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Rad, Tour de Suisse, Story Claudio Imhof

Claudio Imhof ist nach einem fürchterlichen Trainingsunfall zurück auf der grossen Bühne. Der Thurgauer nimmt zum dritten Mal nach 2019 und 2021 an der Tour de Suisse teil. "Ich bin froh, bin ich überhaupt noch da", sagt er über seine Rückkehr.

Es gleicht einem kleinen Wunder, dass Claudio Imhof am Sonntag mit dem Schweizer Nationalteam in Küsnacht am Start steht. Noch vor drei Monaten war beim Thurgauer Bahnspezialisten nicht ans Velofahren zu denken. Nach einem schweren Trainingsunfall stand die Welt für den 31-Jährigen aus Sommeri plötzlich still, die Fortsetzung seiner Karriere auf der Kippe.

Passiert war es Anfang März bei einem unglücklichen Zusammenstoss bei Aerodynamik-Tests auf der Bahn in Grenchen. Imhof stürzte unverschuldet und zog sich dabei tiefe Schnittwunden im Gesicht, eine gebrochene Nase und ein Schädel-Hirn-Trauma zu. "Vom Unfall selber weiss ich nichts mehr, weil ich fast fünf Stunden bewusstlos war", erzählt er.

Die schweren Verletzungen erforderten sechs Wochen Bettruhe und viel Geduld. Die Rückkehr aufs Velo sei ein langer Prozess gewesen, ein ständiges Auf und Ab. "Auf einen guten Tag folgten zwei schlechte. Ich hatte mit Schwindel und Kopfweh zu kämpfen und mir war ständig übel. Zu Beginn waren bereits einfache Übungen zu schwer - auf einem Bein stehen oder etwas lesen. Ich fing wieder ganz bei null an."

Für diese Zeit der Rehabilitation hat Imhof Unterstützung im neurologischen Bereich in Anspruch genommen. "Ohne Hilfe wäre ich verloren gewesen", gibt er unumwunden zu. Trotzdem war er "stets positiv gestimmt, dass alles wieder gut kommt." Geholfen haben ihm dabei auch die Erfahrungen aus der Vergangenheit. Bereits 2013 und 2017 hatte Imhof mit den Folgen einer Hirnerschütterung zu kämpfen gehabt.

Nächtliches Kopfkino

Die Bilder vom Sturz im März hat sich Imhof mittlerweile angeschaut. Der Auffahrunfall wurde von der Überwachungskamera des Velodromes in Grenchen festgehalten. Imhof ist sich sicher: "Mit der nötigen Sorgfaltspflicht wäre alles zu verhindern gewesen." Jemandem die Schuld für den Unfall geben, will er aber nicht.

Auf dem Velo beeinträchtigt ihn heute nichts mehr. Die Gleichgewichtsprobleme, die ihm anfänglich zu schaffen gemacht haben, sind weg. Geblieben sind ein paar Narben im Gesicht und schlaflose Nächte, die ihn seit dem Unfall begleiten. "Ich schlafe immer noch sehr schlecht, habe fast täglich Albträume." Er sehe sich gegen etwas fahren, erschrecke dann und wache auf, beschreibt Imhof seine Träume. "Ich muss schauen, dass ich das in den Griff bekomme. Vielleicht wird es besser, wenn ich wieder regelmässig Rennen fahre." Er schliesst nicht aus, im Notfall auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die Geschehnisse zu verarbeiten.

Imhof ist sich bewusst, dass es auch anders hätte ausgehen können. So wie im Sommer 2018 beim Sturz von Kristina Vogel. Die elffache Bahn-Weltmeisterin aus Deutschland sitzt seither im Rollstuhl. "Ich bin tatsächlich froh, dass ich noch da bin und keine bleibenden Schäden habe. Ich hatte wohl mehrere Schutzengel."

Nur noch Bonus

Gute Erinnerungen haben Imhof geholfen, während der schwierigen Zeit den Mut nicht zu verlieren. Dazu gehören auch seine bisherigen Auftritte an der Tour de Suisse. Bei seiner ersten Teilnahme im Jahr 2019 war er in der 2. Etappe der grosse Animator und wurde nach einer langen Soloflucht mit dem Bergpreis-Trikot belohnt, das er danach sechs Tage lang stolz durch die Schweiz trug. Im letzten Jahr war er an drei Tagen in der Spitzengruppe vertreten und kam einmal fast durch.

Die eigenen Erwartungen für dieses Jahr will Imhof deshalb aber nicht zu hoch stecken. "Bei mir besteht jeweils die Gefahr, dass ich mir selber zu viel Druck mache." Nun sei es bereits ein Erfolg, überhaupt wieder dabei zu sein. "Noch vor zwei Monaten hätte ich nicht daran gedacht. Alles was jetzt kommt, ist Bonus", sagt Imhof, der mit seinen 31 Jahren der älteste und erfahrenste in der siebenköpfigen Equipe von Swiss Cycling ist.

Die Chance, dass er im fortgeschrittenen Alter noch Unterschlupf in einem Profi-Strassenteam findet, erachtet er als verschwindend klein. Vielmehr will Imhof die Landesrundfahrt nutzen, um sich optimal auf die im August in München stattfindende Bahn-EM vorzubereiten. Nur zwei Monate später folgt südlich von Paris bereits die WM, auf jener Bahn, auf der 2024 um Olympia-Medaillen gefahren wird.

Bei den nächsten Sommerspielen will Imhof mit dem Bahnvierer unbedingt dabei sein, nachdem er zuletzt sowohl für Rio wie auch für Tokio nicht berücksichtigt wurde, obwohl er mit seinen Leistungen massgeblich an den beiden Olympia-Qualifikationen beteiligt gewesen war. Mit der Heim-EM im nächsten Februar in Grenchen beginnt für Imhof & Co. die Qualifikationsphase für Paris 2024.

Doch vorerst gilt der Fokus ganz der Strasse und der Tour de Suisse. Positive Erlebnisse sollen dem Ostschweizer dabei helfen, seine Albträume loszuwerden. (sda)

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