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Klassik

«Krienser Industrie Konzerte»: James Bond spielt an der Piano-Bar

Viele Klassikveranstalter suchen nach niederschwelligen Formaten. Lustvoll experimentieren damit die «Krienser Industrie Konzerte», wo man jetzt in Waldszenen Nusskreationen degustieren kann.

Pianist Florian Meier am Bar-Piano, mit Diana Sonja Tobler, Fabio Greter und Sharon Mazzoletti (von links).
Bild: Bild: Manuela Jans-Koch (Kriens, 13. Januar 2023)

Wer beim Stichwort Klassik gleich weiterscrollen will, sollte hier aufpassen. Denn bei den «Krienser Industrie Konzerten» ist alles etwas anders. Der Weg dahin führt zwischen Autogaragen und einem Box-Club hindurch zum Industriegebäude an der Werkstrasse 1 zu einem familiären Konzertraum im dritten Stock.

Einen Konzertflügel würde man hier sowenig vermuten wie das Bar-Piano im angrenzenden Raum mit Theke und Sofalounge. Denn in einem alten Klavier ist hier – wie in James-Bond-Filmen Scotch und Martini – eine Kaffeemaschine versteckt. Spielt man auf der Tastatur die Töne c-a-f-e, klingelt das Instrument wie ein Saloon-Klavier und bereitet einen Espresso zu. Bezahlen kann man, indem man mit Noten oder Münzen ein Toy-Piano in Gang setzt. Schon da ist klar: Die Industrie Konzerte sind auch ein Paradies für Familien mit Kindern.

Keine Stars als Touristenattraktion

Schon mit diesem Setting lösen die Industrie Konzerte exemplarisch das Bestreben vieler Klassikveranstalter ein, mit niederschwelligen Formaten ein neues und jüngeres Publikum anzusprechen. Bei den jungen Initianten (drei Frauen und zwei Männer zwischen 25 und 29 Jahre alt) entstand die Idee dazu während Corona. Als selbst die Musikhochschule Luzern geschlossen war, suchten die Pianistin Sharon Mazzoletti und der Pianist Florian Meier einen Raum, in dem sie üben und mit anderen proben konnten. Mit der Geigerin Diana Sonja Tobler und dem Softwareentwickler Fabio Greter, der das Bar-Piano programmierte, bauten sie die ehemalige Töffwerkstatt in ein Konzertlokal um und stellten dieses auch anderen Musikern zur Verfügung.

Trotz dieser Entstehung aus einer Art Selbsthilfegruppe heben sich die Industrie Konzerte bewusst vom herkömmlichen Klassikritual ab. «Klassische Konzerte werden oft als gesellschaftlicher Event zelebriert», sagt Sharon Mazzoletti: «Da gehören viele Dinge mit dazu, die gar nichts mit Musik zu tun haben, etwa dass man sich schön anzieht oder sehen und gesehen werden will. Da kann die Musik auch mal zur Nebensache werden.» Florian Meier gesteht, dass er sich in solchen Ritualen als Musiker gar nicht so heimisch fühlt:

«Natürlich kann man etwa im KKL tolle Konzerte hören. Aber der von den Medien gehypte Starkult fördert, dass Stars wie Touristenattraktionen abgehakt werden.»

Zum Fototermin eine kleine Schubertiade am Flügel: Florian Meier, Sharon Mazzoletti, Diana Sonja Tobler und Fabio Greter (von links) vom Vorstand der Krienser Industrie Konzerte.
Bild: Bild: Manuela Jans-Koch (Kriens, 13. Januar 2023)

Davon heben sich die Industrie Konzerte schon rein äusserlich ab. Hier treten vor allem junge Musikerinnen und Musiker aus der Region auf. Die Konzerte dauern nur gut eine Stunde, wofür Besucher eine Kollekte zahlen, die ihnen für diese Dauer angemessen scheint. Statt Programmhefte abzugeben, sprechen die auftretenden Musiker zum Publikum. Und im anschliessenden Barbetrieb kommen auch fremde Gäste miteinander ins Gespräch. «Es gibt zwar Gäste, die einfach zuhören oder spielen wollen», sagt Florian Meier: «Aber wir stellen fest, dass der intime Rahmen stärker zu Begegnungen animiert als die Anonymität eines grossen Konzertsaals. Ein gutes Konzert ist wie ein Zwischenfall im Bus, der zu einem lebhaften Austausch unter den Passagieren führt.»

