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Literatur

Kulturschaffende verlassen ihr Gärtchen

Eine Kabarettistin schreibt Kurztexte, ein Liedermacher verfasst eine Ode an das Emmental und ein Cantautore packt sein Lebensthema in einen Roman - in diesem Herbst gibt es gleich mehrere Kulturschaffende, die neue Wege beschreiten.
Bild: Keystone/WALTER BIERI

Zum Beispiel der Cantautore Pippo Pollina. Von ihm erscheint am (heutigen) Dienstag sein erster Roman mit dem Titel "Der Andere". Das Geschichtenerzählen ist ein wichtiger Bestandteil seiner Lieder. Pollina singt seit über fünfzig Jahren über die Liebe, über Freiheit, über das Meer - und über seine Heimat Sizilien, die er 1985 verliess.

Was ihm in drei Minuten Musik gelingt, schafft er nun auch auf den 333 Seiten seines Debütromans. Vor allem dann, wenn von Sizilien die Rede ist. Dann spürt, riecht und hört man die "Insel aus Lava und Steinsalz, Himmel und strahlender Sonne", die geschichtsträchtige, wilde Stadt Palermo und das kleine Dorf Maciddaru.

In den Fängen der Mafia

Hier, in Maciddaru, ist Leonardo aufgewachsen. Abwechselnd erzählt Pippo Pollina dessen Geschichte und jene von Frank, der in Nürnberg lebt. Leonardo, von allen Nanà genannt, lebt in einer Welt, die von der Mafia beherrscht ist. Am eigenen Leib erfährt er, wie schnell es gehen kann, dass man der Cosa Nostra etwas schuldet. Er rutscht in etwas hinein, das ihn plötzlich wie die Tentakel eines Oktopusses von allen Seiten umschlingt. Der sogenannte "Gefallen" beherrscht Leonardos Gedanken, alles dreht sich nur noch darum, "Es" zu tun oder irgendwie den Fängen der Mafia zu entkommen.

Frank wiederum lernt die Mafia als Journalist kennen. Als er über Deutschlandgeschäfte der Cosa Nostra schreibt, gerät auch er in deren Fangnetz.

Was Frank und Leonardo sonst noch verbindet, wird im Roman relativ schnell klar und wirkt etwas konstruiert. Hie und da verliert sich der Roman in langen, etwas schwerfälligen Dialogen. Er gewinnt jedoch dort, wo Pollina als Erzähler ins Schwärmen gerät oder sein Wissen über Mafia, Geschichte und Kultur einfliessen lässt. Allgegenwärtig ist in "Der Andere" die Melancholie des Erinnerns. Es gelingt dem Autor, eine Ahnung davon zu vermitteln, was es bedeutet, wenn von der Heimat nichts mehr bleibt als der Blick zurück.

Pippo Pollina arbeitete selbst in Palermo als Journalist und engagierte sich in der Antimafiabewegung. Mittlerweile lebt er seit über dreissig Jahren in Zürich. In seinen Liedern ist die Melancholie ebenfalls allgegenwärtig und die Frage, was wirklich zählt, wenn man alles hinter sich lassen muss. Pollinas Antwort ist klar, in seinen Liedern wie auch in seinem Roman: Liebe und Freundschaft.

Kindheit im Emmental

Wie Pollina gibt es auch bei Tinu Heiniger ganz bestimmte Themen, die seine Mundartlieder und seine Literatur miteinander verbinden. Der Berner Liedermacher singt über das Älterwerden, über das Emmental, wo er aufgewachsen ist, und über das Leben allgemein. In seinen Erzählungen "Mein Emmental", dem zweiten Buch nach "Mueterland", blickt Heiniger zurück auf seine Kindheit und Jugend in Langnau, schreibt über seine Eltern, die SCL Tigers, den Schweizer Schriftsteller Ernst Eggimann und das Dorfleben.

Auch als Autor bleibt Heiniger nah am Mündlichen. Dabei brilliert er nicht mit sprachlicher Brillanz, sondern berührt mit Unmittelbarkeit. Mit bodenständigem Charme und einer Einfachheit, die selten belanglos ist. All das ist auch Tinu Heinigers mal jazzigen, mal folkigen Mundartliedern eigen. In der Musik gelingt es ihm aber noch besser, das Kleine zu beschreiben und das Grosse zu meinen.

Reise in eine Gedankenwelt

Bei der Karettistin Uta Köbernick wiederum ist in der Sammlung "Mein Glück steht mir nicht im Weg" das Geschriebene auf sich selbst zurückgeworfen. Die gebürtige Berlinerin, die seit über zwanzig Jahren in Zürich lebt, greift live gerne zu diversen Instrumenten, um ihre Texte musikalisch zu untermalen. Auch Mimik, Gestik und Gesang sind wichtige Attribute ihrer Programme.

In ihren Geschichten strahlt Manches weiter: Mit klarem Rhythmus, überraschenden Pointen und viel Sinn für stimmiges Timing nimmt Köbernick die Lesenden in ihrem ersten Buch mit in ihre Gedankenwelt. Dabei kann sie selbstironisch sein, bitterböse, lakonisch und auch mal platt: Immer sticht sie dort hinein, wo man es sich gerade gemütlich gemacht hat. Und Köbernick braucht nicht viele Zeilen, um auf den Punkt zu kommen.

Ob Uta Köbernick, Tinu Heiniger oder Pippo Pollina: Allen ist gemeinsam, dass das Schreiben eng mit ihrem Hauptschaffen verbunden bleibt. Es wird von ihm genährt, wächst und wird im besten Fall gleich gross. Nur grösser wird es nicht.*

*Dieser Text von Maria Künzli, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert. (sda)