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Klavierfestival Luzern

Das pianistische Wunderkind und der reife Klaviertüftler

Es ist ein Wagnis. Ein junger Künstler und ein wenig bekanntes Werk treffen im KKL auf einen Mix aus Moderne und Klassik. Doch das zahlreiche Publikum ist begeistert.

Yoav Levanon steht komplett am anderen Ende seiner Klavierlaufbahn. Nach Abenden mit zwei der Grössten unserer Zeit – Rudolf Buchbinder (76) und Martha Argerich (81) – ist am Donnerstag jetzt einer der «jungen Wilden» dran. Gerade mal 18 Jahre zählt der israelische Pianist.

Der Pianist Yoav Levanon bei seinem Debut mit dem Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung des Chefdirigenten Michael Sanderling im Konzertsaal des KKL Luzern.
Bild: Bild:Luzerner Sinfonieorchester/Philipp Schmidli

Schon mit drei setzte er sich an das Tasteninstrument. Diverse Preise und ein Exklusivvertrag mit Warner Classics zieren seine junge Karriere. Es ist die Rede davon, dass er das Zeug dazu hat, «einer der grössten Pianisten unserer Zeit zu werden» – was man halt so liest und schreibt, wenn es um Wunderkinder geht.

Schwierigstes Stück – spontan zugesagt

Am «Le piano symphonique» in Luzern spielt er denn, klischeegerecht, nicht irgendein Konzert. Zusammen mit dem Luzerner Sinfonieorchester bringt er Ignacy Paderewskis Klavierkonzert zur Aufführung. Selten gespielt und extrem schwierig. Er hat dies – ganz der Überflieger – kurzfristig einstudiert. Nach einem Zoom-Meeting mit Numa Bischof, dem Intendanten des Luzerner Sinfonieorchesters, wollte er eine halbe Stunde Bedenkzeit. Daraus wurde eine ganze Nacht, «in der ich mir pausenlos das Konzert anhörte und am Morgen habe ich zugesagt».

Und das Konzert ist tatsächlich zuerst mal vor allem eines: virtuos. Es perlt und springt, jagt und tanzt. Minutenweise galoppieren im Allegro ganze Akkordcluster durch die Oktaven. Die Fingerarbeit von Yoav Levanon ist ein faszinierender Augenschmaus. Unbeeindruckt hüpfen und gleiten sie durch den engen Notenwald. Fast überklar perlen und rieseln die Noten. Jeder Akkord, jede Phrase tritt deutlich hervor. Ein Hochgeschwindigkeitszug im Zeitraffer. Und hier liegt auch der Haken dieser Interpretation.

Sich öffnende Blüte

Auf der einen Seite beweist der Künstler eine erstaunliche Reife. Die kunstfertigen Verspieltheiten werden nicht einfach zugedonnert. Er setzt den künstlerischen Ausdruck klar über den Effekt. Dennoch: Im Gegensatz zum Beispiel zu Martha Argerich bei Schumann gibt es bei ihm keine Fragezeichen. Bestimmt und klar zeichnet er die Struktur. Das Ungewisse, das Schwebende tritt zurück hinter die Transparenz – und ja – eine gewisse virtuose Frostigkeit. Doch das riesige Talent ist da, die Blüten drei Viertel offen.

Dies zeigt sich auch – nach einer gar knalligen Etüde von Rachmaninoff (Op. 39) – in der zweiten, wunderbar warm gespielten Zugabe «La Campanella» von Franz Liszt. Das Luzerner Sinfonieorchester unter Michael Sanderling – nicht einfach ist es, jeden Abend solch unterschiedliche Stücke zu begleiten – bewegt sich auch hier auf der obersten Stufe. Mit grossem Klang, üppig und wogend verzahnt es sich mit dem quirligen Pianisten. Goldene Waldhornklänge oder die exzellent aufspielende Soloflötistin sorgen für anregende Horchmomente.

Neues Format begeistert

Ganz anders der zweite Solist des Abends: Der Isländer Vikingur Ólafsson steht mit 38 Jahren weit oben am Berg seines Schaffens. Und er zieht das hoch hinauf gefüllte KKL vollständig in seinen Bann. Nicht mit bekannten Werken. Sein tüftelndes Naturell verbindet die Moderne mit der klassischen Epoche.

Grosse Virtuosität paart sich mit einem warmen Spielgefühl: Pianist Vikingur Ólafsson.
Bild: Bild: Luzerner Sinfonieorchester/Philipp Schmidli

Im Zentrum steht Philip Glass und sein minimalistisches, oft glockenartiges Reich. Dieses verbindet er mit Wolfgang Amadeus Mozart oder Domenico Cimarosa. Kein Stück geht länger als neun Minuten. Fast ohne Pausen – und vor allem ohne Applaus – baut sich über eine halbe Stunde eine fast gespenstisch dichte Atmosphäre auf. Hier öffnet sich die Blume in all ihren Farben und Düften.

Zart ergreifen die ersten Töne unsere Hand. Gedankenverlorenes Planschen. Ein schaukelndes Boot, das sich immer weiter ins Meer wagt. Hinein in das Rauschen und in die Wellen. Hin zur Brandung, wo final die Gischt sich bricht. Grosse Virtuosität paart sich mit einem warmen Spielgefühl. Aus einzelnen Noten werden tiefe Wasser geschaffen. Seine beiden Zugaben – das Andante aus der 4. Orgelsonate von Johann Sebastian Bach und die Etüde Nr. 9 von Philip Glass – sind bilderreichste Prismen menschlicher Seelensplitter.

«Le piano symphonique»: Khatia Buniatishvili (Freitag), Martha Argerich and Friends (Mischa Maisky, Thomas Hampson, Samstag), jeweils 19.30 Uhr, KKL Luzern; Rezital Yoav Levanon, Samstag, 12.30 Uhr, Orchesterhaus Kriens.

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