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Literatur

Auf den Spuren des Hunkeler-Erfinders: Ein Spaziergang mit Hansjörg Schneider

Zum 85. Geburtstags des Basler Autors veröffentlicht der Diogenes Verlag Auszüge aus den jüngsten Tagebüchern des Hunkeler-Erfinders. «Spatzen am Brunnen» gibt einen intimen Einblick in die vergangenen drei Jahre eines Mannes, der mit dem Alter kämpft, aber dessen Beobachtungsgabe nicht nachgelassen hat. 

Hansjörg Schneider in der Nähe seiner Wohnung, direkt gegenüber dem Café Rosenkranz. 
Bild: Bild: Roland Schmid (2019)

Seine Fährte führt vom Tankstellenshop am Basler Kannenfeldplatz über das Café Rosenkranz an der Mittleren Strasse zum Petersplatz. Und diese, seine Spur, hat Hansjörg Schneider – sowohl geografisch als auch biografisch und literarisch – den Seiten eines Tagebuchs eingeschrieben, das der Diogenes Verlag nun anlässlich seines 85. Geburtstags veröffentlicht.

Schreiben als Ganzkörper-Arbeit

Wir treffen den Basler Autor und Erfinder des Kommissärs Hunkeler an einem frühlingshaften Märzvormittag vor seiner Wohnung zu einem Spaziergang zum Petersplatz und durch sein Leben. Er lebe heute vor allem in seinen Erinnerungen, erzählt er, während wir in gemächlichem Tempo die Mittlere Strasse hinabgehen. Er erzählt von seinen Reisen, von Lesungen, von den Kranichen in Norddeutschland, die er gerne mal sehen würde.

Schneider zieht an den meisten Tagen seines Lebens dieselben Runden, tritt – inzwischen an zwei Stöcken und mit fest geschnürten Wanderschuhen – in seine eigenen Spuren und wirft gedanklich immer wieder Blicke zurück auf sein Leben und schreibt dabei im Kopf seine Texte. Im Sitzen komme ihm sowieso keine Geschichte in den Sinn, sagt Schneider. Die Bewegung brauche er dann auch an seinem Küchentisch, wenn er die Texte aufs Papier bringt: Zuerst von Hand mit einem Stift und dann mit der mechanischen Schreibmaschine. Deshalb benötigt Hansjörg Schneider auch keinen Computer: «Ich schreibe mit meinem ganzen Körper, nicht nur mit den Fingern», sagt er.

Zwischen Klimakrise und Kreuzworträtseln

«Spatzen am Brunnen» versammelt Tagebucheinträge von Schneider aus den vergangenen drei Jahren. Texte, die er in einem Heft festhielt, das mit seinem Leben mitging, ohne sich aufzudrängen. So klafft zwischen zwei Einträgen eine Lücke von knapp einem Jahr, als Schneider wegen zweier Operationen nicht schreiben konnte, dafür «durch die Kunst der Ärzte noch ein bisschen Zeit zum Weiterleben erhalten» hat.

Entstanden sind Texte, die zwischen einem Satz und vielen Seiten lang sind, zwischen Alltag und philosophischen Überlegungen balancieren, zwischen Licht und Schatten, Leben und Tod. Zwischen Klimakrise und Zmittag mit alten Kollegen in der Quartierbeiz. Und die einen Alltag zeichnen zwischen den besten Kreuzworträtseln und Heidegger, Psychoanalyse und dem eigenen Schreiben. Impulse in der Gegenwart lassen Schneider in seinen Einträgen tief abtauchen in längst vergangene Zeiten. Immer von seinen Spaziergängen getrieben, etwa zum Petersplatz, «wo ich einen Teil meiner Vergangenheit besuche», wie er im Tagebuch festhält.

Wir sitzen inzwischen auf einer Bank auf dem Basler Petersplatz und schauen auf den Botanischen Garten. Wir hören eine Meise und eine Amsel singen, mehrere Velofahrende düsen vorbei, hin und wieder grüsst Schneider einen Bekannten.

«Ich glaube, ich würde alle laufen lassen»

Unangenehm sei es ihm nicht, dass jetzt ein Tagebuch von ihm veröffentlicht wird. «Von dem Moment an, wenn es auf dem Papier ist, ist es Literatur, und dann geht es mich nichts mehr an», erzählt er. Und sowieso sei er ein autobiografischer Autor, der für seine Geschichten grundsätzlich zu sich selbst zurückkehre: «Auch der Hunkeler hat eigentlich viel mit mir zu tun – auch wenn ich nie Kommissär sein könnte, ich glaube, ich würde alle laufen lassen», sagt er lachend.

Tagebücher habe er immer wieder geschrieben, sagt Schneider: «Vor allem in Krisenzeiten, wenn ich gerade an keiner Geschichte war. Mit den Tagebüchern habe ich dann eigentlich nichts anderes gemacht, als über mein Leben nachzudenken, bis mir dann halt wieder eine Geschichte einfiel.» Die Hoffnung auf einen neuen Hunkeler macht Schneider im Tagebuch aber zunichte. Ohne Verbitterung sagt er auch im Gespräch: «Ich glaube, für eine neue Geschichte bin ich langsam einfach zu alt.»

Der Tod nimmt auch im Tagebuch einen grossen Teil ein. Mit dem Sterben von langjährigen Bekannten konfrontiert, denkt Schneider immer wieder auch über die eigene Sterblichkeit nach – gelegentlich auch mit federleichtem schwarzem Humor: «Ohne die Schreiberei langweile ich mich zu Tode. In meiner Todesanzeige wäre dann zu lesen: «Er ist aus lauter Langeweile gestorben.»

Ein Trottel ist er auch in hohem Alter nicht

Das Tagebuch lässt einen eintauchen in die Erlebniswelt eines Mannes, der aus einer anderen Zeit stammt, die aktuellen Entwicklungen aber nicht minder interessiert beobachtet. Im Internet war er selbst allerdings noch nie. Der «Anspruch, ewig zu funktionieren, macht mir diese Einrichtung unheimlich», schreibt Schneider in einem Eintrag.

Spatzen am Brunnen. 
Bild: Bild: zvg/Diogenes

«Spatzen am Brunnen» ist ein traurig-schönes Buch. Man beobachtet das Erleben eines Mannes, der seinen eigenen Spuren auf die Spur kommt, rührend, zugleich sehr klug und lesenswert. Manchmal komme er sich vor wie ein «alter Trottel», heisst es im Buch. Das ist Hansjörg Schneider aber auch 85-jährig keinesfalls. Das zeigt er sowohl mit seinem Tagebuch als auch auf unserem Spaziergang.

Hansjörg Schneider: Spatzen am Brunnen . Diogenes Verlag, 208 Seiten.

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