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Künzlis Beste

Beyoncé oder Taylor Swift?
Das grosse Duell der amerikanischen Superstars

Um Taylor Swift und Beyoncé kommt man in diesem Frühling nicht herum. Mit ihren Alben regieren die beiden Superstars die Popwelt. Doch wer ist besser? Sehen und hören Sie unsere Bestenliste des Monats April.
Beyoncé stellt mit ihrem Album die Frage: Wem gehört die Countrymusik?
Bild: Andrew Harnik / AP

Millionen von Swifties sind gerade daran, die Codes der Texte von Taylor Swift zu knacken und wir zweifeln nicht daran, dass der amerikanische Superstar die Hitparaden dieser Welt stürmen wird. Sie wird dort auch Beyoncé ablösen, die nur wenige Wochen zuvor mit ihren Countrysongs und dem Album «Cowboy Carter» die Popwelt in Aufregung versetzt hat. Die beiden amerikanischen Superstars dominieren die Popwelt. Aber wer ist besser?

Kein Zweifel: Taylor Swift ist eine Wortakrobatin. Auf ihrem Album lässt sie tief in ihre Seele blicken. So gefühlvoll ihre Texte sind, in der Musik fehlen die emotionalen Ausbrüche weitgehend. In ihrem gut zweistündigen Mammutwerk herrscht wohltemperierte Langeweile. Zu gleichförmig sind ihre Lieder, zu monoton ihr rezitierender Gesang. Stimmlich hat Beyoncé viel mehr zu bieten.

Und bei aller lyrischen Brillanz, vermisst man bei Taylor Swift die gesellschaftliche Relevanz. Vielleicht hat sie sich ihre verschlüsselte Trump-Kritik auf später aufgehoben. Aber was soll diese Ich-Bezogenheit, dieser Rückgriff auf Privat-Fehden? Taylor Swifts Herzschmerz und Rachegelüste in Ehren, aber von einem Superstar wie Taylor Swift darf mehr erwartet werden als Giftpfeile gegen ihre Ex-Freunde und das alles andere als subtile und souveräne Aufwärmen einer eigentlich verjährt geglaubten Fehde mit Kim Kardashian im Song «thanK you aIMee». Lass mal gut sein, Taylor!

In diesem Bereich schlägt Beyoncé ihre Konkurrentin um Längen? Mit «Cowboy Carter» und der emanzipatorischen Frage «Wem gehört die Countrymusik?» hat sie nicht nur die popkulturelle Debatte des Jahres lanciert. Es ist auch ihre ganz persönliche Abrechnung mit dem konservativen Amerika. Im grossen Duell der beiden Superstars hat für uns Beyoncé die Nase vorn. Im Monat April führt sie deshalb unsere Bestenliste an.

1. Beyoncé: Act II: Cowboy Carter

«Das ist kein Countryalbum, das ist Beyoncé!», liess der amerikanische Superstar die ungeduldig auf das neue Album wartende Popgemeinde schon im Vorfeld wissen. Tatsächlich entsprechen die beiden im Vorfeld veröffentlichten Songs «Texas Hold ’Em» und «16 Carriages» am meisten den Vorstellungen von Country-Songs. Auf «Act II: Cowboy Carter» hören wir stattdessen Gospel, R ‹n› B, Hip-Hop und akustische Popsongs. Am reizvollsten sind die Anspielungen und Referenzen, die die Botschaft des Albums unterstützen: Country-Musik ist keine rein weisse Angelegenheit, Country ist auch eine Musik von Schwarzen und hat starke afroamerikanische Wurzeln. Mit «Cowboy Carter» will Beyoncé jenen Platz in der Geschichte der Countrymusik zurückerobern, der den afro-amerikanischen Musikerinnen und Musikern zusteht.

Dazu holt sich Beyoncé in Songintros den Segen von Linda Martell, der ersten afroamerikanischen Sängerin, die in der Grand Ole Opry in Nashville auftrat, sowie von den beiden weissen Country-Legenden Willie Nelson und Dolly Parton. Beyoncé interpretiert dabei auch Partons Country-Hymne «Jolene», bleibt dem Original recht treu, schreibt den Text aber aus der Perspektive einer selbstbewussten Frau: Anders als Parton bittet Beyoncé ihre Nebenbuhlerin nicht, sondern warnt sie.

Beyoncé covert Paul McCartneys Song «Blackbird», der hier, gesungen von einer afro-amerikanischen Frau, sofort eine andere Bedeutung erhält. «You were only waiting for this moment to be free» («Du hast nur auf diesen Moment gewartet, um frei zu sein»). Und ganz selbstverständlich wird das Banjo, das von afrikanischer Herkunft ist, von der afroamerikanischen Sängerin Rhiannon Giddens gespielt. Beyoncé singt ein Duett mit dem schwarzen Country-Sänger Willie Jones («Just For Fun») und eines mit dem ehemaligen Country-Girl Miley Cyrus («II Most Wanted»). Und man fragt sich, ob Beyoncé wohl auch Taylor Swift für ein Duett angefragt hat.

Auf «Sweet Honey Buckiin’» und «Levii’s Jeans» werden mit Stiefeln, Satteln, Steigbügeln und Rodeos eifrig Cowboy-Klischees bedient. Sogar der Marlboro-Man hat seinen Auftritt. Und auf «Spaghettii» wird sogar scharf geschossen. «Ya Ya» verweist auf Nancy Sinatras «Boots Are Made For Walking» und «Good Vibrations» der Beach Boys. «Sweet Honey Buckiin’» beginnt mit «I Fall To Pieces» der verstorbenen Country-Legend Patsy Cline. Und, und, und …

Beyoncé und Countrymusik haben eine Geschichte. Als sie 2016 ihren Country-Song «Daddy Lessons» an den US-Country Music Awards präsentierte, erntete sie einen Shitstorm, der im Ausschluss des Songs aus der Country-Kategorie der Grammys führte. Das war für sie der Anstoss, sich tiefer mit dem Genre zu befassen. Dabei stiess sie nicht nur auf die vielen afroamerikanischen Wurzeln, sondern auch auf ihre eigene Geschichte.

Beyoncé Knowles kommt aus Houston/Texas, aus einer afro-amerikanischen Familie, in der Country immer eine Rolle gespielt hat, wie Mama Knowles beteuert. Die talentierte Beyoncé sei früher fast immer in der Show des alljährlichen Rodeos aufgetreten. Wie Beyoncé im Magazin «Harper’s Bazaar» erzählte, stammt eine ihrer Inspirationen aus der «übersehenen Geschichte der schwarzen US-Cowboys». Sie wurden diskriminiert und übergangen wie die afroamerikanischen Musikerinnen und Musiker im Country.

«Cowboy Carter» kann auch als ganz persönliche Rache von Beyoncé an den konservativen Geistern von 2016 und an Amerika gelesen werden. Das Album ist aber auch ein musikalischer Aufruf, zusammenzustehen und die Gräben zu überwinden. «Jetzt ist es an der Zeit, die Liebe hereinzulassen», singt sie im Opener «American Requiem» und nimmt den Ball im finalen «Amen» wieder auf: «Dieses Haus wurde mit Blut und Knochen gebaut. Und es brach zusammen. Die Statuen, die sie gemacht haben, waren wunderschön. Aber es waren steinerne Lügen … Wir werden diejenigen sein, die die Sünden unserer Väter reinigen. Amen». Viel amerikanischer Pathos, viel Sendungsbewusstsein.

«Cowboy Carter» ist hochklassig produziert, toll gesungen, begeisternd sind vor allem die Chor-Arrangements. Das Ziel ist erreicht, die Botschaft angekommen. Das macht «Cowboy Carter» wertvoll. Es ist ein ehrgeiziges, von Ideen übersprudelndes Werk, das von den Referenzen und Anspielungen lebt. Dass die wenigsten Songs etwas mit Country zu tun haben, ist eigentlich egal.

