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Schweizer Film

Erfolgsregisseurin Petra Volpe über ihre Alters-Ehe-Komödie «Die goldenen Jahre»: «Sich des Todes bewusst zu sein, macht jeden Moment kostbarer»

Rente gut, alles gut? Nein, nach der Pensionierung wird das Leben turbulent, suggeriert Petra Volpe, die das Drehbuch für die Filmkomödie «Die goldenen Jahre» geschrieben hat: Denn das Geschenk zur Pensionierung führt das Ehepaar in die vorhersehbare Krise auf dem Kreuzfahrtschiff.

Petra Volpe,  Regisseurin und Drehbuchautorin.
Bild: Julian Voloj

Wären Sie gerne für immer jung?

Petra Volpe: Nein, ganz entschieden nicht. Ich konnte jeder Altersphase viel abgewinnen, und ich bin sehr gerne 50. Ich hatte noch nie die Sehnsucht, wieder jünger zu sein.

Sie haben gar keine Angst vor dem Alter?

Ich habe Angst vor Krankheit und dem Verlust geliebter Menschen, aber nicht vor dem Alter an sich. Es ist ein Privileg, alt zu werden, und ich tue auch mein Bestes, möglichst gut für meinen Körper zu sorgen. Aber ich bin schon manchmal erstaunt, wenn ich mich auf Fotos oder im Spiegel sehe, weil mein inneres Bild ein anderes ist als das äussere. Mein Vater kommentiert schon seit einigen Jahren meine grauen Haare und ist manchmal ganz erschüttert darüber, dass er eine so alte Tochter hat. Innerlich fühle ich mich sicher reifer als mit 25, aber ich habe nicht das Gefühl, dass meine Persönlichkeit ein bestimmtes Alter hat oder altert. Ich fühle mich jetzt mit Anfang 50 freier als mit 30, vieles macht mir weniger Angst, und das ist toll.

Woher kam denn die Idee für den Film über ein pensioniertes Paar?

Meine Eltern sind vor sieben Jahren pensioniert worden. Ich habe gemerkt, dass die Pensionierung für sie ein grosser Einschnitt ist im Leben, auch was ihre Beziehung angeht. Und das ist es für sehr viele Menschen: Dieser Schritt raus aus der Masse von Leuten, die jeden Tag arbeiten gehen, in die Gruppe jener, deren Leben nicht mehr von neun bis sieben strukturiert ist. Da kommen Ängste auf: Was tun mit all dieser Zeit? Was gibt meinem Leben noch Sinn, wenn ich in der Arbeit nicht mehr gebraucht werde? Wie ist das, wenn beide zu Hause sind? Das hat mich irgendwie berührt.

Esther Gemsch und Stefan Kurt als Ehepaar in «Die goldenen Jahre».
Bild: Filmcoopi / Aargauer Zeitung

Sind dann auch die Dialoge aus der Beobachtung der eigenen Eltern entstanden?

Nicht nur der eigenen Eltern. Ich konnte stärker als erwartet aus meinem eigenen Leben schöpfen, weil ich das Drehbuch während des Lockdowns in New York geschrieben habe; das heisst, mein Mann und ich waren plötzlich auch immer zu Hause und hatten kaum Distanz – wie Pensionierte. Viele Ideen stammen auch aus Gesprächen mit meinen Freundinnen, die wir seit Jahren führen. Wie will man diese kostbare Lebenszeit verbringen? Wie kann man Dinge ändern, wenn man unglücklich ist? Oder wie lange braucht es, bis man sich traut, etwas zu verändern, weil man Angst hat vor dem Unbekannten? Ist die Angst davor, allein zu sein, ein guter Grund, zusammen zu bleiben? Das Drehbuch schöpft also aus einer Sammlung aus meinem ganzen Leben.

Ist dieser Film denn auch als Ermutigung gedacht an Ihre Eltern und andere in Ihrem Alter?

Ja, definitiv, sowie an alle anderen Menschen. Die Angst vor Veränderung ist schliesslich ein universelles Thema, das einen in jedem Alter angehen kann. Es ist auch eine Ermunterung an mich selbst, an alle meine Freundinnen! Ich fand es aber interessant, ein Paar zu nehmen, das 65 ist und nochmals ein Coming of Age erlebt, nochmals darüber nachdenken muss: Was machen wir jetzt mit dieser restlichen Zeit? Im Alter hat diese Frage eine andere Dringlichkeit, weil die Endlichkeit doch ein bisschen näher gerückt ist.

Der Film ist eine Komödie. Wäre nicht ein ernster Film angebrachter gewesen?

Nein, im Gegenteil. Ein ernstes Thema ist immer die beste Basis für eine Komödie. Ich mag genau diese Gratwanderung zwischen lustig und traurig, die der Film geht, weil ich finde, so ist auch das Leben. Ich muss selbst oft in den schlimmsten Momenten lachen. Lachen und Weinen liegen sehr eng zusammen im Leben. Das möchte ich in meinen Filmen widerspiegeln.

