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Kunstentdeckung

Keine Angst, es ist nur Voodoo:
Augustin Rebetez macht Schweizer Stammeskunst

Er gilt als Enfant Terrible der Schweizer Kunstszene. Seine Ausstellung im Aargauer Kunsthaus ist eine berauschende Achterbahnfahrt durch zwölf Räume.

Augustin Rebetez beschwört im Aargauer Kunsthaus mit seiner Ausstellung «Vitamin» die Geister.
Bild: Ullmann Photography / zvg

«Machen Sie sich auf ein besonderes Erlebnis gefasst», sagt die Kuratorin. Es sei wie in den Cartoons, sagt der Künstler, «in denen die Maus zuerst geohrfeigt wird, bevor sie laufen gelassen wird.» Was wie eine Drohung klingt, sollte das Publikum als Einladung verstehen.

Augustin Rebetez, Enfant Terrible der Schweizer Kunstszene, hat seine erste grosse Einzelausstellung in der Schweiz, in Sidney und São Paulo hat er bereits ausgestellt. Wenn er Platz erhält, füllt er ihn – bis auf den letzten Millimeter. So ist auch diese Schau, die der 37-jährige Jurassier im Aargauer Kunsthaus aufgebaut hat, ein Gesamtkunstwerk, ein sorgfältig orchestrierter, mutig inszenierter Rundgang.

Der erste Raum von Augustin Rebetez «Vitamin» ist eine audiovisuelle Ohrfeige.
Bild: Ullmann Photography

Dieser beginnt wie angekündigt mit einer – audiovisuellen – Ohrfeige. Den ersten Raum füllt ein Video, in schnellen Sequenzen überschlagen sich Wörter, sie sind wandfüllend projiziert, und die Tonspur wiederholt sie. Sie verhaken sich ineinander zu losen Sätzen: «Hey You! Come! Check My Stuff!» - «Schau dir mein Zeug an!», fordert die Off-Stimme. Ist es ein Manifest? Ein Gedicht? Ein Pop-Song? Oder alles auf einmal? Auf jeden Fall stimmt die Reizüberflutung das Publikum auf Rebetez' Welt ein. Diese breitet sich im gesamten Erdgeschoss des Hauses aus und ist bevölkert von fantastischen Wesen, bizarren Monstern und engelsgleichen Erscheinungen. Rebetez zähmt sie mit einer Mischung aus Schamanismus und digitalen Zaubertricks – Hacks, wie es heute heisst. Kunst gebe Energie, sagt der Künstler, «Art is like Vitamin.» Daher auch der Titel der gleichnamigen Schau, die Kunsthaus-Direktorin Katharina Ammann kuratiert hat.

Hier spukt der Zeitgeist

An Vitaminen, oder eben Energie, scheint es dem jungen Künstler wahrlich nicht zu mangeln. Der studierte Fotograf mag keinen Stillstand und fand daher zu den Videos. Er zeichnet und malt, er zimmert und giesst Skulpturen. Da bei ihm alles zum Werkzeug wird, reichen zwei Hände nicht aus, sie zu bedienen. Seine Kunst entsteht mit vielerlei Unterstützung: Musikerinnen, Tänzer, Architekten und Programmiererinnen arbeiten gemeinsam am Gesamtkunstwerk. Augustin Rebetez, 1986 in Delémont geboren, kommt aus einer kreativen Familie, sein Vater ist Autor, seine Schwester, Eugénie Rebetez ist herausragende Tänzerin und Clownin.

Hexenhaus oder Kapelle? Bei Augustin Rebetez liegt beides dicht nebeneinander.
Bild: Ullmann Photography

Nach dem technoiden Auftakt lässt der zweite Raum hinter die Kulissen blicken. Wie in einer persönlichen Wunderkammer finden sich hier zahlreiche Fundstücke, kleine Talismane und Totems, wie es sie wohl auch im Atelier des Künstlers in Mervelier gibt. Sie drehen sich an Maschinen, von denen man annehmen könnte, dass Jean Tinguely die ein oder andere Schraube festgezogen hat. In der Ausstellung gibt es auch wie bei Tinguelys Maschinen einen grossen roten Knopf. Augustin Rebetez spielt mit solchen Referenzen. In einer Videoarbeit konstruiert er nach Fischli/Weiss einen «Lauf der Dinge», der bei ihm jedoch mehr zum «Stolpern der Dinge» gerät. Nichts führt zum anderen, jeder Anstoss endet in Feuer, Scherben, Chaos.

Trotzdem ist Rebetez unverfroren modern. Wenn der Künstler die schnelle Schnittfolge seiner Videos erklärt, erwähnt er Tiktok; wenn er duzende Fotos übereinander schichtet und einen Raum damit vom Boden bis zur Decke tapeziert, erinnere ihn das an die vielen geöffneten Tabs am Computer. In seinen Werken spukt der Zeitgeist: Hier glimmt die Klimakrise auf, dort wabern die Schatten einer medial überreizten Welt.

Eine hyperaktive Meditationsstunde

Mitten in die Ausstellungsräume hat der Künstler eine kleine Kapelle, die Black Church, gebaut. Sogar ein Friedhof säumt sie. Im Alltag komme uns allen die Spiritualität zusehends abhanden. Augustin Rebetez sucht daher neue Wege, sie heraufzubeschwören. Er nutzt Voodoo-Symbole, inszeniert Rituale und kreiert Atmosphären. Das grösste Kompliment, das man ihm machen könne, sei zu sagen: «That’s fucking Swiss Tribal Art» – Schweizer Stammeskunst.

Die Ausstellung zeigt einen Künstler der Widersprüche. Der Parkour, den er ins Aargauer Kunsthaus gebaut hat, lädt zur hyperaktiven Meditationsstunde. Denn so laut die Ausstellung begonnen hat, so leise schliesst sie. Der letzte Raum versinkt in schallender Dunkelheit, darin verteilt sind einige Leuchtkästen, die früher einmal für Werbung genutzt wurden. Von Rebetez bearbeitet, werden sie zu mystischen Laternen. Ein ruhiger Moment, um die zwölf Räume nachhallen zu lassen. «Man muss nicht in einen Vergnügungspark gehen, um Spass zu haben», sagt Augustin Rebetez. Er hat recht, manchmal genügt dafür ein Museum.

Augustin Rebetez. Vitamin. Bis 29. Mai, Aargauer Kunsthaus, Aarau.

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