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Golf

Das totale Desaster des Jean van de Velde

In dieser Woche kehrt das British Open, das älteste Golfturnier der Welt, an den Ort an der schottischen Ostküste zurück, an dem sich eine der grössten Tragödien des Golfsports abgespielt hat.
Aus Wasser und Morast wollte Jean van de Velde den Ball auf das Green schlagen
Bild: KEYSTONE/AP

Am Abend des 18. Juli 1999 wusste der designierte Sieger Jean van de Velde auf dem Platz von Carnoustie nicht, wie ihm geschah.

Als Jean van de Velde zusammen mit dem deutlich zurückliegenden Australier Craig Parry in der letzten Gruppe zum letzten Abschlag schritt, war das Turnier im Prinzip längst entschieden. Van de Velde führte mit drei Schlägen Vorsprung. Er würde als erst zweiter Franzose der Geschichte ein Majorturnier gewinnen. Als erster seit Arnaud Massy, dem Sieger des British Open 1907.

In den ersten drei Runden hatte van de Velde das 18. Loch sehr gut gespielt. Hinterher sagte er, dies habe ihm die Sicherheit gegeben, um mit der gleichen Strategie zu spielen. Mit der Strategie des Angriffs, die auch ein Risiko enthält. Vielleicht wäre er sich schäbig vorgekommen, wenn er das Risiko herausgenommen hätte. Schon eine 6 an diesem Loch, ein Doppelbogey, hätte ihm zum Triumph gereicht. Ein Profi, der jedes Risiko herausnimmt, spielt niemals mehr als ein Bogey. Er hätte das Loch auf drei statt auf zwei lange Schläge etappieren können. Ein Kinderspiel für jeden Profi. Van de Veldes Aufgabe wäre etwa so schwierig gewesen wie die eines Tennisprofis, der einen von drei Aufschlägen ins Halbfeld bringen muss - ohne Gegenspieler.

Aber der heute 52-jährige Südfranzose holte den Driver, den risikobehafteten längsten Schläger, aus der Tasche. Der englische TV-Kommentator sagte sofort: "Ich glaube, das ist keine gute Idee." Van de Velde schlug mit voller Wucht zu und weit nach rechts. Zu seinem Glück ging der Ball so weit nach rechts, dass er im Flug den Wasserlauf zwischen dem 18. und dem 17. Loch überquerte und in recht günstiger Position unweit des 17. Abschlags zu liegen kam. Auch jetzt hätte van de Velde noch die Möglichkeit gehabt, auf Defensive umzustellen und den Ball mit einem kurzen Eisen Richtung Green auf das richtige Fairway zu spielen. Aber wieder musste er mit dem Kopf durch wie Wand gehen. Er entschied sich für ein langes Eisen, mit dem er das Green attackierte. Dieser zweite Schlag war noch miserabler als der erste. Der Ball flog nach rechts gegen die Zuschauertribüne und von dort ins dünne, aber hohe Gras hinunter.

Ab jetzt konnte der Spieler nicht mehr zwischen Risiko und Sicherheit abwägen. Es ging nur noch darum, einigermassen gut aus dem Schlamassel herauszukommen.

Der dritte Schlag aus dem hohen Gras war sehr schwierig und missriet. Der Ball landete im Wassergraben vor dem Green und lag ungefähr 20 Zentimeter tief im Wasser. Was jetzt kam, schrieb Geschichte. Van de Velde zog Schuhe und Socken aus und stieg mit einem kurzen Schläger in den Graben. Jeder geübte Golfer weiss es, und jeder Physiker bestätigt es: Es ist nicht möglich, den Ball mit einem Golfschlag aus dieser Tiefe auch nur ein paar Zentimeter über die Wasseroberfläche zu bringen - geschweige denn, ihn zwanzig Meter weit Richtung Green zu bewegen. Aber unter dem entsetzten "Oh no!" des Kommentators erwog van de Velde tatsächlich, die Naturgesetze aushebeln zu wollen.

Die biblischen Gebote fangen so an: Du sollst nicht... Die Naturgesetze beginnen so: Du kannst nicht... Immerhin: Noch bevor er das Unmögliche umzusetzen versuchte, kam van de Velde zur Vernunft. Er holte den Ball aus dem Wasser und brachte ihn unter Anrechnung eines Strafschlags vor dem Graben ins Spiel. Mit Mühe und Not brachte er von dort weg eine 7 zustande. Es wurde das berühmteste Triplebogey der Geschichte.

Dass Jean van de Velde das anschliessende Stechen gegen den Amerikaner Justin Leonard und den Schotten Paul Lawrie nicht gewann, versteht sich. Auf diese Weise kam Lawrie zu seinem ersten und einzigen Titel auf Grand-Slam-Stufe. Van de Velde musste monatelang in der Öffentlichkeit begründen, wieso er das 18. Loch auf diese Weise gespielt hatte. Er erlangte danach nie mehr die Stärke, die er in Carnoustie über 71 Löcher ausgespielt hatte.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Hobbygolfer auf allen Plätzen der Welt machten sich über den unglaublichen Auftritt des Franzosen lustig. Auf freundschaftlichen Runden sprachen nicht wenige von einem "Van de Velde", wenn sie ihr Lochergebnis für die Karte meldeten. Van de Velde, Triplebogey. (sda)

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