Doch leider können nicht alle Stücke überzeugen. Zu wenige der 27 Songs und Intros bleiben hängen. Neben «Texas Hold ’Em» setzen die beiden Duette «II Most Wanted» und «Just For Fun» sowie die ebenso furiose wie originelle Soulnummer «Ya Ya» die Glanzlichter. Doch der 78-minütige Nachhilfeunterricht in Musikgeschichte bleibt Stückwerk, der kulturhistorische Überbau zu dünn.

Übrigens: Das Doppel-i in vielen der Songtitel bezieht sich auf den zweiten Teil von Beyoncés Trilogie. «Act I: Renaissance» widmete sich der Dance-und House-Musik. Längst wird gerätselt, mit welchem Genre sich Beyoncé in «Act III» befassen wird. Begibt sich Beyoncé aufs glitschige Opern-Parkett, wagt sie sich in den rauchigen Jazz-Club? Gewettet wird zurzeit aber am ehesten darauf, dass sich Beyoncé der Geschichte der Rockmusik annimmt. Rock it, Beyoncé!

2. Taylor Swift: The Tortured Poets Department

Arbeiten wir zuerst die Superlative ab: Taylor Swift ist der grösste Popstar unserer Zeit. Vielleicht sogar der grösste aller Zeiten, aber das ist ein Titel, der nach Retroperspektive klingt. Nach Elvis, den Beatles, den Rolling Stones und nach Michael Jackson. Taylor Swift ist dagegen tief und fest im Jetzt verkrallt. Alleine auf Spotify hat sie knapp 100 Millionen monatliche Hörerinnen und Hörer. Wenn sie irgendwo auftritt, sind die Konzerte innert Minuten ausverkauft und die lokale Wirtschaft brummt ob all der Swifties, die in die Stadt einfallen. So nennen sich die Hardcore-Swift-Fans, sie verhalten sich wie eine Mischung aus Sekte und wildkreischender Horde.

Und sie bekommen regelmässig Futter: An diesem Freitag hat Swift bereits ihr elftes Album veröffentlicht. «The Tortured Poets Department» heisst es. Es ist eine gute Platte. In den besten Momenten tut sie richtig weh. «This writer is of the firm belief that our tears become holy in the form of ink on a page. Once we have spoken our saddest story, we can be free of it», schreibt Swift zur Platte.

Das klingt übersetzt leider nur halb so schön: «Die Autorin ist fest überzeugt, dass unsere Tränen in Form von Tinte auf einem Blatt heilig werden. Wenn wir unsere traurigste Geschichte ausgesprochen haben, können wir sie loslassen.» Und Swift lässt einige traurige Geschichten auf uns los. Es hat ziemlich viel Break-up und Herzschmerz drauf. Ja, es geht ziemlich sicher um Joe Alwyn, mit dem sie sechs Jahre zusammen war, und ganz sicher auch um Matty Healy, den Frontmann von The 1975, mit dem Swift eine kurze Beziehung hatte.

Und wenn Swift dann vor dem Song «The Smallest Man Who Ever Lived» tief seufzt, dann sind wir eigentlich live dabei, wie ein tief verletzter Weltstar tieftraurige Zeilen in ihr Tagebuch notiert. Und dabei auch ihre Wut nicht unterdrückt: «And in plain sight you hid / But you are what you did / And I’ll forget you, but I’ll never forgive / The smallest man who ever lived.» Das ist richtig böse.

Es wimmelt von solchen Zeilen auf dem Album. Swift versucht immer wieder, ihre Tränen mit giftigen Feuerbällen zu trocknen. Andernorts sollen die Tränen gar nicht getrocknet werden. Sie sollen fliessen. Es soll raus. All die Wut und Trauer einfach wegspülen. «Healing» nennt sich das neudeutsch.

Und es geht natürlich auch um – wieder so ein neudeutscher Begriff – «Empowerment». Darum, Chefin über die eigene Geschichte zu bleiben. Nicht die Klatschblätter, nicht die Giftspritzen auf den sozialen Medien und schon gar nicht die Ex-Freunde sollen ihre Versionen präsentieren. Swift sagt, wie es ist. Punkt. Wir leiden, weinen und hassen mit ihr.

«The Tortured Poets Department» sorgt auch dafür, dass wir zuhören. Es ist keine knallige Platte. Kaum ein richtig mitsingfähiger Refrain und Tanzen geht schon gar nicht. Zwar dribbelt sogar eine Electro-Nummer («I Can Do It With a Broken Heart») auf die Platte, aber die meiste Zeit mäandriert die Musik zwischen verschiedenen Pop-Allerweltsspielarten. Mal mit mehr Klavier, mal etwas griffiger.

Keiner der 16 Songs wirkt so, als wäre er für jene Riesen-Stadien geschrieben, durch die Swift sich gerade spielt. Aber das war bei Swift noch nie wirklich durchgehend der Fall. Und es wird sowieso keinen Swiftie daran hindern, auch die neuen Lieder wortgetreu und tränenschluchzend mitzuschreien. Es gibt von dieser Platte übrigens sogar eine Anthology.

Diese eigentlich ungeheuerliche Mischung aus Super-Superstar und nahbarem Girl von nebenan strahlt eine ungemeine Faszination aus. Ihre Baustellen im Leben könnten auch die unseren sein. Das ist so weit weg von all den divenhaften Madonnas oder den teflonbeschichteten Roger Federers in der Weltstarliga.

Und Swift ist damit sogar Milliardärin geworden. Vielleicht ist das für uns normalsterbliche Durchschnittsverdiener besonders tröstend: Auch dieser absurd reiche Mensch hat Sorgen und zerbirst an den eigenen Gefühlen. Auch in Megavillen mit 34 Schlafzimmern wird ganz offensichtlich geweint.

Natürlich – und das kann man Swift im Allgemeinen und dieser Platte im Speziellen ankreiden – sind es am Ende einzig First-World-Problems, die hier zu persönlicher Trauer führen. Zerbricht die Beziehung, dann ziehen wir halt von London zurück nach Amerika («So Long, London»). Scheitert die Liebe, umarmen wir bald jemand anderen.

All das reale Elend in dieser Welt hat keinen Platz in dieser Gefühls-Bubble. Swift weint im Fitness-Studio über ihren Ex («Down Bad») und nicht vor dem Fernseher ob der Nachrichten aus der Ukraine oder dem Nahen Osten. Im Zweifel sind wir uns alle selbst am nächsten – und es ist deutlich einfacher, das eigene Gefühlschaos aufzuräumen, als Weltpolitik zu machen.

Da ist Swift textlich ganz Superstar: Sie will niemandem wehtun (abgesehen von ihren Ex-Freunden). Sie hat sich zwar wiederholt gegen Donald Trump gestellt und sich für die Rechte von Homosexuellen starkgemacht, doch das neue Album bleibt botschaftsfrei. Zu ihrer Party sind alle eingeladen. Ebenso jene, die in Swift das «All-American Girl» sehen (gerade seit ihrer Beziehung mit Football-Profi Travis Kelce), wie auch jene Kreise, die in ihr eine feministische Ikone ausmachen.

Partys ohne selektive Gästeliste sind selten richtig gut. Wer alles will, bekommt meistens nicht viel. Swift gelingt das Kunststück, dass sie absolut mehrheitsfähig bleibt und dabei nicht in der kompletten Beliebigkeit ertrinkt. Sie bleibt ehrgeizig, bewahrt sich aber gleichzeitig den Anspruch.

Eben: ein Popstar. Mindestens der grösste unserer Zeit.

