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Zurich Film Festival

Ein Flüchtlingsdrama eröffnet das diesjährige ZFF und der Bundespräsident outet sich als Kinoverfechter

«The Swimmers» hat nicht nur zwei charismatische Hauptdarstellerinnen. Der Film ist auch Teil der Debatte, wie gut Streamingdienste wie Netflix an Festivals aufgehoben sind.

Schwestern im Leben und im Spielfilm: Manal und Nathalie Issa.
Bild: Bild: Zff

Das Zurich Film Festival ist endlich volljährig geworden. Das bedeutet zur Eröffnung der 18. Ausgabe im Kongresshaus der Stadt am Freitagabend: Es darf gefeiert werden, stilecht, nicht zu knallig mit kleinen Moët-Fläschchen samt Goldaufsatz. Der obligatorische grüne Teppich wurde ausgerollt für die Crew des Eröffnungsfilms «The Swimmers», darunter auch Stargast Matthias Schweighöfer.

Zudem tummelten sich ein bisschen Schweizer TV-Prominenz und diverse Influencerinnen in der Eingangshalle. Allesamt wunderschöne oder in manchen Fällen wunderschön gemachte Menschen, die sich sichtlich mehr darum bemühen, vor der Sponsorenwand abgelichtet zu werden, als halbwegs rechtzeitig den Film zu sehen. Moviebusiness as usual.

Der Nachwuchs wird zu Stars

In seiner selbstbewussten Eröffnungsrede erklärte ZFF-Direktor Christian Jungen am Beispiel des britischen Schauspielers Eddie Redmayne das Credo des Festivals: Neue Gesichter entdecken und dem Nachwuchs eine Plattform bieten. Als Redmayne 2007 das erste Mal in Zürich mit dem Drama «Savage Grace» war, kannte ihn kaum jemand. 15 Jahre später kehrt er als Oscarpreisträger («The Theory of Everything») zurück und präsentiert am Samstag den Serienmörderfilm «The Good Nurse».

Nachdem die Stadtpräsidentin von Zürich, Corine Mauch, sich noch teils selbstironisch, teils tapsig durch diverse Filmzitate hangelte, betrat Ignazio Cassis die Bühne. Der Bundespräsident hatte nach dem Wirbel um seinen fröhlichen Handshake mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow an der UNO-Generaldebatte ein dankbares Publikum vor sich. Das freute sich über ein wiederholtes «Viva il cinema!» an diesem Abend.

Der Tessiner verwies schon qua Herkunft auf die belebende Konkurrenz zu Locarno und sprach von den aufstrebenden Streamingdiensten, die ganz neue Orte für die Zuschauer erschlössen. Dennoch warb Cassis für das gemeinsame Filmerlebnis: «Die Kinos als moderne Lagerfeuer, die Filme als Mittel der Verständigung über Grenzen hinweg und die Branche als mutiges, kreatives Feld: Diese drei Punkte zeigen meines Erachtens die anhaltende Bedeutung des Filmschaffens gerade auch in anspruchsvollen Zeiten.»

Ohnehin ist das zwischen Filmfestivals und Streamingdienste noch nicht ganz die grosse, uneingeschränkte Liebe. Während die Online-Plattformen in Cannes wegen der speziellen französischen Regularien mehrheitlich Hausverbot haben, eröffneten kürzlich Venedig und nun am Donnerstagabend auch Zürich jeweils mit einer Netflix-Produktion. Man nähert sich an, man muss es angesichts der veränderten Marktbedingungen, bei denen die Streamer mehr und mehr mitreden.

Aufrüttelnde Momente in «The Swimmers»

Mit «The Swimmers» hat das ZFF eine solide und schöne Wahl getroffen, für den Start, für das Publikum, für das Kino. Nicht jeder Film mit dem roten Netflix-Logo ist für die grosse Leinwand gemacht; in diesem Fall wäre es schade gewesen, ihn ihr vorzuenthalten. Denn trotz mancher inszenatorischer Schwäche und der Überlänge von 134 Minuten, hat das auf einer wahren Geschichte basierende Drama der walisisch-ägyptischen Regisseurin Sally El Hosaini immer wieder aufrüttelnde Momente und eine lebenszugewandte Grundhaltung.

«The Swimmers»: Yusra Mardini, Regisseurin Sally El Hosaini, Nathalie Issa auf dem grünen Teppich in Zürich.
Bild: Michael Buholzer / Keystone

Die beiden Schwestern Yusra und Sarah Mardini wachsen in einer wohlhabenden Familie in Damaskus auf. Ihr Vater, ein ehemaliger Schwimmprofi, gibt seine Leidenschaft energisch an die Töchter weiter. Während des Bürgerkriegs, der im Frühjahr 2011 ausbrach, schwanken diese zwischen Durchhalteparolen und einem Fatalismus, der sich schliesslich in einem Moment der Weltvergessenheit entlädt, bei dem beide zu David Guettas und Sias Song «Titanium» auf einer Rooftop-Party tanzen. Im Hintergrund regnen Raketen auf Häuserdächer, Explosionen erleuchten den Nachthimmel.

Doch diese schwer zu ertragende Normalität von Bombardierungen als alltägliche Begleiterscheinung nimmt bald ein Ende. Als 2015 der Krieg eine weitere Eskalationsstufe erreicht und eine Bombe das Trainingszentrum trifft, beschliessen die Mädchen nach Deutschland zu fliehen. Die Route des Grauens und der permanenten Unsicherheit führt sie via Istanbul weiter per Boot, später mit dem Lastwagen und zu Fuss. Besonders eindrücklich sind die Szenen, in denen die beiden Schwimmerinnen das lecke Flüchtlingsboot über das offene Meer manövrieren.

Ein versöhnliches Ende

Bei ihrer Ankunft im malerischen Griechenland markiert schliesslich ein Feld aus abgelegten Schwimmwesten, wie viele Geflohene hier bereits gestrandet sind. Es sind Bilder wie dieses, die von einem Film bleiben, der sehr emotional ist, jedoch zumindest bis zum letzten Drittel vermeidet, in allzu grosses Pathos abzudriften. Das liegt auch am Charisma der beiden Hauptdarstellerinnen, einfühlsam und vielschichtig gespielt von den realen Schwestern Manal und Nathalie Issa.

Vor allem für den deutschsprachigen Markt scheint der neue Netflix-Liebling Schweighöfer gewonnen worden zu sein, der zwar bei den Credits weit vorne erscheint, jedoch erst in den letzten 40 Minuten auftritt. Einmal mehr spielt er einen netten Kerl, den Schwimmlehrer Sven, der Yusra zu ihrem Traum, den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 verhilft. Mit ihrem Sieg dort weicht der Film von der Realität ab, gönnt seinen Protagonistinnen Versöhnung und einen sportlichen Triumph, den ihnen die Realität in dieser Form nicht gab.

«The Swimmers»: Ab dem 23. November auf Netflix. Läuft am ZFF noch am 25. September um 21:00 Uhr im Kino Arena und am 01. Oktober um 18:30 Uhr im Kino Corso.

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