notifications
Popkultur-Glosse

Alle wollen «Opfer» sein – vor allem die, die keines sind

Vor ein paar Jahren war «Opfer» eine Beleidigung unter Teenagern. «Du Opfer!», warfen sie sich in Scharen an den Kopf. Dagegen tragen heute manche Promis den Titel als Opfer fast schon wie ein Statussymbol. Opfersein ist in – sofern man keines ist.

Die Oscars stehen wieder mal an. Weiss noch jemand, wer letztes Jahr gewonnen hat? Wie wohl die meisten, kann ich mich nur an einen Gewinner erinnern: Will Smith. Und das auch nur, weil er Chris Rock kurz vorher eine schallende Ohrfeige verpasst hat. Jetzt hat sich Rock in seinem neuen Netflix-Special erstmals dazu geäussert und klargestellt, dass er kein Opfer sei: «Ihr werdet mich nie heulend bei Oprah sehen!»

Der «Oscar-Slap»: Nachdem Chris Rock einen Witz über Will Smiths Frau machte, rastete dieser aus.
Bild: Bild: Keystone

Ganz anders Will Smith: Er hat die letzten 365 Tage versucht, seinen Ruf wiederherzustellen – indem er sich als Opfer inszeniert. Obwohl er sich zunächst entschuldigt hat und via Instagram Verantwortung übernahm: «Was ich getan habe, war falsch.» Er sei aber auch ein «Work in progress», noch in Arbeit. Genau so was sagen Promis gerne, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Sie wollen daraus lernen, ein besserer Mensch werden, bla, bla, bla.

Auf seiner Pressetour zum Film «Emancipation» nutzte er zahlreiche Interviews, um von seinem «emotionalen Wachstum» zu erzählen. Und dass er seine Frau und seine Familie beschützen wollte. An wen erinnert mich das bloss?

Und ja, ich höre schon das allgemeine Aufstöhnen: «Nicht schon wieder etwas über Harry und Meghan!» Entschuldigung, ich mach’s kurz. Chris Rock lästert ebenfalls über sie. Meghan scheine «eine nette Frau zu sein, die sich nur beschwert».

Chris Rock in seinem Netflix-Special «Selective Outrage».
Bild: Bild: Keystone

In der bereits kultverdächtigen «South Park»-Folge über sie spielt das Opfer-Thema auch eine Rolle. «South Park»-Bewohner Kyle will sich selbst als Marke aufbauen und beauftragt eine Firma, das passende Image für ihn zu finden. Vorschläge sind zum Beispiel «Sensibel, Frischluftfanatiker, bescheiden, Opfer.» Oder: «Schroff, Veganer, mitfühlend, Opfer.» Und: «Reich, gut aussehend, mehrfacher Grammy-Gewinner, Opfer.» Klar, es ist etwas übertrieben, aber die tragisch-heldenhafte Opferrolle ist en vogue. Ironischerweise vor allem bei den Schönen und Reichen.

Will Smiths Frau Jada hat sie auch schon zelebriert. Als er 2016 für seine Rolle im Film «Concussion» nicht für einen Oscar nominiert wurde, liess sie verlauten, die Award Show zu boykottieren. Moderiert wurde sie damals übrigens von Chris Rock, den Jada angeblich bat, den Job aus Solidarität nicht anzunehmen. Stattdessen witzelte er in seiner Moderation aber prompt: «Wenn Jada die Oscars boykottiert, ist das, wie wenn ich Rihannas Unterhose boykottiere. Ich bin gar nicht eingeladen!»

Mitleidmelken für Publicity, das machen Promis gerne. Natürlich gibt es auch in Hollywood echte Opfer. Interessanterweise nennen die sich aber nicht gerne so. Sie bezeichnen sich als «Survivor» - Überlebende.

Und wie sehr es in die Hose gehen kann, wenn man die Opferkarte ausspielen will, zeigt der Fall von Jussie Smollett. Der Schauspieler behauptete 2019, von zwei Männern angegriffen und rassistisch und homophob beleidigt worden zu sein. Nach einer enormen Welle der Solidarität von Promis und Normalos stellte sich aber heraus, dass er den «Angriff» offenbar selbst inszeniert hatte. Statt in die A-Liga der Stars aufzusteigen, landete Smollett im Gefängnis.

Schauspieler Jussie Smollett trieb die Opferrolle auf die Spitze – und bezahlte mit seiner Karriere dafür.
Bild: Bild: Keystone

Chris Rock macht das Gegenteil. Vor einem Jahr sah ihn wortwörtlich die ganze Welt als unschuldiges Opfer. Er sagte lange nichts dazu, nutzte den «Status» nicht öffentlich aus, sondern verarbeitete das Ganze privat. Dabei hätte er jedes Recht gehabt, seine Sichtweise zu veröffentlichen. Stattdessen macht er das, was er am besten kann: laute, bissige Sprüche über gesellschaftliche Phänomene reissen und uns damit zum Lachen bringen. Das ist keine Opferrolle, das ist süsse Rache, eiskalt serviert.

Und Will Smith? Laut «Entertainment Tonight» sei er «peinlich berührt und verletzt von dem, was Chris auf Netflix über ihn und seine Familie sagt». Er habe sich entschuldigt und möchte, dass Chris die Sache ruhen lässt. Wow. So viel zum Thema «Work in progress».

Kommentare (0)