entfernt von den bekannten Bossa Nova Clubs und der «Escadaria Selarón», wo die Jugend Rios ihre künstlerische Kreativität mit bunten Strassenmalereien zum Ausdruck bringt.

Das Prunkstück des Saales – die Kuppel.
Der Blick auf die Bühne im Konzertsaal des Teatro Municipal.

Rio de Janeiro – es ist die Stadt der krassen Gegensätze: Während das «Orquestra de Rua», ein Streichquartett aus dem «Morro da Providência», einer der ältesten Favelas in Rio de Janeiro, tagsüber in den Strassen der Armenviertel spielt, treten wir im Teatro Municipal mit seiner beeindruckenden goldenen Kuppel auf.

Chefdirigent, Michael Sanderling, 1. Konzertmeister Gregory Ahss sowie Intendant  Numa Bischof-Ullmann auf der beeindruckenden Treppe im Teatro Municipal.

In dieser Stadt der tausend Klänge, fesselnder Rhythmen und des grün-gelben Farbenmeers setzen wir als Orchester alles daran und beschenken die Klassikliebhaber Rios mit einem leidenschaftlichen Konzert. Vor dem inneren Auge inszeniert sich der Karneval wie von selbst…und so wird unser Auftritt zu einem harmonischen Verschmelzen der Musiktraditionen, das die vielfältige Seele Rios widerspiegelt. Dieses Erlebnis wird uns noch lange begleiten – und auf die eine oder andere Weise «zwischen den Noten» auch in unseren kommenden Konzerten im KKL Luzern noch lange mitschwingen.

Viele Grüsse nach Luzern vom Zuckerhut,

Das Luzerner Sinfonieorchester

São Paulo, Brasilien, 23. August 2023

Frühmorgens, kurz vor 6 Uhr, erreichen wir den Flughafen von São Paulo, voller Erwartung auf eine spannende Konzerttournee durch die Metropolen Südamerikas in Brasilien, Uruguay und Argentinien. Die Instrumente sind sicher angekommen, und die Vorfreude der Musikerinnen und Musiker ist förmlich spürbar. Die Mischung aus Tatendrang, Euphorie und Spannung lässt erahnen, dass aussergewöhnliche Tage bevorstehen.

Der Gedanke, das Wissen und die musikalische Erfahrung mit der nächsten Generation zu teilen ist auf jeder unserer Tourneen ein fester Bestandteil. So hiess es für einige von uns eine Masterclass für junge Brasilianer des Instituto Baccarelli, welche sich in der Favela Heliópolis befindet, zu halten.

Unser Cellist, Jonas Vischi, in seinem Element in der Masterclass für junge Brasilianer.
Bild: Bilder: Bernhard Pompey/Luzerner Sinfonieorchester

Die pulsierende Energie von São Paulo und der Anblick der Sala Sao Paolo erinnert uns an den legendären brasilianischen Pianisten Nelson Freire, der uns 2014 bei unserer ersten Konzertreise in Südamerika als Konzertgast die Ehre erwies.    Einige Jahre später durften wir ihm den «Life Time Achievement Award» in Luzern verleihen, eine bewegende Begegnung

Die Generalprobe vor dem Eröffnungskonzert fand im Probensaal des Sala São Paulo statt, einem architektonischen Meisterwerk, dem ehemaligen Hauptbahnhof. Die Akustik des von Russel Johnson gestalteten Saals sorgte für gespannte Erwartung. Denn wie würde er sich im Vergleich zu unserem Konzertsaal im KKL Luzern schlagen (welcher ebenfalls durch den Akustiker Russel Johnson konzipiert wurde)?
Die Transformation des ehemaligen Bahnhofs in ein Weltklasse-Auditorium begeisterte uns, und die Klänge, die unser Luzerner Sinfonieorchester hier zur Entfaltung brachte, wurden von der warmen Akustik herrlich absorbiert.

Das Tournee-Leben aus den Koffern. So fand die Generalproben beispielsweise vor selbigen statt.

Der Auftakt unserer Tournee wurde ein voller Erfolg. Beethovens Fünfte, von Michael Sanderling mit Verve und stark gezeichneten Konturen geleitet – bestens passend zuOscar Niemeyers ikonischer Architektur, an vielen Ecken der Stadt zu sehen.

Passend zum brasilianischen Temperament erhielten wir eine stürmische stehende Ovationen der Paulistas.  Die Zugabe, «Nimrod» aus Elgars Enigma Variationen, füllte den Saal mit Emotionen und verband uns mit unserem begeisterten Publikum.

Eine begeisterte Konzertbesucherin kam unmittelbar nach dem Konzert zu uns und brachte ihre Freunde wie auch Bewunderung zum Ausdruck. Dass es uns gelungen wäre, dass sonst eher weniger disziplinierte Publikum so in den Bann zu ziehen, dass es mucksmäuschenstill die Pausen und leiseren Passagen in den Stücken durchlebte.

Während der Anspielprobe unmittelbar vor dem Konzert im Konzertsaal des Sala Sao Paulo.

Was wir hier in São Paulo schnell merken: Es braucht viel Kraft. Nur was herausragt, kann sich abheben in diesem wahren Meer von Häusern mit zwanzig Millionen Einwohnern. Im morgigen Konzert, in dem Mendelssohns «Italienische» im Zentrum steht, werden uns diese Eindrücke begleiten – wie beispielsweise die Farbenpracht des tropischen Blütenmeers im Ibirapuera Park.

Chefdirigent Michael Sanderling.

Und inmitten all dieser Eindrücke bleiben wir unserer Mission treu: Musik verbindet, inspiriert und bewegt Menschen auf der ganzen Welt. Mit einem Hauch von Südamerika im Herzen setzen wir unsere musikalische Reise fort, bereit, weitere unvergessliche Momente zu schaffen.

Ihr Luzerner Sinfonieorchester

Weitere Eindrücke auf: https://www.instagram.com/luzernersinfonieorchester/ ; https://www.facebook.com/luzernersinfonieorchester

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