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Lucerne Festival

Festival-Wochenende: Ein Eclat und heftige Emotionen bis hin zu «Slava Ukraini»

Eine Wochenende mit Buhs, Jubel und Tränen: Neue Musik, unterschiedliche Generationen und Tränen für die Ukraine am Lucerne Festival.
Nationalhymne als Zugabe: Ukrainian Freedom Orchestra unter Keri-Lynn Wilson auf Europa-Tour im KKL.
Bild: Priska Ketterer/Lucerne Festival

«Früher kamen die Teilnehmer mit Tabellen voller Akkorde und Intervalle, heute wird viel über Inspiration und Emotion gesprochen», sagte der Komponist Dieter Ammann, als er am Freitag als Moderator des «40min» quasi das Festival-Wochenende eröffnete. «Musik soll wieder kommunizieren», lautete sein Fazit zu den Werken aus dem Composer-Seminar, die zur Uraufführung kamen. Für die jungen Komponisten herrschten hier in Luzern «paradiesische Zustände», das fände man im Berufsleben nie wieder.

Zeitgenössische Musik, moderiert: Dieter Ammann im 40min-Konzert zum Composer seminar.
Bild: Manuela Jans-Koch/Lucerne Festival

Auch das Resultat lässt sich hören. Wütend erklingt «Rup­ture» von José Manuel Castro Brandão, kleinteilig und auf seltsame Art sinfonisch präsentiert sich Lukas Stamms «All that is solid melts into air» – dirigiert durch Xizi Wang mit Energie, die aus dem Bauch die Wirbelsäule hoch strömt und sich in zwingenden Kopfbewegungen manifestiert.

Ärger für Yuja Wang – und das Publikum

Das «40min»-Gratiskonzert ist im Luzerner Saal auch gut besucht, weil eine halbe Stunde danach im Konzertsaal das Oslo Philharmonic unter der Leitung von Klaus Mäkela mit der Pianistin Yuja Wang für einen komplett ausverkauften Saal und einige Überraschungen sorgt.

Dirigent Klaus Mäkelä mit Pianistin Yuja Wang.
Bild: Manuela Jans-Koch/Lucerne Festival

Gleich zu Beginn wird mit der Orchesterfantasie «Der Sturm» das komplette Klangarsenal von Tschaikowsky ausgepackt. Man kann sich kaum aufs Konzert einstellen, bevor man weggedonnert wird. Jedes Forte wird unter Mäkelä zum Höhepunkt. Das ist zwar spektakulär, lässt aber den grossen Bogen vermissen. Die Balance ist klar zugunsten von Blech und Bässen ausgelegt, das gibt den Streichern etwas Toleranz, deren distanzierte Verschwommenheit durchaus zum Programm passt.

Yuja Wang betritt mit Vorschusslorbeeren die Bühne. Diesen Abend macht sie jedoch eher Dienst nach Vorschrift. Sie tut es zwar – in Ravels beiden Klavierkonzerten – wahnsinnig energetisch, virtuos und professionell. Doch das Adagio assai im G-Dur-Konzert lässt keine Magie entstehen. Mitverantwortlich ist auch das Publikum, das gerade in diesem zweiten Satz unentwegt raschelt, flüstert und sogar schmatzt.

Vielleicht ist es das, was Wang verärgert. Sie tritt beim Applaus zwar drei Mal kurz auf die Bühne, lässt dann aber das Publikum knapp zehn Minuten lang durchklatschen, ohne sich noch einmal blicken zu lassen. Ohne Erklärung beginnt das Saalpersonal irgendwann mit dem Umbau. Auf Social Media war Wang gleichentags noch eifrig mit Sightseeing an der Seepromenade und im Richard-Wagner-Museum beschäftigt, seitdem liess sie nichts mehr von sich hören. Im Saal reagiert man verärgert. Buh-Rufe, Pfiffe, einige Gäste stürmen aus dem Saal. Es steht zwar 0:1 für Wang. Aber einen Machtkampf gegen die eigenen Fans kann man eigentlich nicht gewinnen.

Danach spielen die Osloer noch Skrjabins «Poème de l’extase». Eine üppige, grüne Hügellandschaft tut sich auf. Von allem ein wenig, nicht zu viel. Am Schluss ist sie doch noch da, die Ekstase von Skrjabin. Trotzdem ist Sibelius’ «Der Schwan von Tuonela» – als Zugabe – eigentlich der beste Programmpunkt des Abends.

Dank an den Pianisten András Schiff

Reist mit seinem historischen Flügel: András Schiff.
Bild: Manuela Jans-Koch/Lucerne Festival

Dazu bietet der Samstagabend auch einen Generationenwechsel. Der Pianist András Schiff beweist in seinem Rezital, dass er auch mit bald 70 Jahren noch lange ernst zu nehmen ist. Mit Schalk und interessanten Zusammenhängen führt er durch seine «Hommage an Leipzig».

Sein Hammerflügel, Jahrgang 1859, von Julius Blüthner, begleitet ihn auch nach Luzern. Verständlich, der Klang des Instruments alleine katapultiert einen schon in alte Zeiten. Dazu Schiffs unprätentiöses Spiel, passend zu Bachs Französischer Suite genauso wie zu Schumanns «Davidsbündlertänzen». Man meint beinah, der Flügel spiele von allein, so selbstverständlich klingt das alles. Es ist die sanfte Variante der Abkühlung nach der Hitzewelle. Zart, inspiriert, nährend: Ein Pianist, dem man statt der Buhs vom Vortag tiefen Dank für die Musik entgegenbringt.

Die Sensation ist das Orchester aus der Ukraine

Am Sonntagmorgen sorgt das Ukrainian Freedom Orchestra für bewegende Momente, drei Tage, nachdem es in Berlin den Unabhängigkeitstag der Ukraine bespielt hat. Der Ton ist gesetzt mit Verdis streng und dringlich gespielter Ouvertüre zu «La forza del destino» und Beethovens «Eroica», gespickt mit nicht enden wollendem Impetus. Dazwischen erinnert Jewhen Stankowytschs 2. Violinkonzert in den Kantilenen an Szymanowsky, wenn auch mit mehr disruptiven Elementen. Das Spiel des ukrainischen Solisten Valerij Sokolov ist durchdringend, virtuos in den Kadenzen, butterweich in leisen Stellen.

Doch die Sensation ist das Orchester. Die Musiker geben alles, kompromisslos, enorm kompakt und ohne Angst vor Verlusten. Das Orchester, bestehend aus Musikern ukrainischer Orchester und Ukrainern in europäischen Orchestern, verfügt über Verbündete in Kultur und Politik (unter anderem Olena Selenska, ukrainische First Lady, als Schirmherrin).

Nach zwei Wochen Proben in Warschau tourt das Orchester durch Europa Das Zusammenspiel widerspiegelt die offenen Ohren, die das Fehlen eines gemeinsamen Heimatsaals unterstützt. Zugabe ist die ukrainische Nationalhymne. Dirigentin Keri-Lynn Wilson ruft «Slava Ukraini» in den Saal, einige Musiker bekreuzigen sich. Das Publikum wie das Orchester weinen – auch das ein Höhepunkt an Inspiration und Emotion an diesem Festival.

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