notifications
Kunstszene

Er malt George Floyd, der «I cant't breathe» ruft: Bilder, die man hören kann

Der schwarze Maler Armando Alleyne ging mit Jean-Michel Basquiat zur Schule, war fast zehn Jahre obdachlos, jetzt wird er langsam als Künstler anerkannt. Dazu beigetragen hat seine erste Monografie, für die sich ein Schweizer Verlag stark gemacht hat. 
Armando Alleyne in seinem Studio in Brooklyn. Seine Kunst findet allmählich Sichtbarkeit.
Bild: Foto: Sedon Pepper, 2020

Jetzt, mit Anfang sechzig, hat Armando Alleyne ein Zimmer für sich allein. Es ist ein Studio, in dem er lebt, malt und betet. Ein Korridor führt durch eine schmale Küche und weitet sich dann in sein Schlaf- und Arbeitszimmer. Zwei Fenster zur Atlantic Avenue in Brooklyn lassen viel Licht hinein. Am Radio läuft 88,3 FM, ein Jazzsender. Zur Musik malt der Künstler seine Bilder, er nennt sie Jazzporträts. Gesichter, ernst im Ausdruck, heiter in den Farben. So fühle er sich, «ernst und heiter», sagt Armando Alleyne, im Grunde sei er sehr ernst, sogar, wenn er Witze mache.

Aretha Franklin hängt neben dem Fenster, Dizzy Gillespie im Korridor. In einer Ecke stapeln sich Thelonious Monk, Nina Simone, Miles Davis; Charlie Parker, Billie Holiday, Nat King Cole. Finger auf Tasten, vervielfachte Saxofone, Schlagzeuge. Man sieht den Rhythmus, am liebsten würde man sich diesen Bildern entlanghören.

Sein Herz gilt der Musik und der Politik

Wir sitzen am kleinen Küchentisch, trinken Kaffee und reden. Immer wieder springt Armando Alleyne auf, um ein Bild aus einem Stapel hervorzuholen oder ein Foto zu zeigen. Seine sterbende Schwester Maria, sein Vater, ein männlicher Akt. Das Triptychon von George Floyd bereitet er auf dem Bett aus; die Worte «I can’t breathe» umkreisen dessen Kopf. Armando Alleyne ist auch ein politischer Künstler.

Er hat immer gemalt; seine Familie, seine Umgebung, das Zeitgeschehen. Wenn er kein Geld für Farbe hatte, schnitt er Papier aus Magazinen aus und gestaltete Collagen. Ein, zwei Collageelemente fügt er bis heute den meisten Acrylmalereien bei: Da eine kleine Packung Cornflakes, weil er Musik für «stärkend» halte, sagt er mit Schalk, dort ein Kondom während der Aidskrise, oder eine dieser blauen OP-Masken während der jüngsten Pandemie. Hinzu kommen Hieroglyphen, kleine Zeichen, deren Bedeutungen nicht festgelegt sind. Oft dienten sie einzig als dekorative Elemente, seine Anleihe bei der Graffitikultur.

Armando Alleyne teilt sein Studio grosszügig mit seinen Ahnen, dem Gott Olodumare und der Heiligen Maria: Fünf verschiedene Altäre hat er bei sich eingerichtet. Mit Fotos verstorbener Familienangehöriger, Idolen, Heiligen und Gottheiten; mit Kreuzen, Kerzen, Blumen, Opfergaben und Figuren, etwa einer schwarzen Maria. Die katholischen Einflüsse seiner puertoricanischen Mutter und die afrikanischen Wurzeln seines im karibischen Barbados geborenen Vaters kommen hier zusammen.

Seine Jugend ist getränkt von Jazz und Soul

Er hatte nie viel Platz. Aufgewachsen ist Armando Alleyne mit neun Geschwistern in einer Sozialwohnung an der Lower East Side in Manhattan, vier Brüder teilten ein Zimmer. «Projects» nennt man in New York diese dichten Backstein-Hochhaussiedlungen, die an sozialistischen Wohnbau erinnern. Der Vater war ein Zweit-Weltkriegs-Veteran, der durch Granatsplitter ein Auge verloren hatte; die Familie lebte von seiner Pension. Er hörte viel Jazz und Soul und erzählte Anekdoten über die Musiker. Der gut zwanzig Jahre jüngeren, lebenslustigen Mutter war es wichtig, ihren Kindern Kunst nahezubringen; sie nahm sie so oft als möglich mit in Museen, manchmal auch ins Kino oder Theater. «Sie hat mich zum Malen ermutigt», sagt Armando Alleyne. Er erinnert sich gut an einen Calder-Film, in dem jener filigrane Zirkusfiguren animierte, sowie an eine frühe, grosse Picasso-Ausstellung.

