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Literaturpreis

Klaus Merz erhält den Grand Prix Literatur für sein literarisches Gesamtwerk

Seit 1967 gehört der im Aargau geborene und lebende Lyriker und Erzähler Klaus Merz zur ersten Liga der Schweizer Literatur. Mit seiner Kunst der sprachlichen Verdichtung ist er eine unverwechselbare Stimme, die nun hochverdient den höchsten Literaturpreis der Schweiz gewinnt. 
Der Schriftsteller Klaus Merz.
Bild: Bild: Gaëtan Bally/Keystone

Was bei Klaus Merz jeweils auf dem Papier bleibt, ist die Essenz, ist seine Literatur. Klaus Merz ist ein leiser, eindringlicher Meister der Verdichtung. Das ist auch in seinem Meisterwerk «Jakob schläft» (1997) so, in welchem er eine, eigentlich seine eigene, Familiengeschichte von Krankheit, Versehrtheit, Tod und Weiterleben erzählt und mit dem er international hohe Beachtung gefunden hat. Literaturprofessor Peter von Matt nannte das schmale Buch mit Verweis auf Gottfried Keller gar «der Grüne Heinrich von Klaus Merz» – ein Buch also im Rang eines Klassikers, der Biografie, Zeitgemälde und Gesellschaftspanorama umfasst. Weil Merz seinem «Jakob schläft» im Untertitel den Zusatz «Eigentlich ein Roman» hinzugefügt hatte, hätte man schon damals neben der dichten, schweren Materie auch den Schalk und den literarischen Hintersinn dieses Autors entdecken können.

Ein Klassiker, der auch mit Virtual Reality experimentiert

Es ist ein Humor, den man in der direkten Begegnung mit dem Autor, der auch auf Porträtbildern meist ein bisschen gar ernst dreinschaut, sofort realisiert. Ein Humor, der auch in seiner Literatur immer wieder aufblitzt. Nicht zu vergessen: Er kombiniert seine Literatur auch mit einer verblüffenden Experimentierfreude. Mit weit über 70 Jahren wurde er noch zu einem Medienpionier der Literatur. Auf Einladung des Filmemachers Sandro Zollinger übernahm er in einer Virtual-Reality-Inszenierung die Rolle des Erzählers in seiner eigenen Kurzgeschichte «Los». Sie folgt einem resignierten Mann, der seine Familie verlässt und «fahrlässig und fanatisch» in einem Schneesturm umkommt. Mit dieser existenziell tiefen Geschichte und dem lockeren, neuen Medium begleitete Klaus Merz das Filmteam inklusive VR-Brillen in viele Schulklassen.

Als hellwacher Zeitgenosse des fernen Kriegs

Oft als «Meister des Lakonischen» bezeichnet, gelingt es ihm, das Schmerzhafteste und die präzise Gesellschaftsanalyse mit Poesie aufzuladen. Denn gegen die Titulierung wehrt er sich: Zu sehr sei das Lakonische auf perfekte Reduktion und auf den einzig treffenden Ausdruck aus. Er selbst spricht lieber von «Einkochen». Und so ist es auch in den vielen Gedichtbänden seit seinem Debüt im Jahr 1967.

Dass Klaus Merz ein hellwacher Zeitgenosse ist, belegt sein neuster Gedichtband «Noch Licht im Haus». Darin spiegelt sich die Beklemmung des in der sicheren Schweiz Entsetzten angesichts der aktuellen Kriegsrealität in Europa. Eine Sprache dafür zu finden, sei prekär, aber kürzlich sagte er unserer Zeitung dazu: «Gedichte sind eine Möglichkeit, auf die Bedrängnis und Ödnis unserer Zeit zu antworten.»

So heisst es etwa in einem seiner neuen Gedichte schlackenlos: «Als wir endlich begriffen hatten / dass auch die Hydranten altern / stand die Welt um uns / schon in Flammen.» Um in einem weiteren Gedicht die Situation des tatenlosen Beobachters aus der Ferne zuzuspitzen: «Er stand vor seinen Bücherregalen. Als stünde er / vor einer Urnenwand.» Merz jedoch ist kein düsterer Pessimist. Im Gespräch mit unserer Zeitung kommentierte er nämlich die Gedichtzeile so: «Ich habe mir gesagt, umgeben nur von Urnenwänden, da kannst du gleich den Löffel abgeben. Sobald aus den Büchern noch etwas spricht, ist Leben und Erinnerung da.» Für ihn ist offensichtlich: In der Sprache, in der Kunst lebt die Ahnung von Aufklärung und Vitalität. Resignation scheint kein Wesenszug von Merz zu sein.

Weltausschwärmende Literatur, im Aargau verankert

Klaus Merz wurde 1945 geboren, ist ausgebildeter Sekundarlehrer und arbeitete an einer Höheren Fachschule als Dozent für Sprache und Kultur. Er lebt im aargauischen Unterkulm. Mit dem Gewinn des Grand Prix erweitert er die illustre Reihe verdienter Schweizer Literaturschaffender, die seit 2013 diese höchste Ehre erhalten haben. Vor ihm etwa Leta Samadeni, Reto Hänny, Sibylle Berg, Zsuzsanna Gahse oder Adolf Muschg. Der Grand Prix wird vom Bundesamt für Kultur verliehen.

Auch wenn Klaus Merz lebenslang im Aargau gelebt hat, ist seine Literatur keineswegs regional. Seine Figuren schwärmen aus. Auswanderer, Aussteiger und Rückkehrer bevölkern seine Texte. Etwa der Grossvater in der Novelle «Der Argentinier» (2009), der zurückkehrt und als Dorflehrer eine eigene «neue» Welt aufbaut. Diese Welthaltigkeit hat ihm denn auch zahlreiche Übersetzungen ermöglicht: ins Französische, Italienische, Englische und Spanische ebenso wie ins Russische und Persische.

«Bei Klaus Merz zoomt die Nahaufnahme stets in die Totale»

Peter von Matt sagte es in seiner Laudatio anlässlich des an Merz verliehenen Gottfried-Keller-Preises 2004 so: «Bei Klaus Merz zoomt die Nahaufnahme stets in die Totale.» So ist es in der Erzählung «Jakob schläft», das beginnt mit: «Kind Renz. Vom Fensterbrett wirbelt Staub», um in der Folge auf nicht einmal 80 Seiten eine ganze Familiensaga und ein Zeitgemälde der 50er- und 60er-Jahre aufzuspannen. Und so ist es auch in «Los», das mit dem traurigen Blick der Hauptfigur vom Schreibtisch auf die Agglomeration anfängt und ihn in den Bergen verschwinden lässt. Das Regionale also brauche er lediglich «zum Abstossen», ein paar Quadratmeter davon genügten ihm, so von Matt.

Klaus Merz sagt es selbst so: «Ich nenne das, was in der Lyrik geschieht, auch gerne eine Kernbohrung, mit der ich heisses Magma suche. Aber man muss aufpassen, dass man nicht mit dem blutigen Magmapfluder schreibt, den man gefunden hat.» Das unterläuft dem empfindsamen Stilisten aber nicht. Mit dem Grand Prix ist er definitiv zum Klassiker geworden.

Die Preisverleihung findet am 10. Mai im Stadttheater Solothurn im Rahmen der Literaturtage Solothurn statt.

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