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Academy Awards

«Everything Everywhere All at Once» macht seinem Titel alle Ehre und räumt siebenfach an den Oscars ab

Der zweite grosse Gewinner des Abends, der deutsche Beitrag «Im Westen nichts Neues», holt vier Awards. «Elvis», «The Banshees of Inisherin» und «The Fabelmans» sind die grossen Verlierer der 95. Verleihung, die dieses Jahr frei von Skandalen blieb.

Das Märchen ist an seinem glücklichen Höhepunkt angelangt: «Everything Everywhere All at Once» krönte an der 95. Verleihung der Academy Awards endgültig seinen überraschenden Triumphzug, der dem Film innerhalb eines Jahres Hunderte von Auszeichnungen eingebracht hatte. Mit elf Oscar-Nominierungen ins Rennen gegangen, holte die Science-Fiction-Action-Komödie sieben davon, darunter in den wichtigen Kategorien Bester Film, Beste Regie, Beste Hauptdarstellerin, Originaldrehbuch und beide Nebendarstellerpreise. Die malaysische Action-Ikone Michelle Yeoh (60) triumphierte unter anderem über Cate Blanchett («Tár») und holte als erste Asiatin den Oscar für die beste Hauptdarstellerin.

In ihren emotionalen Reden verwiesen die Preisträgerinnen und Preisträger von «Everything Everywhere All at Once» immer wieder auf das gemeinschaftliche Wunder, dass ihr kleiner, verrückter Film nun im Hollywood-Olymp angekommen sei. So wie Ke Huy Quan, der den Award für den besten Nebendarsteller erhielt, und die Kraft des amerikanischen Traums beschwor. Der gebürtige Vietnamese hatte als Kinderstar Auftritte in «Indiana Jones and the Temple of Doom» und den «Goonies», anschliessend war seine Schauspielkarriere ins Stocken geraten. Hollywoods «Scream Queen» Jamie Lee Curtis («Halloween»), die als beste Nebendarstellerin gewann, betonte lautstark: «Wir haben alle zusammen einen Oscar gewonnen.»

Kein Kompromisskandidat

«Everything Everywhere All at Once» ist nicht die klassische Wahl des gefälligen Kompromisskandidaten, auf den man sich allgemein einigen kann, wie früher öfters geschehen. Eine treue und wachsende Fangemeinde feierte den wilden Trip einer chinesischen Waschsalonbesitzerin durchs Multiversum, für andere war dies zu anstrengend und albern. Zwar ist die Geschichte vom gegenwärtigen Superheldenhype geprägt und auch ihre familienfreundliche Moral ist Hollywood-konformer, als es die Prämisse andeutet. Doch zumindest wird hier mit einem multinationalen Cast ein Stückweit Originelles gewagt. Und hinter all dem Spektakel verbirgt sich zudem ein kleines Lehrstück über Migration in Amerika.

Wie man zu dem Film auch stehen mag, eines muss man ihm lassen: Sein sensationeller Erfolg markiert womöglich den sanften Anfang einer dringend benötigte Frischzellenkur. Für eine mit Fortsetzungen, Remakes oder historischen Biopics gesättigten Branche, der man in den vergangenen Jahren häufig vorgeworfen hatte, zu exklusiv, zu weiss, zu männlich zu sein. Und damit auch zu einfallslos und uninspiriert. Nicht umsonst bemerkte Jimmy Kimmel, der bei seinem dritten Einsatz als Moderator zwischen unscheinbar und unsichtbar changierte: «Hollywood sind die Ideen ausgegangen. Selbst Steven Spielberg musste einen Film über sich selbst drehen.»