Den ständigen Drang zu malen.
Bild: Patrick Frey Edition

Wie Picasso fragmentiert Armando Alleyne Gesichter mit verschiedenen Farben. Und wie einst Picasso sammelt er afrikanische Masken, einige hat er im Gang aufgehängt. Früher bat er manche seiner Modelle, sie anzuziehen. Er selbst denke aber eher an Miró und Matisse als Einflüsse, ausserdem sehe er sich in der Tradition schwarzer Künstler wie Kara Walker, Bob Thompson sowie Jean-Michel Basquiat, mit dem er gemeinsam in New York die Schule «City as College» besuchte. Wenige Wochen vor dessen Tod habe er ihn auf der Strasse getroffen; Basquiat habe ihm 350 Dollar in die Hand gedrückt und sich bei ihm bedankt.

Alleyne arbeitete eine kurze Zeit als Lehrer am City College in New York, wo er zuvor in Kunst und Pädagogik abgeschlossen hatte. Als die Aids-Krise kam, verlor er einen grossen Teil seiner Freunde und später seine ihm nahe stehende Schwester Maria. «I was deeply, deeply, deeply depressed.» Er konnte nicht mehr unterrichten. Er konnte keine Miete mehr bezahlen und wurde schliesslich obdachlos. Er sollte es neun Jahre lang bleiben.

Seine Bilder sind im Obdachlosenheim unerwünscht

In den Obdachlosenunterkünften ging es ihm immer schlechter. Armando Alleyne ertrug das Essen nicht, musste ständig erbrechen. Doch irgendwann entdeckte er ein etwas besseres Heim und siedelte um, alsbald in ein noch etwas besseres. Er ging von Arzt zu Arzt, bis ihm einer helfen konnte. Während all der Zeit malte er weiter. Doch wohin mit den Bildern? Er steckte sie unter seine Matratze, doch das verbot man ihm – «ein Brandrisiko», hiess es im Heim. Er steckte sie in seinen Spind – «Brandrisiko», hiess es wieder. Vieles verschwand, wurde gestohlen oder weggeworfen. Zuletzt half ihm ein Heimarbeiter zu einer Invalidenrente aufgrund seiner Depressionen. Er fand heraus, aus dem Heimzyklus.

Dass Armando Alleyne derzeit in der Schweiz fast bekannter ist als in New York, ist einigen Zufällen und Stephanie Rebonati zu verdanken. Sie ist die Mitherausgeberin von Armandos erster Monografie «A Few of My Favorites» in der Edition Patrick Frey. «Wir haben Armando nicht gefunden, er war schon da», betont Stephanie Rebonati. Als Erstes sei der Sänger Sedon Pepper 2015 in einem Secondhandladen auf Armandos Bilder gestossen. Er wollte mehr über den Künstler wissen und hinterliess seine Telefonnummer im Laden. Ein Jahr später bekam er einen Anruf von Armando, lernte ihn kennen. Kurz darauf kam er auf einem Treppenabsatz in Brooklyn mit Stephanie Rebonati darüber ins Gespräch.

Seine Kunst zieht ein in Schweizer Konsulat

Die erste Monografie, der Verlag von Patrick Frey macht es möglich.
Bild: Bild: PD

Stephanie Rebonati hat sich zwei Jahre Zeit genommen, Armando Alleyne kennen zu lernen. «Er ist der wahrste Künstler, den ich kenne», sagt sie, «er hat diesen ständigen Drang, zu malen, und einen ganz eigenen Stil». Zusammen mit einer Co-Herausgeberin, dem Künstler und einem jungen Graphik-Team aus Brooklyn wurde jedes Detail des Buches gemeinsam entwickelt, von der Farbe des Papiers über den besonderen Aufbau –­ Bilder vor Text. 2021 ist die Monografie vom Bundesamt für Kultur zu einem der «schönsten Schweizer Bücher» des Jahres gekürt worden. «Es gibt mir ein gutes, warmes Gefühl, dass es dieses Buch gibt», sagt Stephanie Rebonati, «etwas, das uns alle überdauern wird».

Allmählich gewinnt Armando Alleyne auch in New York an Bekanntheit. Die zweite Ausstellung in der kleinen Galerie Carracci Art im Finanzdistrikt hat kürzlich mit vielen Verkäufen geendet, eine Buchpräsentation auf dem Schweizer Konsulat folgt im Juni. Armando Alleyne bekommt Raum.

Armando Alleyne: A Few of My Favorites, erschienen im Verlag Patrick Frey, Zürich

Kommentare (0)