Es gibt in der westlichen Welt überproportional viele alte Menschen, aber trotzdem handeln die allermeisten Filme von jungen Menschen. Die Filmindustrie scheint davon auszugehen, dass nicht einmal alte Menschen sich gerne alte Menschen auf der Leinwand ansehen.

Das ist diesem Jugendkult in Hollywood geschuldet. Da liegt was brach, in diese Leerstelle wollten wir genau hin mit unserem Film. Ich glaube, es gibt ein grosses Publikum, das sich nach guter und intelligenter Unterhaltung sehnt, in der sie ihr eigenes Leben widergespiegelt finden. Die Frauen sind eigentlich die tragende Kraft im Kino, vor allem beim älteren Publikum. Sie wünschen sich Geschichten, die sie auch direkt etwas angehen.

Es ist an der Zeit, dass 70-Jährige sich nicht ständig die Probleme 20-Jähriger anschauen müssen?

Genau. Und wenn das Thema universell genug ist, dann spielt das Alter keine grosse Rolle. Trotzdem finde ich es wichtig, dass man gewisse Aspekte des Alters anspricht, weil das Leben nicht mit 65 aufhört. Ich fand es sehr krass, dass während Covid darüber diskutiert worden ist, wer noch weiterleben darf und wer nicht. Ich finde es zynisch, wenn es so einen künstlichen Schnitt gibt. Wir werden heute viel älter als früher, und das können noch sehr erfüllte, reichhaltige Lebensjahre sein.

«Die goldenen Jahre» mit Stefan Kurt, Ueli Jäggi und Esther Gemsch auf dem Kreuzfahrtschiff.
Bild: Filmcoopi / Aargauer Zeitung

Wollten Sie gängigen Darstellungen von Alter etwas entgegensetzen?

Ja, vor allem dieser Idee, dass es so eine Art Hafen gibt, oder dass es ein Ankommen gibt. Das ist eine Illusion. Es hört erst auf, wenn es wirklich aufhört, und das ist, wenn man tot ist. Vorher ist eigentlich immer noch alles möglich. Man kann jederzeit noch sein Leben ändern. Man kann jederzeit eine schlechte Beziehung beenden. Man kann jederzeit nochmals was Neues lernen. Man kann neugierig bleiben. Diesem Stillstand, der oft mit dem Alter verbunden wird, dem wollte ich im Film ganz viel Bewegung entgegensetzen.

Sie geben auch Impulse für neue Formen des Zusammenlebens im Alter.

Die meisten Scheidungen gibt es bei den über 50-Jährigen, die sogenannten grauen Scheidungen. Und ich finde es schade, dass eine Scheidung so oft mit einem totalen Bruch endet, nachdem man 40 Jahre zusammen verbracht hat. Der Film ist eine Ermutigung, sich nicht in Konventionen zu verfangen, sondern sich zu überlegen, was man wirklich will, was einen glücklich macht und wie man neue Beziehungsformen ausprobieren kann. Vielleicht ist es gar nicht so gut, als altes Ehepaar irgendwo allein in einem Häuschen zu hocken. Mein privater Traum ist es, eine grössere Gruppe von Menschen zu sein, die sich unterstützen kann, wenn die Dinge etwas haarig werden.

Ihr bekanntester Film ist der Emanzipationsfilm «Die göttliche Ordnung». Und zuletzt haben Sie das Drehbuch für die Serie «Frieden» geschrieben, da geht es um die Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Sie haben jeweils wochenlang in Archiven recherchiert. Ging dieser neuste Film Ihnen vergleichsweise leicht von der Hand? Oder wirkt er nur so leicht?

Er bot eine ganz andere Herausforderung. Das ist mein bisher persönlichster Film. Aber dadurch habe ich mich auch viel stärker gefragt: Braucht die Welt diese Geschichte? Ausserdem habe ich das Drehbuch während der Covid-Zeit in New York geschrieben, die für viele Menschen sehr traumatisch war. Mir war also nicht sonderlich fröhlich zumute. Gerade wegen ihrer Leichtigkeit ist Komödie eigentlich die höchste Kunst.

Würden Sie gerne ewig leben?

Nein, auf keinen Fall. Ich finde, diese Endlichkeit hat auch was Reizvolles, und ich glaube, irgendwann ist auch mal genug. Ich denke sehr viel über den Tod nach – so viel, dass es meinen amerikanischen Mann manchmal nervt, der das für sehr europäisch dunkel hält. Ich empfinde das aber gar nicht als pessimistisch. Der Tod ist die grösste Unbekannte in unserem Leben, und das verbindet alle Menschen. Er ist komplett unausweichlich und bleibt niemandem erspart, egal wie reich oder arm man ist. Sich des Todes bewusst zu sein, ihn nicht zu verdrängen, macht eigentlich das Leben erst einzigartig, macht jeden Moment kostbarer.

Der Film «Die goldenen Jahre» läuft heute/diese Woche in den Schweizer Kinos an.

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