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Neuerscheinung

Als die Schiffe auch Vieh transportierten: Monumentales Buch über die Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee

Das neue Buch blickt auf fast 200 Jahre zurück. Neben vielen Informationen über die Schiffe selber, gibt es auch zahlreiche Anekdoten. Auch die wichtigsten Havarien werden geschildert.

So voll, dass man Angst kriegen könnte: Dampfschiff 'Schiller' am legendären Dampfer-Sonntag vom 1. Oktober 1972. Es ging aber alles gut.
Bild: Bild Robert Horlacher

Es ist ein Prachtsband. Und die Autoren sind zwei profunde Kenner der Schifffahrt: Jürg Meister und Josef Gwerder. Das 632-seitige Buch beschreibt jedes Schiff, das seit den Anfängen des Schiffsverkehrs auf dem Vierwaldstättersee 1837 im öffentlichen Verkehr auf dem See gefahren ist. Die Zeitspanne umfasst 185 Jahre – bis in die Gegenwart. Das Buch bietet sorgfältig aufgearbeitete Fakten und Unterhaltung zugleich.

Nach der Einleitung folgen die Raddampfschiffe, die Motorschiffe und Schraubendampfschiffe– total werden 57 Einheiten beschrieben. Die Spanne reicht von der «Stadt Luzern» I (1837) bis zum Motorschiff «Bürgenstock» (2018). Die reichhaltige Bebilderung umfasst auch filigrane technische Skizzen, Schiffs-Interieurs, Maschinen, Güter- und Postverkehr und vieles mehr.

Viele Unklarheiten konnten korrigiert werden

Basis für die Texte bildeten drei Vorgänger-Versionen von Büchern über die Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee aus den Jahren 1974, 1986 und 1998. «Das Buch von 1998 diente als roter Faden für den neuen Band», sagt Herausgeber und Autor Jürg Meister. Die Texte haben vorbestanden, «aber wir haben jeden einzelnen Satz angeschaut, vieles ergänzt und gegen 500 Unklarheiten korrigiert», betont Meister. Hilfreich dabei waren auch die Archive von Sulzer und Escher-Wyss sowie das Bundesarchiv mit einer Fülle von Material.

«Die Bebilderung ist zu 95 Prozent neu», so Meister. «Wir haben auch thematische Schwerpunkte sowie Bezüge gesetzt, etwa zur Landschaft, zu Kirchen oder Kapellen.» Diese gehen über das nüchterne Technische weit hinaus. Entsprechend interessant sind auch die Bildlegenden.

Klosterfrau mit ihren Schülerinnen um 1940 auf DS 'Uri'
Bild: Bild aus Buch / Archiv für Volkskunde

Komplett neu ist ein zehnseitiger Text zum Thema «Navigation auf dem Vierwaldstättersee». Dieser wurde mit grossem Wissen und Erfahrung von Kuno Stein, ehemaliger Kapitän des SGV-Flaggschiffs «Stadt Luzern», verfasst. Er beleuchtet die Navigation von früher (bis ca. 1980) und diejenige von heute mit Radar und Satellitennavigation.

Tierische Passagiere und menschliche Promis

Auf den Schiffen waren früher auch regelmässig tierische Passagiere an Bord. Viehtransporte über den See gehörten über sehr lange Zeit zu den gewohnten Selbstverständlichkeiten. Rinder wurden an Märkte geführt. Das belegt ein Bild von 1948, aufgenommen im Mitteldeck auf der «Unterwalden». Auch Pferde oder Ziegen wurden transportiert. Früher wurden auch schwere Post- und Güterkarren auf die Schiffe verfrachtet. Dabei war viel Manneskraft gefordert.

Ein kurioser Anblick: Angebundene Rinder auf dem Mitteldeck der «Unterwalden» im Jahr 1948.
Bild: Bild aus Buch /  Sammlung J. Meister

Die Dampfschiffe haben auch immer wieder prominente Persönlichkeiten über den See befördert. Berühmt ist die Fahrt der «Stadt Luzern» am 25. Juli 1940 zum legendären Rütli-Rapport mit General Henri Guisan und seinen Offizieren. Gast auf dem Flaggschiff der SGV-Flotte war auch Queen Elizabeth II am 2. Mai 1980. Dabei wandelte sie auf den Spuren ihrer Urgrossmutter Queen Victoria. Die Monarchin weilte 1868 für sechs Wochen in der Schweiz, zumeist in Luzern.

Sie mietete das Dampfschiff Winkelried für 6000 Franken und zusätzlich 100 Franken für jede Fahrt.

Eine dieser Fahrten führte nach Weggis. Von dort aus liess sich Queen Victoria im Tragsessel auf die Rigi transportieren.

Die «DS Winkelried» wurde 1868 von Queen Victoria für sechs Wochen gemietet. Die Fahrt begann jeweils bei dem extra errichteten weissen Baldachin (rechts).
Bild: Bild aus Buch: Zentralbibliothek Luzern/ Sammlung J. Gwerder

Bis in die Sechzigerjahre waren auch Ingenbohler Schwestern mit ihren Schützlingen, jungen Primarschülerinnen, regelmässig auf den Schiffen anzutreffen. Die «Uri» wurde am 31. Januar 1998 aus dem Winterschlaf geholt, um die US-First Lady Hillary Rodham Clinton nach Brunnen zu fahren.

Feuer, Stürme und Havarien

Dokumentiert sind in dem Buch aber auch unliebsame Ereignisse, wie etwa der Brand des Motorschiffs Europa im Jahr 1993. Die Schäden waren enorm. 1923 fuhr die «Unterwalden» bei Beckenried in die Ufermauer. Am 12. November 2017 geriet das MS Gotthard vor Beckenried in einen schweren Sturm. Beim Anlegemanöver versank der rechte Teil der Bugplastik «Föhn» von Hans Erni. Er konnte jedoch Tage später geborgen werden. Erwähnt ist auch die Havarie des Motorschiffs Diamant vom 7. Dezember 2017 kurz vor der Station Kehrsiten-Bürgenstock. Das Schiff hatte einen unter Wasser liegenden Felsen gestreift und schlug in drei Schalenräumen leck. Die Fahrgäste blieben unverletzt.

Am 20. Februar 1993 brannte das Motorschiff Europa in der Werft der SGV.
Bild: Bild aus Buch/SGV

Das auch wunderbar gestaltete Buch bietet Lesefreude und vermittelt viele Eindrücke aus fast zwei Jahrhunderten.

Dr. Jürg Meister (auch Hrsg.) und Josef Gwerder: Die Geschichte der Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee. Weber Verlag, 632 S., Fr. 69.–.

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