3. Vampire Weekend: Only God Above Us

Vampire Weekend fliegt punkto Aufmerksamkeit weit unter dem Radar von Beyoncé und Taylor Swift. Doch die New Yorker Band zeigt auf ihrem Album «Only God Above Us», was man musikalisch im Popformat alles anstellen kann. Die Musik klingt abenteuerlich, überschwänglich, überbordend, halsbrecherisch. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das neue Werk ist randvoll mit Ideen und Einfällen. Dabei ist der Band nichts heilig: «Only God Above Us». Unverschämt eingängige Melodien werden gegen den Strich gebürstet. Die sanfte Stimme von Ezra Koenig reibt sich an galoppierenden Rhythmen oder Free-Jazz-Kaskaden. Die Musik schlägt Burzelbaum auf Burzelbaum, macht das Rad und landet nach dem virtuosen Salto doch wieder felsenfest auf beiden Beinen. Das ist raffiniert, originell, ja göttlich! «Only God Above Us» gibt den Glauben an gute Popmusik zurück.

4. Marcus King: Mood Swings

Marcus King war ein Wunderkind des Blues, hofiert von Grössen wie Eric Clapton und Warren Haynes, produziert von Dan Auerbach von den Black Keys und gewann schon mit dem Debüt «El Dorado» einen Grammy. Die Musikwelt meinte es gut mit dem Jüngling aus South Carolina, der nicht nur auf der Gitarre glänzte, sondern auch mit seiner Stimme wie kein Zweiter zu berühren wusste.Doch in seinem Innern sah es ganz anders aus. Traumatisiert von seiner Kindheit, gefangen von Depressionen und Panikattacken, schlidderte er schon in seiner Jugend in eine schwere Drogenabhängigkeit. Vor zwei Jahren war der seelische Tiefpunkt erreicht. Er wollte seinem Leben ein Ende setzen.

Es war Star-Produzent Rick Rubin, der ihm empfahl, die zerstörerische Kraft seiner Depressionen in Energie für seine Kunst umzuwandeln. Seine Probleme sind jetzt nicht verschwunden, aber er kann mit ihnen umgehen und sie bändigen. Resultat ist «Mood Swings», ein wunderbares Werk, in dem King seine stilistische Bandbreite erweitert und nicht nur auf Elemente des Blues und Soul zurückgreift, sondern auch auf Jazz, Pop und Country.Und Produzent Rubin hat getan, was er immer getan hat: Den Sound auf die Essenz reduziert, damit die Stärken des Künstlers perfekt zur Geltung kommen. Tatsächlich hat Marcus Kings soulige und eindringliche Stimme nie wärmer geklungen.

5. Soft Loft: The Party And The Mess

Mit Ausrufezeichen soll sparsam umgegangen werden. Und trotzdem würden wir an dieser Stelle lieber drei als nur eines verwenden: «The Party And The Mess» von Soft Loft ist ein grandioses Album! Zur Sicherheit noch ausgeschrieben: Ausrufezeichen!

Textlich taucht die Band aus Brugg dabei per Kopfsprung tief in all die Probleme eines Menschen im lebensintensiven Übergang zwischen Jugend und Erwachsenendasein. Einsamkeit, Depressionen, Traurigkeit, zersplitterte Liebe und Orientierungslosigkeit. Wir taumeln mit Jorina Stamm durch diese höchstspannende Zeit zwischen – eben – Party und dem «Mess».

Die Highs von der Party, sie flackern nur selten durch. Bei all den vom Lebenschaos verursachten Downs sind wir dagegen teils schmerzhaft nahe dran. «Everyone’s expectations are so high / I’m not sure if I′ll fit in in this huge lie / I will lay my body down for some time», singt Stamm in «Bathroom Floor». Gefühlt liegen wir da neben ihr und erinnern uns – je nach Alter – an jene Momente, in denen wir selbst hadernd unseren Platz und unsere Rolle in dieser Welt suchten.

Stamm und ihren Mitmusikerinnen und Musikern Sarina Schmid, Lukas Kuprecht, Simon Boss und Marius Meier gelingt das Meisterstück, dass uns all die Traurigkeit und Schwermut nicht erdrücken. Es hat sogar eine gegenteilige Funktion: Soft Loft entzünden mit ihren Songs ein Lagerfeuer, an das wir uns setzen können und das Geborgenheit ausstrahlt. Wir sind alle zusammen da. Und niemand ist alleine. «Musik ist ein sicherer Ort. Sie urteilt nicht, sie spricht einen direkt an und bietet Zuflucht, wenn man der Realität entfliehen will», lässt sich Stamm im Albumtext zitieren. Es ist ein Safe Place. Einer, wo wir hinkönnen, wenn es draussen Gefühlsstürme hat oder Tränen regnet. Und es ist ein Safe Space, aus dem wir gestärkt wieder rausgehen.

«Hier gibt es kein Verurteilen und Verletzlichkeit bildet den Schlüssel zur gegenseitigen Verbindung», schreibt die Band selbst. Und so sitzen wir gemeinsam am Lagerfeuer, halten uns an den Händen und denken den Weltschmerz gemeinsam weg. Dazu schwebt die Band zwischen folkigem Pop und griffigem Rock. Auch in den sanfteren Momenten bewahrt sich die Musik stets eine Dringlichkeit.

Und vor allem bewahrt sie sich den Mut, sich nicht knöcheltief in der Traurigkeit zu suhlen. «Let’s hope it’s summer sadness / And it will pass / ’cause I won’t be in / For another shit winter to get past», singen sie im Song «Summer Sadness». Zwei Takte später trällern wir bereits fröhlich «Ba ba ba ba ba ba ba ba ba ba» mit. Selten klangen traurige Songs glücklicher.

Keine Angst, Soft Loft können schon auch richtig traurig. Der Titeltrack «The Party And The Mess» schürft mit minimaler Begleitung dann richtig tief. «The champagne and the dress / The party and the mess / I’ll let you go to somewhere I don’t know». Ihre Grossmutter habe ihr im Altersheim erzählt, so Stamm, dass sie, «wenn sie spürt, dass es Zeit ist zu gehen, ihr rotes Lieblingskleid anziehen und eine grosse Party mit viel Champagner feiern will». Am Ende bleibt der letzte Eindruck, so ist das Leben sicher ein Fest.

Genau so tröstend wie diese kleine Episode ist das ganze Album. Wir verzweifeln nicht an all den Zweifeln und akzeptieren unsere Niederlagen, ohne sie dabei krampfhaft als Chancen umzudeuten. Es ist eine innige Umarmung unter Freunden. Eine eindringliche Platte für mehr Gemeinschaftssinn und weniger Scheinwelten. Und natürlich auch für mehr «Party» und weniger «Mess». Oder zumindest für das Begreifen, dass sich diese beiden Dinge nicht gegenseitig ausschliessen. Tanzen können wir auch mit Tränen in den Augen. Ausrufezeichen.

6. Ellis Mano Band: Live: Access All Areas

Die Ellis Mano Band mit Chris Ellis (Gesang), Edis Mano (Gitarren), Lukas Bosshardt (Keyboards), Severin Graf (Bass) und Nico Looser (Schlagzeug) wird als Schweizer Band von internationalem Format gefeiert. Jetzt beweist sie auf dem Doppelalbum, dass sie auch Live eine Macht ist. Die Songs aus drei Alben werden dabei nicht einfach albumgetreu interpretiert. Vielmehr spielt die Band mit Dynamik, lotet Stimmungen aus, kreiert Spannungsbögen, in denen vor allem Gitarrist Edis Mano solistisch brilliert. Im Rahmen der «Rockpalast»-Veranstaltungsreihe «Crossroads-Festival» wird die Ellis Mano Band auf 3sat am 30. April sowie dem WDR am 27.Mai gezeigt. Die Band wird immer mehr auch international zur Kenntnis genommen.  Vom 18. bis 21.Juli ist die Band auch als «Special Guest» der Sommertour von Deep Purple in Deutschland unterwegs.

