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Nationalmannschaft

Weiterentwicklung und Stillstand

Die Schweizer Nationalmannschaft befindet sich seit Jahren in einem anerkannt guten Prozess und erhält dafür weltweit viel Lob. Doch die Resultate halten mit der spielerischen Entwicklung nicht mit.
Nationaltrainer Vladimir Petkovic zog am Montag nach der Rückkehr vom Finalturnier der Nations League in Porto Bilanz
Bild: KEYSTONE/MELANIE DUCHENE

Wenn die Nationalmannschaft eine Kampagne abgeschlossen hat, ergreift Nationalcoach Vladimir Petkovic bei der letzten gemeinsamen Mahlzeit das Wort. Er richtet seinen Dank für den geleisteten Einsatz an die Spieler, an seinen Staff und an die SFV-Mitarbeiter. Er läuft dann durch die Tischreihen und verabschiedet sich von jedem persönlich. Mit starkem Händedruck und charmantem Lächeln. Er macht das immer so. Ob er zufrieden ist, oder nicht. Ob die Schweiz erfolgreich war, oder nicht.

Im Teamhotel in Vila Nova de Gaia, der Nachbarstadt von Porto, verdeckte Petkovic am späten Sonntagabend mit dem Lächeln seine Enttäuschung. Er wollte nicht mit zwei Niederlagen von diesem Finalturnier in Portugal zurückkommen. Auch dem Spiel um Platz 3 gegen England hatte er einen sehr hohen Stellenwert beigemessen. Wer ihn in den Stunden vor der Partie erlebt hatte, sprach von einem überaus angespannten Trainer. Zwei Niederlagen in Pflichtspielen hatte Petkovic mit dem Nationalteam erst einmal erlebt. Das war vor fünf Jahren gerade nach seinem Amtsantritt nach der WM 2014.

"Gutes bis sehr gutes Jahr"

"Wir sind mit den grossen Mannschaften auf Augenhöhe, aber wir sind noch nicht so gut, dass wir gegen solche Gegner auch regelmässig gewinnen können", sagte Petkovic am Tag nach dem Spiel. In dieser Saison hat die Schweiz gegen Belgien, England und Dänemark, drei Teams, die an der letzten WM wie sie die K.o.-Phase erreicht hatten, nur eines von fünf Spielen gewonnen. Gleichwohl sprach dann Petkovic aber von einem "guten bis sehr guten Jahr". Sie hätten die "Spielidee etabliert und gewisse Prinzipien weiterentwickelt".

Umbruch, Weiterentwicklung, Prozess. Es ist das Mantra, das die Schweizer Nationalmannschaft seit bald einem Jahrzehnt begleitet. Im Frühling 2011 sorgte Ottmar Hitzfeld für den Generationenwechsel, nachdem die Fraktion um Alex Frei, Marco Streller und Benjamin Huggel abgetreten war. Fünf Jahre später setzte Petkovic seinen Captain Gökhan Inler vor die Tür, ein Schritt, der mit einer neuen Spielphilosophie einherging. Das Nationalteam hatte nun endgültig in Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri ihre spielerischen Leuchttürme. Nach der WM im letzten Sommer folgte der nächste Schnitt. Valon Behrami trat ab, Blerim Dzemaili wurde nicht mehr berücksichtigt, und Captain Stephan Lichtsteiner war nur noch unregelmässig dabei.

Es war in diesen Jahren stets so, dass dem Schweizer Team Fortschritte attestiert wurden. Die spielerische Qualität: erhöht. Das taktische Spektrum: erweitert. Das Kader: verbreitert. Nach dem Umbruch von 2011 spielte das Team frecher. Nach der Ära Inler lobten Experten den Spielstil als "Spanisch für Fortgeschrittene". In Guimarães sagte Englands Coach Gareth Southgate über die Schweiz: "Ich mag ihre Spielphilosophie.“ Wenige Tage zuvor hatte sich Portugals Trainer Fernando Santos zur Aussage verstiegen, dies sei die Mannschaft "einer grossen Fussball-Nation."

Die vielen schönen Worte sind ein Hinweis auf die gute Arbeit, welche Hitzfeld begonnen und Petkovic seit 2014 weitergeführt hat. Aber nach der zweiten knappen Niederlage gegen den WM-Halbfinalisten England innerhalb von neun Monaten musste Petkovic sagen: "Wir wollten eigentlich schon mehr bekommen als bloss Lob und Anerkennung."

Nur den Sympathietitel gewonnen

Und das ist das Problem dieser Schweizer Auswahl. Am Ende bleibt sie "mit Lob, aber leeren Händen" zurück, wie Fabian Schär sagte. Immer sind die anderen einen kleinen Schritt voraus. In der Schlussphase des WM-Achtelfinals 2014 traf der Argentinier Angel di Maria ins Tor, während Dzemaili am Pfosten scheiterte. Im EM-Achtelfinal 2016 waren im Penaltyschiessen alle fünf Polen erfolgreich, während Xhaka einen Meter am Tor vorbeischoss. Im WM-Achtelfinals 2018 lenkte Manuel Akanji den Ball ins eigene Tor ab und nicht ein Schwede. Im Halbfinal der Nations League sorgte in den letzten zwei Minuten Cristiano Ronaldo für die Entscheidung und nicht Haris Seferovic. Und im Spiel um Platz 3 parierte Englands Torhüter Jordan Pickford den Schuss von Josip Drmic, während Yann Sommer alle Schüsse passieren liess.

Ob Hitzfeld oder Petkovic. Ob Frei, Inler oder Xhaka. Ob WM, EM oder Nations League. Es gelingt den Schweizern nicht, Grenzen zu verschieben. Sie schaffen es nicht, die Linie zu überschreiten, welche gross von fast gross trennt. Sie muss diesen Schritt baldmöglichst machen, sonst werden Worte wie Prozess und Weiterentwicklung zu einem Muster ohne Wert. Wenn Petkovic davon sprach, seine Mannschaft habe in Portugal einen "Sympathietitel gewonnen", dann ist das nicht nur ein gutes Zeichen. Auf Dauer sind es nicht die Gewinner, die solche Titel sammeln. (sda)

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