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US-Literatur

Armut made in USA: Im Roman «Überfluss» will ein Obdachloser ein guter Vater sein und vermasselt es

Sein Absturz mit Sohn beginnt mit 89,34 Dollar: Der junge US-Autor Jakob Guanzon erzählt wie der oscargekrönte Film «Nomadland» von Heimatlosen.

Der US-Autor Jakob Guanzon.
Bild: Bild: pd

Im Gegensatz zum Roman «Überfluss» war das 2021 mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnete Drama «Nomadland» fast schon niedlich. Frances McDormand durchquerte in jenem Kinofilm, der auf einem Sachbuch basiert, als obdachlose Witwe in ihrem Wohnwagen die USA und traf dabei jede Menge Aussenseiter, die ohne feste Bleibe in ihren Autos lebten. Henry, der junge Vater in Jakob Guanzons Roman «Überfluss», hätte gut in diesen Film gepasst – als ein extremes Beispiel.

Jakob Guanzon: Überfluss. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Dietlind Falk. Elster&Salis, 300 Seiten. 
Bild: Bild: Pd / Verlag elster&salis

Mal sind es 89,34 Dollar, dann 207,55, später nur noch 17,41. So sind die Kapitel dieses Romans überschrieben. «Überfluss» ist ein zynischer Titel, der Antiheld wird hier auf sein jeweiliges Restvermögen festgelegt, das sich meist nur auf Kleingeld beschränkt. Eine bittere Lektion. Die Idee ist bestechend: Ein Roman, der den Schicksalsfaden seiner Figuren an der Dicke oder eben an der Leere des Portemonnaies entlang erzählt.

Alles in seinem Leben war falsch – und ist es immer noch

Das ruppige Pathos im Erzählton des Romans passt bestens zum Verlierertypus dieses jungen Vaters Henry, der nach einer verkorksten Jugend wegen Drogen im Knast sass, nun seinem achtjährigen Sohn ein Geburtstagsmenü im McDonalds schenken will, aber jeden Cent umdrehen muss.

Die Traurigkeit dieser Armut macht Guanzon schon in Henrys Sehnsuchtsblick auf die Speisekarte im Fast-Food-Restaurant greifbar. Man merkt: Jakob Guanzon beherrscht das amerikanische, immer leicht pathetische, bildhafte Storytelling. Und dass die Seife auf der Männertoilette babyrosa ist, signalisiert Henry: Nicht nur hier, sondern alles in seinem Leben war falsch – und ist es immer noch.

Natürlich will er sein Scheitern nicht wahrhaben, Selbsttäuschung ist der psychologische Treibstoff in diesem Roadmovie-Roman. Das Changieren des Erzählers zwischen rührend-einfühlsamer Nähe zu diesem Loser und ironischer Distanz macht die Lektüre lebhaft. Denn dass Henry allmählich den Realitätssinn verliert und auf die immer heftigeren Bauchschmerzen seines kleinen Sohnes nicht angemessen reagiert, sondern sich in einen Streit mit Hundedealern einlässt, wäre sonst kaum auszuhalten.

Vielleicht ist es ja ein typisches Merkmal von Verliererfiguren, dass sie, statt sich lebenstauglich in der Gegenwart zu bewähren, viel mehr in der Vergangenheit leben. Dort liegen nach Henrys Ansicht die Ursachen seiner Misere, und der Roman erzählt davon immer wieder in ausführlichen Rückblenden: Seine Liebe zur bulimisch-schroffen Michelle, das schnelle Geld mit Drogen, das pubertäre Verlorenheitsgefühl, der soziale Abstieg von Henrys Vater, der frühe Tod der Mutter.

Die schiefe Bahn abwärts lässt auf kein Happy End hoffen. Henrys tapferer, immer wahnhafterer Kampf gegen sein Ausgestossensein ist rührend, dramatisch, beklemmend.

Jakob Guanzon: Überfluss. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Dietlind Falk. Elster&Salis, 300 Seiten.

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