7. Krokodil: Livetime

Vor knapp einem Monat ist der Gitarrist und Sänger Walty Anselmo verstorben; Gründungsmitglied der Band Krokodil, die ab 1968 Schweizer Rockgeschichte geschrieben hat. Jetzt erscheint ein Doppelalbum der Band mit Live-Aufnahmen – das erste Krokodil-Album ohne Anselmo. Der Musiker, der die Band mit seinem Gitarrenspiel und seiner unnachahmlichen Brummelstimme mitgeprägt hatte, war beim Revival der Band vor vier Jahren noch dabei. Seine Parkinson-Krankheit erschwerte das Musizieren aber zunehmend, weshalb er von Adrian Weyermann abgelöst wurde, dem Wunsch-Gitarristen von Dürst und Anselmo. Gelegentlich konnte Anselmo noch als Gast mittun, doch zuletzt war auch dies nicht mehr möglich. «Wir haben zusammen einen langen und abenteuerlichen Weg zurückgelegt», sagt Schlagzeuger Düde Dürst, «ich vermisse ihn als Freund und Musiker».

Für die Live-Aufnahmen konnte dafür der legendäre Sänger und Pianist Hardy Hepp, auch er Gründungsmitglied von Krokodil, reaktiviert werden. Die Krokodil-Klassiker «Morning Dew» und «Human Bondage» singt er auf seine unvergleichlich pathetische Weise – und vielleicht zum letzten Mal. Denn der Künstler, der am 12. Mai achtzig Jahre alt wird («Happy Birthday, Hardy»!), will sich nur noch auf die bildende Kunst konzentrieren.

Krokodil hat sich immer als Live-Band verstanden. Auf der Werk-Liste fehlte aber bisher ein Live-Album. «Es war immer unser Wunsch. Wir konnten uns das damals aber nie leisten», sagt Dürst. In der Zwischenzeit sind die Produktionskosten günstiger geworden, weshalb sich Krokodil zum 55. Geburtstag der Band ein Live-Doppelalbum schenkt.

Gut die Hälfte der Songs stammt aus dem zweiten Kapitel der Band, nach dem Revival mit Weyermann und Dürst sowie dem Keyboarder Erich Strebel und dem Original-Bassisten Terry Stevens. Zwei davon sind die psychedelisch angehauchten Beatles-Covers «Dear Prudence» und «Tomorrow Never Knows».

Der Reiz der Live-Versionen ist, dass sie mehr oder weniger stark von den Studio-Aufnahmen abweichen. «Sogar die neuen Songs spielen wir live immer wieder anders. Die Songs können bei Krokodil immer wieder eine andere, unvorhergesehene Wendung nehmen», sagt dazu der 77-jährige Dürst, der die Band wie eh und je vorantreibt. Die Lust am Improvisieren hat Krokodil immer ausgezeichnet.

Krokodil wird dem Progressive Rock zugerechnet, oft auch in einem Atemzug mit deutschen Kraut-Rockbands wie Amon Düül oder Can genannt. Doch Krokodil war immer anders. Hatte neben den progressiven Elementen immer einen starken Bezug zum Blues, zum Psychedelischen und über die Improvisation zum Jazz. Diesen Bandstil, diesen Geist haben die beiden Neuen, Weyermann und Strebel, verinnerlicht und gleichzeitig um neue Facetten erweitert. Das Doppelalbum endet mit Anselmos Paradestück «You’re Still A Part Of Me». Der Kreis hat sich geschlossen. Doch das Krokodil faucht und beisst immer noch, es ist quicklebendig.

8. Charles LLoyd: The Sky Will Still Be There

Charles Lloyd ist eine lebende Legende. 86-jährig ist der Saxofonist, aber ans Aufhören denkt er nicht. Für sein neues Album hat er sogar ein neues Quartett gegründet, erstmals mit seinem Wunsch-Drummer Brian Blade. Lloyd spielt heute einfacher, sparsamer aber tiefgründiger. Mit bedacht tupft er die Töne, pflanzt seine Girlanden und ist nur der Schönheit der Musik verpflichtet. Stefan Künzli

9. Gossip: Real Power

Disco. Pop. Punk. Rock. Soul. Electro. Gossip haben stilistisch kaum Berührungsängste gezeigt. Nun kommen Motown und Funk dazu. Das Comeback-Album zeigt sich von mitreissender, weil ruhiger Kraft. Es gab eine Zeit, da haben sie im verschwitzten Berliner Techno-Schuppen Berghain die Temperatur mächtig nach oben gedreht. Später wiederum animierten sie im herausgeputzten Ambiente der «Helene-Fischer-Show» das Publikum zum Mitmach-Klatschen: Gossip und die markante Frontfrau Beth Ditto sind wahrlich ein undurchsichtiges Phänomen. Irgendwo zwischen queer-feministischem Underground und durchorchestriert-kommerziellem Mainstream hat sich die US-Band seit Jahren eingenistet.

Mehr als eine Dekade nach ihrer letzten Platte und einer zwischenzeitlichen Trennung hat das Trio mit «Real Power» nun ihr sechstes Album am Start. Kurz vor Veröffentlichung des Albums am Freitag (22. März) absolviert die Band aus Portland (US-Bundesstaat Oregon) einen Promotion-Marathon in Europa: auch in der deutschen Hauptstadt.

«Mal ehrlich, Berlin macht wirklich Spass», sagt Ditto der Deutschen Presse-Agentur in der Neuen Nationalgalerie. Die Sängerin passt mit ihrem wilden Look aus Flieder-weissem Strickkleid über schwarz-gepunkteter Tüll-Bluse und den orangen Haaren perfekt zwischen die knalligen Kunstwerke aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Das Museum sei wunderschön, sagt sie. «Ich bin gespannt, alles darüber zu lesen.»

Doch jetzt steht erst einmal Arbeit an, ein Album will beworben werden. Elf neue Songs sind auf «Real Power», und die haben es in sich. Gleich der Opener lässt alle Härchen am Körper nach oben schnellen: Im heftigen Soul-Brett «Act of God» irgendwo zwischen derbem Punk und melodiösem Motown geht es um Kontrollverlust, den Glauben an Gott und das Leben.

Der vorzüglich vielseitige Sound der Platte entspringt im Grossen und Ganzen dem Kopf des Gitarristen Nathan Howdeshell. «Ich vertraue auf seinen Geschmack, und ich vertraue darauf, dass er im richtigen Moment ja oder nein sagt», erklärt die Sängerin. «Und das ist für mich das Wichtigste.»

Wer auf «Real Power» seine Finger genauso wieder mit im Spiel hat: Star-Produzent Rick Rubin. Der zeigte sich schon 2009 verantwortlich für Gossips Mainstream-Durchbruch «Music For Men» und den Mega-Hit «Heavy Cross», der sich damals fast zwei Jahre am Stück in den deutschen Charts hielt. In Rubins Studio auf Hawaii entstehen im Laufe der vergangenen fünf Jahre die neuen Songs. Durch ihn heben sich die Tracks wieder merklich voneinander ab - anders als zuletzt auf «A Joyful Noise».

Die Platte verabschiedet sich auch vom Dance des Vorgängers und ist in weiten Teilen viel ruhiger angelegt - samt Balladen. Es lassen sich stilistisch gänzlich unterschiedliche Glanzstücke finden. Da wäre etwa das grandiose «Tell Me Something» mit einem Mix aus tiefergelegt-dröhnenden Industrial-Elementen, klassischem Piano, leichten Percussions und Dittos mächtiger Soul-Stimme. In «Don’t Be Afraid» wiederum kommt die Dominanz der Sängerin zwischen 80er-Keyboard-Einsprengseln eindrucksvoll zum Vorschein.