Auch ein Abend grosser Verlierer

Als Vertreter des klassischen Erzählkinos war eben jener Spielberg mit seinem semi-autobiografischen Film «The Fabelmans» einer der Leidtragenden dieser Verleihung. Spielberg hatte, ähnlich wie Martin Scorsese, trotz all seiner immensen Erfolge bei den Oscars persönlich noch nie den Status eines Selbstläufers. Er erhielt den Regie-Oscar zweimal; als bisher einziger Regisseur, der in sechs Dekaden (seit 1977) nominiert war. Auch Baz Luhrmans «Elvis» ging komplett leer aus, Austin Butler musste sich für die Beste Hauptrolle Brendan Fraser geschlagen geben, der als einsamer, extrem übergewichtiger Professor in «The Whale» überzeugte.

Ein gebrauchter Abend war es auch für das hochdifferenzierte Dirigentinnendrama «Tár» von Todd Field, das trotz mehrfacher Nomination ebenso das Nachsehen hatte wie die Tragikomödie «The Banshees of Inisherin». Dabei schien vieles für die Iren möglich, was sich in dem schönen Satz von Jimmy Kimmel äusserte: «Wir haben heute Nominierte aus allen Ecken von Dublin». Doch am Ende durfte von der «Banshee»-Crew lediglich eine tierische Mitwirkende, die Eselin Jenny, für einen Kurzauftritt auf der Bühne stehen. Immerhin erhielt der Protagonist des besten Kurzfilms, «The Irish Goodbye», ein Geburtstagsständchen; ein netter Moment innerhalb eines steifen Anlasses.

Edward Berger freut sich über den vierten Oscar-Gewinn für Deutschland in der Sparte Bester Internationaler Film.
Bild: Bild: Caroline Brehman / EPA

Der zweite grosse Gewinner des Abends, «Im Westen nichts Neues», die grosse Hoffnung von Deutschland und von Netflix, holte nicht nur den Oscar für den besten internationalen Film, sondern auch zwei Preise in technischen Kategorien wie Kamera und Szenenbild und den für die beste Filmmusik. Zwar ist Edward Bergers Film technisch beeindruckend, doch die ungefilterte Brutalität wirkt derzeit noch unpassender als ohnehin. Dazu passte, dass bei einem selbsterklärten Antikriegsfilm, der die Schrecken auf dem Schlachtfeld präsent machen will, niemand bei den Dankesreden ein Wort zur Ukraine verlor. Lediglich die Macher des besten Dokumentarfilms «Navalny» gingen auf Putins Machenschaften ein.

Bloss keine Skandale

Hoffentlich keine Ohrfeige! Das werden sich die Produzenten der Show gedacht haben, nachdem letztes Jahr Will Smith dem Moderator Chris Rock heftig und unerwartet ins Gesicht schlug. Dieser hatte zuvor einen Witz über die Kahlköpfigkeit von Smiths Frau gerissen. Der Skandal, in dessen Folge Smith für zehn Jahre aus der Oscar-Academy verbannt wurde, blieb mehr in Erinnerung als die taubstummen Preisträger von «Coda». Auch wenn die Quoten der Show seit Jahren in den Keller gehen, war ein solcher Eklat sicher nicht das, was die Preisausrichter beim Stichwort «mehr Action» im Sinn gehabt hatte.

Wenn schon keine Ohrfeige, wünschte sich womöglich manch eine oder einer im Publikum zumindest irgendein Skandälchen zur Auflockerung einer zum Ritual erstarrten Selbstbeweihräucherungsroutine. Die gab es inklusive der üblichen Zutaten: In tränenumflorten Reden bedankte Mütter, das (dieses Jahr von Lenny Kravitz) musikalisch begleitete Gedenken für die Verstorbenen, eine peinliche Frage-und-Antwort-Runde des Moderators. Wie in den Vorjahren blieb die Veranstaltung zahm und und zog sich ohne roten Faden über zähe dreieinhalb Stunden, unterbrochen durch mehr Werbepausen (schier unendlich), als es Kategorien gibt (23). «Wenn ich mir schon eure ewig langen Filme im Kino ansehen muss, dann könnt ihr hier auch eben so lange sitzen», scherzte Moderator Kimmel zum Saal.