Blick von der Lounge mit Toy-Piano in den Konzertsaal.
Bild: Bild: Manuela Jans-Koch (Kriens, 13. Januar 2023)

Den Anspruch auf neue Formate lösen die Industrie Konzerte aber auch inhaltlich ein. Beispielsweise im «Nusskonzert» vom kommenden Sonntag. Florian Meier stellt aus grünen Baumnüssen ein ganzes Sortiment an Geschmacksrichtungen her. Im Konzert kann man diese kosten – zwischen den durch weitere Stücke ergänzten «Waldszenen» von Schumann (mit Meier und Mazzoletti am Flügel: 22. Januar). Im Kinderkonzert «Wer ist niemand» erzählen Marie Sans (Gitarre) und Maria Thorgevsky (Erzählung) mit Theater und klassischer Musik die Abenteuer des Odysseus (2. April). Zu Schuberts «Winterreise» wurden schon passende Drinks (etwa ein Whiskey zum «Gute Nacht») serviert, in Zukunft ist ein Rezital mit Chopins «Préludes» und 24 dazu passenden Häppchen geplant.

Gemeinsamkeit wie in einem Verein

Dazwischen gibt es auch «normale» Rezitals. Der Bariton Alban Müller – der neue Leiter des Kammerchors Luzern – singt etwa Lieder von Schumann («Dichterliebe»), Schubert und Brahms (Klavier: Sharon Mazzoletti, 19. März). Wie passt ein derart klassischer Liederabend in eine niederschwellige Konzertreihe? Fehlt der Kammermusik nicht generell die Popularität grosser Orchesterwerke? «Gerade weil sie intim ist, eignet sich Kammermusik für niederschwellige Formate», widerspricht Mazzoletti: «Wenn die Zuhörer hautnah erleben können, wie die Musiker mit der Musik mitgehen und miteinander kommunizieren, überträgt sich das aufs Publikum.»

Für Diana Sonja Tobler, die wie alle Musiker im Vorstand an einer Musikschule in der Region unterrichtet, hat Kammermusik darüber hinaus eine pädagogische und soziale Dimension: «Wie bereichernd es ist, mit anderen Menschen Musik zu machen, lernen Musikschülerinnen und -schüler, indem sie in Ensembles zusammenspielen.» Das Vorbild dafür seien weniger Orchester, in denen der einzelne auch mal «mitschwimmen» könne, sondern die Kammermusik, sagt Tobler:

«In Musikschulensembles wie in der Kammermusik kann sich jeder aktiv in eine Gemeinschaft einbringen, ähnlich wie in einem Verein.»

Auch Menschen, die auf diese Weise das Kulturleben aktiv mittragen, wollen die Industrie Konzerte künftig eine Plattform bieten: mit einer Jamsession, die auch Amateurmusikern offensteht. Wer sich nicht mehr zutraut, als auf einem Klavier die Töne c-a-f-e zu drücken, kann sich wenigstens einen Espresso genehmigen und von der Lounge aus zuschauen.

So, 22. Januar, 17.00: Nusskonzert, Nussdegustationen mit Musik von Schumann («Waldszenen») und anderen (Klavier: Sharon Mazzoletti, Florian Meier). (ausverkauft)

So, 19. März, 17.00: Lieder von Schubert, Schumann («Dichterliebe») und Brahms (Bariton: Alban Müller, Klavier: Sharon Mazzoletti).

So, 2. April, 15.00: Kinderkonzert, die Abenteuer des Odysseus (Gitarre: Marie Sans, Erzählerin: Maria Thorgevsky (Erzählung).

So, 30. April, 17.00: Lucerne Guitar Duo (Hannah Biermann, Roger Schütz).

So, 14. Mai, 17.00: Flötenquartett Divertis.

So, 21. Mai, 17.00: Ein romantisch-modernes Programm mit Sharon Mazzoletti und Fabio Greter (an einem und zwei Flügeln).

www.kikonzerte.ch

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