Seit ihrer Teenager-Zeit im US-Bundesstaat Arkansas kennen sich Ditto und Howdeshell. Vor 25 Jahren formiert sich die Band, zu der später Drummerin Hannah Blilie stösst. Die ersten Alben sind von Garage-Rock und Riot-Punk geprägt. Im Jahr 2006 beginnt mit der dritten Platte «Standing in the Way of Control» der Aufstieg auf der Karriereleiter. Vor allem in Europa spielen Gossip ihre wilden Konzerte bald in grösseren Hallen. Die heute 43-jährige Frontfrau wird mit ihrer Coolness zur Ikone der LGBTQI-Community, also für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und queere Menschen. Bis heute hat die Band nach Angaben ihres Labels weltweit mehr als 10 Millionen Platten verkauft.

2016 wird die Trennung publik. «Es gab keinen grossen Krach. Am Ende haben wir einfach Tschüss gesagt, das Leben geht weiter», sagt die Sängerin damals. Kein Drama also.

Und jetzt einfach wieder «Hallo»? «Irgendwie schon», sagt Ditto in Berlin. «Es gab kein Zögern, besonders nicht zwischen mir und Nathan.» In guten Beziehungen werde verstanden, dass der oder die andere Freiheiten brauche, und dass man nicht mehr dieselbe Person sei wie 13 Jahre zuvor. «In Gossip steckt eine Schlichtheit, die ich einfach liebe», sagt sie. «Es wird nicht viel über unsere Ziele gesprochen oder darüber, was wir wollen oder was wir nicht wollen. Es passiert einfach.» (dpa)

10. Mark Knopfler: One Deep River

Mit seinen bald 75 Jahren könnte er ein «Altrocker» sein. Überaus rockig waren seine Songs allerdings nie, auch nicht damals mit der legendären Band Dire Straits. Mark Knopfler ist ein Rootsmusiker, der aus dem grossen Teich fischt und Rock’n’Roll, Blues, Folk, Country, Rock und Pop zu einem eigenständigen Cocktail vermischt. Prägend waren schon immer sein Gitarrenspiel, die Liebe zur Melodien-Kultur seiner keltischen Herkunft und ebenso seine empathische Beobachtungsgabe als Geschichtenerzähler. Heute gilt er als einer der erfolgreichsten Songwriter, die England je hervorbrachte: 130 Millionen verkaufte Alben, gigantische Welttourneen, zahlreiche Auszeichnungen und ein eigenes Tonstudio, das zu den besten der Welt gehört.

Eine Bilderbuchkarriere, die nicht selten zu Lobeshymnen wie «bester Gitarrist aller Zeiten» verleitet – was Knopfler ohne zu zögern als Unsinn bezeichnet. Wenn Star-Verehrung religiösen Charakter annimmt, führt dies zu realitätsfremden Superlativen. Und zu einer radikalen Spaltung: Für die einen ist Knopfler Gott, für die andern ist er der grösste Langweiler – wie 2011 bei der gemeinsamen Tour mit Bob Dylan, wo Dylan-Jünger ihn als Weichspüler auspfiffen und Knopfler-Jünger dafür beim brachialen Dylan die Nase rümpften.

Unsinn! Als Gitarrist hat Knopfler sein Handwerk mittlerweile tatsächlich weichgespült – auf natürliche Weise, im Zuge des Älterwerdens. Früher war er ein schier grenzenlos virtuoser Spitzensportler. Bei seinem ersten Auftritt hierzulande, am 27. Mai 1979 in der prallvollen Turnhalle in Wettingen, war die halbe Schweizer Musikszene anwesend, um den neuen Gitarrenhelden zu bewundern. Blues Max zum Beispiel stand wie gebannt am Bühnenrand und erinnert sich: «Knopfler und seine Band waren unglaublich energiegeladen. Vor jedem Song begann die Band erst mal gemeinsam mit dem Körper zu wippen, bevor es losging. Von da an wusste ich, was Grooven heisst!»

Knopfler hat die Saitenkunst nicht erfunden, er lernte von Vorbildern wie Lonnie Donegan, Hank Marvin, BB King, J.J. Cale oder Chet Atkins. Und es gab nicht viel, was er spieltechnisch besser konnte als die andern. Doch dieser nasale, mit den blanken Fingern gezupfte Stratocaster-Sound, diese Intensität und melodiöse Raffinesse, dieser Drive im Welthit «Sultans of Swing», das alles machte die Musikwelt sprachlos. Seither gehört Mark Knopfler zu den wenigen Gitarristen, die im Blindtest wiedererkennbar sind.

Gitarrenhexerei ist heute nicht mehr sein Ding. Die Wende kam 1995, als er die Dire Straits auflöste, weil ihm alles zu gross wurde. Die Reise ging weiter unter eigenem Namen; ein bisschen weniger gross, doch auf den Konzertbühnen und mit zahlreichen Solo-Alben noch immer sehr erfolgreich. Die meisten Dire Straits-Fans folgten ihm treu und heute scheint eine junge Generation ihn sogar neu zu entdecken.

Seine Live-Attitüden, die haben sich verändert: In jungen Jahren explodierte Knopfler vor Spiellust, später stand er bockstill und in sich gekehrt auf der Bühne. Das mag langweilig wirken, doch die Show ist vielleicht wie die Etikette einer Weinflasche, die nach Jahrzehnten abbröckelt – am Schluss bleibt nur der Inhalt und Knopflers Wein ist im Alter keineswegs schlechter geworden. Seine Songwriterkunst hat sich weiter verfeinert, seine perlenden Gitarrenläufe werden reduzierter, verlieren aber nie ihre Wirkung. Seine Stimme wurde nach der anfänglichen Dylan-Parodie immer eigenständiger. Heute singt Mark Knopfler mit der warmherzigen Stimme eines weissen Folksängers und ist dort angekommen, wo er hingehört: beim Geschichtenerzählen.

Die neueste Platte «One Deep River» ist eine würdige Fortsetzung seiner Diskografie. Bereits der Opener «Two Pairs Of Hands» verblüfft: Es klingt haargenau so treibend-lässig und schelmisch gesungen wie bei J.J. Cale. Aha-Erlebnisse auch bei «Smart Money»; hier stand überwiegend Ry Cooders «Across the Borderline» Pate. Reminiszenz wird so was genannt. Es ist kein Vorwurf, Knopfler machte auch bei früheren Alben augenzwinkernde Anleihen, zum Beispiel an die Beatles (2015 in «Skydiver») oder an Procol Harum (2004 in «Everybody Pays»).

Das neue Album ist wiederum eher sanft, mehr als die Hälfte der zwölf Songs sind balladesk oder gemächlich, das Ganze versprüht eine melancholische Grundstimmung. Mit zunehmendem Alter kommt beim Briten wehmütige Nostalgie auf, Kindheitserinnerungen wie im Titelsong «One Deep River», doch derart gekonnt inszeniert, dass es nicht banal wirkt. Er freute sich hörbar, seine Band im Studio endlich wieder um sich zu scharen, seit er 2019 dem Touren altershalber Adieu sagte. Es scheint noch alles da zu sein: der Spirit, das Feingefühl, die Leidenschaft.

Der Drang des 74-jährigen Mark Knopfler ist ungebrochen: «Ich habe noch nie eine bessere Definition dafür gehört, seit Gillian Welch mir eines Tages sagte: ‹Alles, was ich tun will, ist, einen guten Song zu schreiben und eine gute Platte davon zu machen›. Das bringt es für mich auf den Punkt.»

11. Judas Priest: Invincible Shield

Seit 50 Jahren steht Judas Priest für kräftigen Hardrock und Metal. Auf ihrem neuen Album zeigen Rob Halford und Co., dass sie in ihrem Genre immer noch das Mass aller Dinge sind.

Judas Priest zählen neben Iron Maiden und Metallica zu den prägendsten und langlebigsten Heavy-Metal-Bands, die bis heute erfolgreich aktiv sind. Die Veröffentlichung ihres Debütalbums «Rocka Rolla» ist in diesem Sommer 50 Jahre her. «Wenn man 50 Jahre im Geschäft ist und 50 Jahre Songwriter ist, dann gibt es Höhen und Tiefen», sagt Rob Halford (72) im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London. «Sonst ist man doch kein Mensch, oder?»

