notifications
Kolumne

«Glamour, mon amour»: Vom Husten verweht

Unsere Kolumnistin verpasste dieses Jahr gleich drei Termine, auf die sie sich sehr gefreut hatte – wie es dazu kam und wie sie das in Zukunft vermeiden will.
Ein Bild wie «das Frühstück» von Paul Signac ist die künstlerische Darstellung des Jahres unserer Kolumnistin.
Bild: PD

Das Jahr einer Journalistin sieht aus wie ein pointillistisches Gemälde. Sie wissen schon, diese Bilder, die aus klar voneinander abgesetzten, einzelnen Punkten bestehen. Erst von weitem betrachtet, ergibt sich ein Ganzes. Hinter dem Grossteil der Punkte verbirgt sich ein exakter Termin, den man sich nicht aussuchen kann und der sich auch nicht verschieben lässt. Es sei denn, etwas Existenzielles kommt dazwischen. Etwa die Gesundheit. Bei mir hat in den letzten drei Monaten dreimal die Lunge dafür gesorgt, dass ich Termine, auf die ich mich riesig gefreut hatte, nicht wahrnehmen konnte.

Wobei ich beim ersten wenigstens noch 60 von 150 Minuten lang dabei war. Beim Film «Anatomie d’une chute» nämlich. Es war ein Abend am Filmfestival Locarno, mir war bewusst, dass die Ozonbelastung wie jeden Sommer im Tessin nicht gerade bescheiden und für Asthmatiker ein Problem war. Ich sass also im Kino, der Film war im Spannungsaufbau begriffen, die «fabulöstastische» Sandra Hüller spielte eine Schriftstellerin, deren Mann eines Tages tot vor ihrem Chalet gefunden wird; schnell gilt sie als Hauptverdächtige und steht vor ­Gericht.

Ich dachte, wow, schier unerträglich, wie krass der Film an dieser Stelle Fahrt aufnimmt, wie er zu einem Kaleidoskop der Verdachtsmöglichkeiten wird, wie jede Gewissheit verloren geht. Und da passierte es, ein Asthmaanfall schlich sich an, liess sich nicht mehr unterdrücken, äusserte sich in Keuchen, Atemnot und explosivem Husten. Offenbar war nicht nur der Ozonwert, sondern auch die Spannung atemberaubend. Ich stand auf, verliess das Kino und hustete frustriert ein paar ungerührte Palmen voll. Früher hätte ich noch versucht, so was unhöflich auszusitzen, seit Corona geht das nicht mehr. Massenpanik würde sich breitmachen, ich schwör’s.

Den Film kann ich jetzt zum Glück nachholen. Die anderen beiden Termine nicht. Sie gingen im Nebel von Corona unter. Das Virus erlegte mich am Zurich Film Festival, dort also, wo niemand mehr eine Maske aufsetzte und alle die postpandemische Freiheit feierten. Das Virus lachte uns alle aus, begann seine Infektionstour bereits am Eröffnungsabend, wie sich bald herausstellte, und setzte sie gut gelaunt während des ganzen Festivals fort. Es schlenderte zwischen den Stars über die Teppiche und setzte sich gemütlich während der Vorstellung dem Publikum auf den Schoss, so auch auf meinen. Das Festival wurde zu seinem vollen Erfolg.

Mein Interview mit Peter Doherty, dem britischen Punkrock-Junkie, den ich in meinen jüngeren Jahren innigst geliebt hatte, weil seine Songs eine dreckige Erlösung in jeder Lebensproblemlage bedeutet hatten, fiel flach. Ebenso ein Talk mit dem grundnetten dänischen Wangenknochen-Mann und Schauspieler Mads Mikkelsen. Ich weinte ein bisschen in meine Kissen und suchte nach der in die schwärzeste Dunkelheit eines Schrankes verbannten Schachtel mit den Masken. Ich werde sie jetzt wohl wieder öfter tragen. Um nicht noch mehr zu verpassen.

Kommentare (0)