Moderator Jimmy Kimmel mit Eselin Jenny aus «The Banshees of Inisherin».
Bild: Bild: Etienne Laurent / EPA

Dass das Ausharren auf die Bekanntgabe der Gewinner streckenweise wieder zum argen Geduldsspiel wurde, kann nicht nur dem Korsett der Show, sondern auch dem Host angerechnet werden, der nur punktuell treffende Sprüche brachte. In seiner Eröffnungsrede hob Kimmel die Wichtigkeit des Kinos hervor, obwohl er als gestandener Fernsehmann auch die steigende Bedeutung von TV-Produktionen nicht kleinreden konnte. Sehr geholfen für den Neustart der grossen Leinwand nach Corona hätten zwei Sequels, «Top Gun: Maverick» («Der Kinofilm, der Kinofilme gerettet hat») und natürlich «Avatar: The Way of Water».

Die Nichtnominierung von dessen Regisseur James Cameron nahm Kimmel zum Anlass, spitzzüngig zu fragen, ob dies nun ein Kriterium dafür sei, dass Cameron eine Frau wäre. Schliesslich gab es dieses Jahr keine einzige Kandidatin auf die beste Regie. Dafür erhielt immerhin mit Sarah Polley eine Frau die Auszeichnung für das beste Originaldrehbuch, eine kluge Wahl. Genutzt hat die Kinorettung übrigens beiden Blockbustern bei den Oscars wenig: Sowohl «Top Gun: Maverick» als auch «Avatar: The Way of Water» erhielten lediglich eine der Goldstatuen. Weder Tom Cruise noch James Cameron nahmen an der Verleihung teil. Auch hier zeichnet sich womöglich eine kleine Wachablösung auf der Bühnen des Dolby Theatres ab.

Bester Film: «Everything Everywhere All at Once» (Daniel Kwan, Daniel Scheinert, Jonathan Wang)

Beste Regie: «Everything Everywhere All at Once» (Daniel Kwan & Daniel Scheinert)

Beste Hauptdarstellerin: Michelle Yeoh («Everything Everywhere All at Once»)

Bester Hauptdarsteller: Brendan Fraser («The Whale»)

Beste Nebendarstellerin: Jamie Lee Curtis («Everything Everywhere All at Once»)

Bester Nebendarsteller: Ke Huy Quan («Everything Everywhere All at Once»)

Beste Kamera: «Im Westen nichts Neues» (James Friend)

Bestes Originaldrehbuch: «Everything Everywhere All at Once» (Daniel Kwan & Daniel Scheinert)

Bestes adaptiertes Drehbuch: «Women Talking» (Sarah Polley)

Bester internationaler Film: «Im Westen nichts Neues»

Beste Filmmusik: «Im Westen nichts Neues» (Volker Bertelmann)

Bester Filmsong: «Naatu Naatu» aus «RRR» – Musik: M. M. Keeravani, Text: Chandrabose

Bestes Szenenbild: «Im Westen nichts Neues» (Christian M. Goldbeck, Ernestine Hipper)

Bestes Kostümdesign: «Black Panther: Wakanda Forever» (Ruth E. Carter)

Bestes Make-up und beste Frisuren: «The Whale» (Annemarie Bradley, Judy Chin, Adrien Morot)

Bester Schnitt: «Everything Everywhere All at Once» (Paul Rogers)

Bester Ton: «Top Gun: Maverick» (Chris Burdon, James Mather, Al Nelson, Mark Taylor, Mark Weingarten)

Beste visuelle Effekte: «Avatar: The Way of Water» (Richard Baneham, Daniel Barrett, Joe Letteri, Eric Saindon)

Bester Animationsfilm: «Guillermo del Toro’s Pinocchio»

Bester animierter Kurzfilm: «The Boy, the Mole, the Fox and the Horse»

Bester Kurzfilm: «An Irish Goodbye»

Bester Dokumentarfilm: «Nawalny»

Bester Dokumentar-Kurzfilm: «The Elephant Whisperers»

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