Seit ihrer Gründung 1969 in Birmingham haben Judas Priest 17 Studioalben veröffentlicht, 15 davon mit Halford. Nun erscheint der 18. Longplayer. Und was für einer! «Invincible Shield» ist vielleicht das beste Album, das die Heavy-Metal-Veteranen seit 20 oder sogar 30 Jahren aufgenommen haben. «Man weiss es nie», sagt Halford mit Blick auf die beliebtesten Klassiker seiner Band. «Können sie etwas Besseres als «Painkiller» aufnehmen? Können sie etwas Besseres als «British Steel» machen? Können sie bei «Screaming For Vengeance» noch einen draufsetzen?»

Die genannten Werke zu toppen, ist natürlich nahezu ausgeschlossen. Allerdings erinnert «Invincible Shield» in vielerlei Hinsicht an die glorreichen 80er Jahre von Priest. Schon der Eröffnungssong «Panic Attack» versprüht im Intro, das E-Gitarren mit Synthesizern mischt, einen Hauch von «Turbo», jenem kontroversen Album von 1986, das heute als Kultplatte gilt. Nach dem furiosen Intro wird es deutlich härter. Klanglich bewegen sich Halford und Co. auf dem neuen Album irgendwo zwischen «Screaming For Vengenance» und «Defenders Of The Faith».

«Das ist einfach bemerkenswert», sagt Halford über solche Vergleiche. «Ich persönlich empfinde das nicht so. Aber ich liebe das - deine Musik, deine Kreativität, wie sie die Menschen berührt. Und andere Dimensionen und Definitionen kommen zu dir zurück. Und diese Vergleiche sind grossartig.» Der 72-Jährige betont, das nichts von alledem geplant gewesen sei. Das passiere unbewusst, organisch. «Die Vergangenheit schleicht sich in die Gegenwart.»

Auf «Invincible Shield» folgt ein Kracher dem anderen. «The Serpent And The Shield» und der Titelsong sind kraftvoller Heavy Metal mit dem unverkennbaren Halford-Gesang. «Crown Of Horns» ist etwas softer, aber ein echter Ohrwurm. Je öfter man «Invincible Shield» durchhört, desto mehr Ohrwürmer findet man. «Trial By Fire» und «Sons Of Thunder» sind weitere. «As God Is My Witness» ist ein epischer Metal-Kracher. Dieses Priest-Album macht einfach Spass.

Rob Halford, der optisch mit seinem langen weissen Bart wie der Methusalem wirkt, beeindruckt auf «Invincible Shield» einmal mehr mit seiner Stimmgewalt und zielsicher eingesetztem Geschrei. Dass der 72-Jährige leidenschaftlicher Metal-Sänger ist, hört man auf dem Album und im Interview. «Wenn man alles richtig hinbekommt und sich dann hinsetzt und anhört, was man geschaffen hat ... Mann, das ist das beste Gefühl der Welt», schwärmt er. «Diese Band präsentiert immer noch Metal auf diesem Niveau.»

Nach fünf Jahrzehnten sei die Heavy-Metal- und Hard-Rock-Szene heute sehr viel offener und vielseitiger, findet Halford, der sich 1998 in einem MTV-Interview öffentlich als schwul outete. Im vergangenen Jahr sang er ein Duett («Bygones») mit Country-Legende Dolly Parton, die erstmals ein Rockalbum veröffentlichte. So etwas wäre vor 30 oder 40 Jahren, als die Heavy-Metal-Szene noch sehr machomässig war, undenkbar gewesen. «Heute gibt es viel mehr Freiheiten», meint Halford, «es gibt so viel mehr Akzeptanz, so dass alles möglich ist».

Judas Priest bleiben sich allerdings im besten Sinne treu. Auf «Invincible Shield» besinnt sich die Band alter Stärken und liefert Heavy Metal auf höchstem Niveau. Produziert wurde das Album von Andy Sneap, der aufgrund der Parkinson-Erkrankung von Gitarrist Glenn Tipton bei Konzerten dessen Platz einnimmt. Die britische Metal-Institution startet diesen Monat ihre Europa-Tournee, auf der acht Auftritte in Deutschland geplant sind.

«Wir müssen alle Ansprüche erfüllen», sagt Rob Halford. Hits wie «Living After Midnight», «Breaking The Law» oder «Metal Gods» dürfen bei keiner Show seiner Gruppe fehlen. «Das sind wichtige Teile der Bandgeschichte. Die Fans fordern diese Songs und sie haben ein Recht darauf.» Vom neuen Album werden Judas Priest zunächst wohl nur zwei Songs spielen. Wenn «Invincible Shield» gut ankommt, könnten es indes bald mehr werden.

12. Jacob Collier: Djesse, Vol. 4

Jacob Collier, 29, ist mit schier unglaublichen musikalischen Talenten gesegnet. Doch der englische Wunderknabe ist auf seinen bisherigen Studioalben meist an seinen eigenen, hohen Ansprüchen gescheitert. Sein Drang zur Überwältigung ist auch auf «Djesse, Vol. 4» unüberhörbar. Mit einer Parade von Gaststars wie John Legend, Coldplay-Sänger Chris Martin, John Mayer, Anoushka Shankar, Shawn Mendes, Stormzy, Kirk Franklin, Steve Vai, Doobie Brother Michael McDonald und vielen mehr wandelt er auf seiner stilistischen Tour d’horizon in den Pfaden seines Förderers Quincy Jones. Das ist kurzweilig, manchmal atemberaubend und nicht mehr so verkrampft bemühend und anstrengend wie auch schon. Und vor allem: Diesmal gelingen Jacob Collier aber auch eine Reihe von wunderbaren Pop-Perlen.

13. The Black Keys: Ohio Players

Eine Hommage an ihre Wurzeln im Mittleren Westen ist nun der Titel des neuen Studioalbums: «Ohio Players» heisst die Platte, angelehnt an die gleichnamige 70er-Funkband. Die gründete sich einst in Dayton, rund drei Autostunden entfernt von der Stadt, in der Auerbach und Carney später ihre Karriere starten sollten.

Nicht nur beim Titel, sondern auch musikalisch haben die sechsfachen Grammy-Gewinner diesmal die Inspiration anderer Künstler gesucht. Mitgewirkt haben unter anderem Songwriter-Grössen wie Beck und Noel Gallagher, die Produzenten Dan The Automator und Greg Kurstin sowie die Rapper Juicy J und Lil Noid. Hinzu kommen weitere Unterstützer und Begleitmusiker.

«Wir hatten diese Erleuchtung: «Wir können unsere Freunde anrufen, damit sie uns beim Musikmachen helfen!» Was ein wenig lustig ist, denn eigentlich ist es für uns nichts Ungewöhnliches, mit anderen Leuten Songs zu schreiben – Dan sowieso die ganze Zeit, ich, wenn ich eine Platte produziere», sagt Carney laut Mitteilung. So wuchsen viele der Lieder in Sessions mit den Gästen zusammen. Die Songs mit Noel Gallagher - «On the Game», «Only Love Matters» und «You’ll Pay» - wurden jeweils am Stück als Team-Performance eingespielt.

Die Ergebnisse der Sessions sind vielseitig: Einflüsse aus Funk, Soul und Pop mischen sich auf «Ohio Players» mit schmutzigem Rock. «Wir hatten keine Scheu davor, Spass zu haben», sagt Auerbach, «und uns all dem hinzugeben, was wir schon immer geliebt haben.» Ein besonders grosser Anteil am Groove des Albums dürfte dabei Beck zuzuschreiben sein, für den das Duo schon 2003 als Vorband Shows eröffnete. Als Songschreiber arbeitete Beck nun an gleich sieben der 14 Titel mit, hinzu kamen Einsätze als Vokalist und Instrumentalist. Sowohl der Opener «This Is Nowhere» als auch das Schlussstück «Everytime You Leave» entstanden unter seiner Mitwirkung.

