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Ski nordisch

WM in Coronazeiten ist eine triste Sache

Die Menschen in Oberstdorf werden durch das Coronavirus um ein Skifest geprellt. Nun sind sie die traurigen Gastgeber einer Geister-WM.
Fast menschenleer: die normalerweise mit Wintertouristen gefüllten Gassen von Oberstdorf
Bild: KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER

Im kleinen Kurpark im Schatten des imposanten Turms der Kirche von Johannes dem Täufer spriessen bereits gelb ein paar Frühlingsblumen und dunkelgrün gucken die ersten Blätter der Tulpen aus der Erde. In der nebenan gelegenen Eisdiele Riviera hatte sich am Sonntag sogar eine kleine Schlange gebildet. Ein paar Wochenend-Ausflügler hatten den Weg nach Oberstdorf gefunden. Sie sind wegen des schönen Wetters und der Wanderwege gekommen, nicht wegen der Ski-WM. Da sind ja keine Zuschauer erlaubt.

Dabei hätte es so schön sein können. 350'000 Besucher hatten bei der letzten WM im Oberallgäu 2005 für Stimmung gesorgt. Am Mittwoch sind die Gassen des Ortskerns aber fast gänzlich verwaist. Wer unterwegs ist, trägt meist die rote Jacke der freiwilligen Helfer, den schwarzen Overall der sehr zahlreich patrouillierenden Polizisten oder zumindest den Akkreditierungs-Badge der zur WM zugelassenen. Die knapp 10'000 Einwohner scheinen sich verzogen zu haben, die normalerweise auch ohne WM Tausenden von Wintersportlern dürfen nicht kommen.

Seit 1495 darf sich die südlichste Gemeinde Deutschlands stolz Marktgemeinde nennen. Verkauft wird derzeit aber fast gar nichts. Der Lockdown ist deutlich strenger als in der Schweiz. Das Café am Kurpark, das Lifestyle- und Modegeschäft Bienenkorb, O'Reilly's Irish Pub, das Moorschwimmbad, Osiander (Bücher seit 1596) und, und, und: alles geschlossen. Die Einheimischen sind wohl eher bei den Discountern ausserhalb der Fussgängerzone. Offen haben - warum auch immer - "Bears & Friends" (jawohl, die verkaufen Gummibärchen) oder die Parfümerie, die im Gegensatz zum Kleiderladen auch Schals verkaufen darf. Und eben die Gelateria, die aber ohne die Wochenendausflügler wieder ziemlich leer neben der Kirche steht.

Gyros für Sportler statt Fans

Eine der vielen Bäckereien wirbt mit "Kaffee und Kuchen zum mitnehmen". Die Frage ist bloss, für wen? Einige Restaurants bieten Take Away an. Rechnet sich das? Stelios vom "La Dea" ("Ihr Grieche in Oberstdorf seit 1992") blickt etwas traurig und zuckt mit den Schultern: "Ehrlich? Eigentlich nicht." Auch wenn es während der WM etwas besser läuft als zuvor. Immerhin friert beim Essen auf der Parkbank keiner. Und: "Es gibt schon auch Sportler, die Gyros essen."

Eigentlich hätten aber die vielen Zuschauer für das grosse Geschäft sorgen sollen, nicht die Sportler. Lange hoffte man wenigstens auf die Hälfte der Fans, dann noch auf ein paar tausend, ehe man am Ende ganz mit leeren Händen dastand. Ausgerechnet der Freistaat Bayern hat die strengsten Lockdown-Vorschriften in ganz Deutschland. Hotels dürfen nur Geschäftsreisende beherbergen, die Bergbahnen und Skilifte sind zu und sogar im Freien muss in der Fussgängerzone die Maske der Kategorie FFP2 getragen werden. Über die Einhaltung wachen die vielen Ordnungshüter.

Nicht alle im Ort verstehen, dass die WM dennoch durchgeboxt wurde. Am Ende bleibt dem Ort nicht viel. Da und dort sind die Schaufenster noch dekoriert, an ein paar Häusern hängen auch Länderfahnen oder solche mit dem WM-Logo. Immerhin: Die Befürchtungen eines Massen-Coronaausbruchs bewahrheiteten sich nicht. Rund 4500 Leute sind an der WM beteiligt, 1650 Sportler und Betreuer, 1400 freiwillige Helfer und 800 Medienvertreter, die alle jeden zweiten Tag getestet werden. Von den 17'000 Tests bis Mittwochabend waren gerade mal neun positiv.

Einnahmen wären nötig gewesen

Ein norwegischer Fernsehreporter befragt ein paar der wenigen Passanten, was sie zum schlechten Abschneiden der deutschen Nordischen (nach 18 von 24 Entscheidungen erste eine Gold- und zwei Silbermedaillen) sagen. Es ist den meisten ziemlich egal, sie haben andere Sorgen. Ein Hotelier verteidigt die Durchführung in der lokalen Tageszeitung mit dem Verweis auf die Werbung durch die TV-Bilder. 40 Millionen Euro kostete die Modernisierung der Sportanlagen, die jedoch mehrheitlich vom Bund und Bayern übernommen wurden. Nach dem Umbau des Busbahnhofs und dem Neubau der Nebelhorn-Bahn (der Name ist übrigens ein Etikettenschwindel, Nebel hatte es zwei Wochen nie) soll die Therme ebenfalls erneuert werden - und die Gemeinde hat bereits 60 Millionen Euro Schulden. Da wären die Einnahmen der WM-Besucher fest eingeplant gewesen.

Der Freundlichkeit der allgegenwärtigen Helfer tut die Trauer über die Geister-WM keinen Abbruch. Sie sind ein kleiner Lichtblick in einer trüben Zeit. Nach der WM wird der Ort erst recht wieder in eine Art Schockstarre verfallen. Einem Schweizer Journalisten beschied sein Hotel schon mal, am Sonntag gebe es kein Essen mehr. Er sei dann der letzte und einzige Gast.

Es hätte so schön sein können. Seit Mittwoch ist sogar die Sonne weg, es ist Regen angesagt. Es passt zu dieser traurigen WM, für die die Oberstdorfer so gar nichts dafür können. (sda)

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