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Spoken Word

Lo & Leduc machen als Häberli und Oggier Kleinkunst über die Vergänglichkeit

Als Musiker haben Lo & Leduc sämtliche Grossbühnen der Schweiz schon gesehen. Als Kleinkünstler machen sich nun zum zweiten Mal ein Spoken-Word-Programm. Die Dringlichkeit fehlt. 

10, 9, 8: Häberli (links) und Oggier nennen ihr zweites Bühnenprogramm Countdown.
Bild: Foto Mirjam Kluka

Tick, Tack. Der Countdown läuft. Und damit ist nicht das stets an Silvester totgedudelte «Final Countdown» von Europe gemeint, sondern unser aller Lebenscountdown. Durchschnittlich 81 Jahre (Männer) oder 85,1 Jahre (Frauen) tickt die Uhr, ehe sie definitiv stoppt. Auf ein ganzes Leben gesehen sind die knapp 90 Minuten «Countdown» von Häberli und Oggier also praktisch nur ein Wimpernschlag.

Die beiden Berner, besser bekannt als die erfolgsverwöhnten 079-Musiker Lo & Leduc, feierten am Sonntag im Zürcher Kaufleuten Premiere mit ihrem zweiten Kleinkunstprogramm. Eben: «Countdown». Tick, Tack. Der Spoken-Word-Abend pendelt irgendwo zwischen einer Abhandlung über die eigene und die allgemeine Vergänglichkeit.

Ab in die Rakete mit Musk und Bezos

Lässig locker witzeln die beiden sich vom Drang zur Selbstoptimierung bis zu Bestattungswünschen durch. Anders als noch in ihrem ersten Programm «Wörter wie wir» fehlt der moralische Zugang. Es wird in keiner Minute richtig böse. Selbst dann nicht, wenn es um die Giftmischer Jeff Bezos und Elon Musk geht. Häberli und Oggier lassen die Männer mit ihren höchst phallischen Raketen-Fantasien einfach ein bisschen wirken. Es braucht gar keine zusätzlichen Witze. Lächerlich genug sind sie auch so.

Genau in dieser leichten Beliebigkeit gründet aber auch die Schwäche des Programms. Es fehlt ein Plot. Ein Countdown. Die brennende Zündschnur. Es wird nie bedrohlich, nie unangenehm, nie irgendwie existenziell. Es sösselt – speziell vor der Pause – ein bisschen vor sich hin. Natürlich: Das ist sehr sprachwitzig und gut gesetzt, aber der Drive fehlt trotzdem manchmal.

Klar, es hat unglaublich starke Momente. Etwa wenn Häberli und Oggier per eingespieltem Video über Berner Friedhöfe streifen und über Sinn und Unsinn von Themengräbern diskutieren. Und wenn sich sogar ein Steinmetz einschaltet, der sich vor lauter Gemeinschaftsgräbern um die Grabstein-Kunst und somit um sein Auftragsvolumen sorgt. Sterben ist immer auch ein Geschäft.

Der feine Blick für Details

Von all diesen Videoeinspielern hat es aber eher zu viel als zu wenig. Nicht immer erschliesst sich der Mehrwert. Während der Besuch im Krematorium erheiternd und erhellend ist (auch Sterben ist am Ende nur ein technischer Akt), langweilten wir uns beim Besuch von Nördlich Lägern, dem künftigen Atomendmülllager. Statt einer Tiefenbohrung bleibt da alles oberflächlich. Die Kurve kriegen sie dann dank feinem Blick für Details doch noch.

Wie machen wir künftigen Generationen klar, dass sie später all diese giftigen Fässer nicht öffnen? Schliesslich, so Häberli und Oggier, ändere sich die Sprache und ihre Darstellungsformen dauernd. Wenn wir heute ein Pergament aus dem Mittelalter lesen wollen, bekunden wir bereits Mühe. Und das ist gerade einmal ein paar hundert Jahre her. Beim Atommüll muss diese Warnung auch noch in zehn-, ja hunderttausenden Jahren verstanden werden. Spoiler: Wie so oft, wenn sich der Mensch nicht zu helfen weiss, versucht er es mit einer Art Smiley.

In den besten Passagen ist «Countdown» unterhaltend und lehrreich, in den schwächeren dagegen etwas behäbig und belehrend. So erinnert der Erklär-Exkurs um die kognitive Dissonanz an eine Psychologiestunde mit einem überaus motivierten Aushilfslehrer, der versucht, den armen Studentinnen und Studenten mit etwas Humor den Pflichtstoff ins Hirn zu löten.

Zwei Alben veröffentlicht

In ihrem Kleinkunst-Debüt «Wörter wie wir» sinnierten Häberli und Oggier, die auch dieses Mal ganz schlicht an einem Pult auf der Bühne sitzen, über die Wirkung von Sprache. Auch dieses Mal ist die Lust am Spielen mit den Worten spürbar. Manchmal gelingt das ganz gut, dann entwickelt es einen Sog. Wie man es von der Musikbühne kennt. Dann spielen sich die Mittdreissiger Lo Häberli und Leduc Oggier sich die Wortbälle gekonnt zu und die Vorlagen werden auch verwertet.

Etwas öde wird die Sprachklauberei dann, wenn die Passstafetten der zwei Germanisten gar absehbar werden. An der Dynamik müssen die beiden noch feilen. An der Premiere kam das Wort-Ping-Pong da und dort noch ins Stocken. Ganz grundsätzlich ist es aber eigentlich schon beeindruckend, dass das Duo den Countdown zu ihrem «Countdown» überhaupt einhalten konnte: 2022 haben sie zwei (!) neue Alben veröffentlicht, zahlreiche Festivals gespielt und ihre Clubtour ging erst im Dezember zu Ende. Schon über ihr letztes Programm sagten sie, dass es sich im Laufe der Aufführungen (siehe Hinweis) noch ziemlich verändert habe. Kein «Final Countdown» sondern «Work in Progress».

Tick, Tack. Trotzdem: Am Ende jedes Countdowns steht die Null. Und die Frage, was danach kommt. Oder weniger philosophisch: Was bleibt? Von «Countdown» von Häberli und Oggier ist es gute Unterhaltung. Durchaus geistreich. Aber auch das Gefühl, dass da noch mehr dringelegen wäre.

Weitere Aufführungen unter anderem im Kleintheater Luzern, Kofmehl Solothurn, Militärkantine St.Gallen, Kiff Aarau, Guggenheim Liestal und im Gaswerkt Schwyz. Infos und Tickets

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