Aufgenommen in einer Handvoll Studios in Kalifornien, Nashville und London, klingt «Ohio Players» gefälliger und rundum etwas polierter als der knarzige Blues-Vorgänger «Dropout Boogie» (2022). Bei aller Zuarbeit von Freunden bringen die Black Keys aber auch wieder bewährte Elemente auf die Platte: Auerbachs markante Stimme und Carneys wummernde Drums kommen auch nach mehr als 20 Jahren Bandgeschichte mühelos und spielfreudig daher.

Freundschaften im Musikgeschäft gelten nicht unbedingt als langlebig. Die Black Keys halten dagegen: Vier Alben in fünf Jahren haben die Kumpel aus Ohio nun gemeinsam geschrieben, nach einer Kreativpause von 2014 bis 2019. «Unsere Beziehung ist enger als je zuvor», betont Auerbach. Erst vor kurzem schaffte es ihre Band-Partnerschaft dann sogar auf die grosse Leinwand. Beim SXSW-Filmfestival im März feierte der Dokumentarfilm «This Is a Film About the Black Keys» in Texas Premiere.

14. Blue Öyster Cult: Ghost Stories

Das neue Studioalbum von Blue Öyster Cult soll das letzte sein. Für «Ghost Stories» haben die Rockveteranen Jahrzehnte alte Tonbänder mittels KI-Technologie entstaubt und die Aufnahmen fertiggestellt. Für ihr angeblich allerletztes Studioalbum ist die US-amerikanische Rockband Blue Öyster Cult, die vor kurzem ihr 50-jähriges Bestehen feierte, tief in die eigene Vergangenheit eingetaucht. Die Gruppe, die, abgesehen von einigen Kulthits wie «(Don’t Fear) The Reaper» oder «Godzilla», nie wirklich im Mainstream angekommen ist, hat für «Ghost Stories» Jahrzehnte alte, verschollen geglaubte Tonbänder aus dem Archiv geholt. Ähnlich wie zuletzt bei den Beatles wurden die Aufnahmen mit den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz nun entstaubt und die Songs fertiggestellt.

Fast alle Tracks auf «Ghost Stories» wurden ursprünglich in der goldenen Ära der Gruppe zwischen 1978 und 1983 aufgenommen. Die Sänger und Gitarristen Eric Bloom und Donald Roeser alias Buck Dharma sind die letzten verbleibenden Mitglieder von Blue Öyster Cult aus dieser Zeit. Aber auf dem neuen Album sind auch ihre Ex-Kollegen, Schlagzeuger Albert Bouchard, sein Bruder und Multiinstrumentalist Joe Bouchard sowie der schon gestorbene Rhythmusgitarrist und Keyboarder Allen Lanier zu hören.

Der frühere BÖC-Produzent George Geranios, der bei einigen ihrer wichtigsten Alben die Regler bedient hatte, grub die antiken Bänder aus, an deren Aufnahme er selbst beteiligt war. Von einigen der zuvor unveröffentlichten Songs existierten sogar mehrere Takes. Andere waren stark mitgenommen, manche gar nicht mehr brauchbar. Der langjährige Manager und Co-Produzent Steve Schenck und Multiinstrumentalist Richie Castellano, der seit 2004 zur Band gehört, zeichneten für «Ghost Stories»  hauptverantwortlich. Sie digitalisierten die alten Bänder, sezierten die Tonspuren und füllten die Lücken.

«Es gab fantastische Klavierpassagen, wo Allen einfach typisches Allen-Lanier-Honky-Tonk-Piano spielt», erzählte Castellano in einem Video auf dem Youtube-Kanal der Band. «Die Hälfte fehlte, aber ich konnte in etwa hören, wie die Passagen waren.» Die fehlenden Noten ergänzte Castellano selbst am Klavier - originalgetreu, wie er betonte. «Ich habe nichts eingebaut, was er nicht gespielt hat.» Hier und da griff Castellano auch in die Saiten, wenn die Tonqualität nicht ausreichte. Ein paar Schlagzeug-Klänge wurden ebenfalls ergänzt.

Im Ergebnis klingen Songs wie «Late Night Street Fight», «Soul Jive» oder «The Only Thing» tatsächlich so, als stammten sie von einem Blue-Öyster-Cult-Album vergangener Zeiten. «Ghost Stories» hat damit einen angenehm nostalgischen Sound. Gelungen sind auch die Coverversionen von «Kick Out The James» (im Original von MC5) und «We Gotta Get Out of This Place» (Eric Burdon And The Animals). Der letzte Track «If I Fell» fällt klanglich etwas aus dem Rahmen. Kein Wunder, denn er wurde als einziger 2016 aufgenommen.

Übrigens: Auch wenn «Ghost Stories» nach Angaben der Band das letzte Studioalbum ist, wollen Blue Öyster Cult auch in Zukunft weiter auf Tournee gehen und Konzerte spielen. (dpa)

15. Norah Jones:

Seit Jahren ist Norah Jones ein bekanntes Gesicht der Musikwelt. Nun bricht die Künstlerin mit ihrem neuen Album aus der Pandemie-Zeit aus und überzeugt mit aufmunterndem jazzigem Sound.

Seit über 20 Jahren singt sich Norah Jones mit ihrer zarten Stimme in die Herzen der Fans. «Es gibt nichts Besseres, als Musik zu schreiben, um zu dokumentieren, was man gerade durchmacht», sagt die 44-jährige Künstlerin im Interview der dpa. In ihrem neuen Album «Visions» gibt sie nun Einblicke in eine fröhliche Gefühlswelt.

In den zwölf Songs erzählt Jones von den schönen Dingen des Lebens - etwa der Liebe. «Bleib bei mir, ich mache es einfach», singt sie im Opener «All This Time», kurz darauf zwitschern Vögel im Hintergrund. «All This Time» war eine alte Sprachnotiz, die ich auf meinem Handy gefunden habe», erzählt die in Brooklyn geborene Sängerin. An dem Album habe sie mit dem US-Produzenten und Songwriter Leon Michels gearbeitet. «Wir hatten so viel Spass», sagt sie. «Er spielte Schlagzeug, ich spielte Gitarre, und es ging irgendwie sehr schnell.» Eineinhalb Jahre habe sie an dem Album gearbeitet.

Die Inspiration zum Album sei ihr in den Momenten zwischen Wachsein und Schlafen gekommen. Deshalb habe sie das Album «Visions» genannt. Aber auch während der Meditation habe sie Ideen für Songs bekommen. «So schreibe ich am liebsten Songs, indem ich sie einfach festhalte, wenn sie passieren», erklärt sie. Dafür sei es wichtig, Leere im Kopf zu haben, um kreativ zu werden. «Ich musste bewusst aufhören, Podcasts und Musik zu hören, wenn ich spazieren gehe, damit mein Gehirn den Raum hat, sich zu leeren und dann Ideen zu entwickeln», erzählt die US-Sängerin.

Jones ist mit ihrer gefühlvollen Stimme nun schon seit Jahren ein bekannter Name in der Musikwelt. Ihr 2002 erschienenes erstes Album «Come Away With Me» verkaufte sich schnell mehr als zehn Millionen Mal und machte Jones zur Hoffnungsträgerin der Branche inmitten rapide bröckelnder CD-Verkäufe. Auch mit ihrem neuen Album unterstreicht die Künstlerin jetzt mit Vielseitigkeit und starken Produktion ihren Platz in der Branche. Sie verbindet Country, Jazz, Pop und Folk mit emotionalen Texten zu eindrucksvollen Songs, in denen jede schöne Nuance zur Geltung kommt.

Ihr letztes Album «Pick Me Up Off The Floor» war während der Corona-Pandemie veröffentlicht worden und zeigte deutlich melancholischere Züge. Davon ist jetzt nur noch zu hören, wenn Jones melancholisch im letzten Song des Albums «That’s Live» singt: «Du stehst auf, du fällst. Das ist das Leben.» Mit dem Album möchte Jones aber auch keine konkrete Geschichte erzählen, sondern den Hörerinnen und Hörern die eigene Interpretation überlassen. «Ich finde es besonders, aber jeder hat seine eigene Meinung», sagt sie.

16. Bleachers: Bleachers

Er gilt als Songwriter der ganz Grossen: Jack Antonoff schreibt unter anderem für Lana Del Rey, Taylor Swift und Lorde. Im neuen Album seiner eigenen Band Bleachers lässt er nun tief blicken.

Die Stimme von Jack Antonoff strahlt trotz eines Alltags, der stressig sein muss, Gelassenheit aus. «Ich bin Optimist. Aus welchem verdammten Grund auch immer», witzelt der 39-Jährige am Telefon. Er steht kurz vor der Veröffentlichung der neuen Platte «Bleachers» - seiner gleichnamigen Band. Es ist das vierte Album der Indie-Pop-Kombi, aber für Antonoff eines von sehr, sehr vielen Platten, denn der 39-Jährige ist schon seit Jahren für diverse Popgrössen tätig: Taylor Swift, Lana Del Rey, Florence and the Machine, Clairo, Lorde und einige mehr vertrauen auf sein Können als Co-Songwriter und Produzent. Das brachte ihm bereits zehn Grammys ein, kürzlich erst den als Produzent des Jahres.

Bei all dem Erfolg bleibt der Musiker gelassen. «Ich bin sehr dankbar, aber ich verbringe nicht viel Zeit damit, darüber nachzudenken. Ich denke eher über das nach, was ich mache», sagt Antonoff. Und das sei in erster Linie Musik. Nicht nur für die ganz Grossen, auch für seine eigene Band, die - zumindest im kommerziellen Vergleich - noch etwas hinter seinen anderen Erfolgen hinkt. «Diese Erfolgsmarker sind komplett unterschiedlich zu dem künstlerischen Erfolg, jeden Tag daran zu arbeiten», sinniert er. «Kein Geld kann dir die Arbeit im Studio abnehmen. Entweder du steigst da in eine wichtige Sache ein, oder du lässt es.»

Mit Songs wie «Modern Girl» oder «Tiny Moves» auf dem neuen Album gelingen immer wieder tanzbare und mitreissende Momente. Meist sind es Lieder, die Antonoff über seine kürzlich geheiratete Ehefrau geschrieben hat, die Schauspielern Margaret Qualley. Sie spielt auch in den Musikvideos mit. Ihren Einfluss auf die Platte beschreibt er als «endlos» und freut sich, die Songs als Momentaufnahme auch in ein paar Jahren noch mal selbst zu hören. «Ich schreie auf dem Album eigentlich nur heraus, wie es sich gerade anfühlt, ich zu sein.»

Auch der Track «Isimo» handelt von Qualley. Songs wie dieser geben dem Album die nötige Tiefe, die über eine romantisierte Melancholie hinausgeht. «Das ist mein Lieblingstext von einem lyrischen Blickwinkel aus», sagt Antonoff. Es geht um emotionalen Ballast und wie beide Partner ihn zusammen tragen können. Doch dabei geht es nicht um Beziehungsprobleme, sondern um eigene Päckchen. Wie etwa den Verlust seiner jüngeren Schwester Sarah, die an einem Gehirntumor starb, als er 18 Jahre alt war.

Deswegen geht es in Songs wie «Woke Up Today» - wie auch schon auf früheren Bleachers-Alben - um den Schmerz dieses Verlustes, den Antonoff seither spürt. Aber auch die aufgeladene weltpolitische Situation und den einhergehenden Weltschmerz thematisiert er parallel in «Hey Joe» oder «Self Respect». «Ich glaube, das Einzige, warum Menschen sich wirklich grauenvoll fühlen, ist, wenn sie ihre Gefühle verweigern.» Es gehe vor allem darum, zu akzeptieren, wie man sich fühlt. Das sei auch das Geheimnis zu einem guten Song. «Der einzige Ratschlag, den ich habe, ist, dass man seine Vision unverfälscht lassen sollte, denn das ist das Einzige, was man wirklich hat», rät er. Das Wichtigste als Songwriter und Künstler sei, Dinge in die Welt zu entlassen, die man wirklich liebt und von denen man denkt, dass die Welt sie braucht.

Typisch für Antonoffs Songwriting ist die Bereitschaft zu Spielerischem, die eine Leichtigkeit verleiht. So entstand auch das Feature mit Lana Del Rey in «Alma Mater», das dem Album nach dem ersten Viertel die nötige Abwechslung und Kantigkeit gibt. Jack Antonoff ist der beste Beweis dafür, dass es keine Tiktok-Optimierung mit hohlen Phrasen und verkürzten Hooks braucht, um sich Gehör zu verschaffen.

Sein Leben zu leben und zu geniessen, für seine Schwester, die es nicht mehr kann. Die emotionale Offenheit, die er durch seine Frau neu gelernt hat. Und auch die vielen Freunde und Künstler, die seinen Alltag ausmachen und die am Album mitgearbeitet haben: Matty Healy von The 1975 spielt Klavier, St. Vincent, Florence Welch, Clairo und Lana Del Rey steuern Gesang bei. All das vereint Antonoff im aktuellen Album. «Wenn man das Glück hat, seine Leute zu finden, macht man einfach mit. Vielleicht bin ich deshalb so optimistisch.» (dpa)

17. Albert Hammond: Body Of Work

Songwriter-Legende Albert Hammond («It Never Rains In Southern California», «The Free Electric Band») fühlt sich trotz seiner sechs Jahrzehnte im Showgeschäft immer noch unsicher, wenn er auf die Bühne geht. «Nach dem zweiten Song fühle ich mich gut», sagte der 79-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in London. «Aber davor ist man nervös, weil man nicht wirklich weiss, was passieren wird.»

Er sei ein besserer Songwriter als Performer, findet Hammond, der unzählige Hits für andere Stars geschrieben hat, darunter The Hollies («The Air That I Breathe»), Starship («Nothing’s Gonna Stop Us Now») und Whitney Houston («One Moment In Time»). «Meine eigene Stimme habe ich nie so sehr gemocht», erzählte er. «Aber so sind wohl viele von uns. Kreative Leute sind unsichere Leute. Wir brauchen jemanden, der uns sagt, dass etwas gut ist. Sonst wissen wir es nicht.»

Erstmals nach rund 20 Jahren hat Hammond jetzt wieder ein eigenes Album mit 17 neuen Songs aufgenommen, die er mit seiner markanten Stimme selbst singt. Auf «Body Of Work», das vergangene Woche (1.3.) beim deutschen Label earMusic erschienen ist, habe «alles zusammengepasst», sagte der Sänger und Songwriter zufrieden. «Alles schien zu funktionieren.»

Wenn es die Gesundheit zulässt, will Hammond, der unter einer Autoimmunkrankheit leider, bald wieder auf der Bühne stehen. «Ich werde etwas machen, das ist sicher», sagte der 79-Jährige. «Ich werde schon einen Weg finden.» Neben der neuen Musik will er dann auch wieder seine grössten Hits zum Besten geben.

Dass er seine grössten Erfolge in den vergangenen Jahrzehnten nicht als Popstar, sondern als Songwriter feierte, hat laut Albert Hammond durchaus Vorteile. «Es ist schön, dass ich Teil der Popgeschichte bin und all diese wundervollen Songs geschrieben habe, die Hunderte von Millionen Leute erfreut haben», sagte er. «Trotzdem kann ich nach draussen gehen und kaum jemand fragt mich nach einem Autogramm.» (dpa)

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