notifications
Sport

Der in Obwalden internierte Soldat, der die Idee zum Europacup hatte

Juliusz Ukrainczyk war einer der Väter des modernen Fussballs. Die Karriere des umtriebigen Funktionärs begann als internierter polnischer Soldat im Kanton Obwalden.
Die Interniertenkarte von Juliusz Ukrainczyk Bild: Schweizerisches Bundesarchiv, Bern

Cyril Aregger

Seit Dienstag rollt in der Champions League der Ball wieder. Unter diesem Namen läuft der Wettbewerb der besten europäischen Klubmannschaften seit der Saison 1992/93. Seine Ursprünge liegen jedoch noch deutlich weiter zurück: Der erste Europapokal der Landesmeister wurde in der Saison 1955/56 durchgeführt. Angestossen haben diesen Wettkampf zwei Fussballbegeisterte Männer: Der eine, der Franzose Gabriel Hanot (siehe Kasten rechts oben), ist bis heute weitherum als Gründer des Meistercups bekannt. Der andere, der Pole Juliusz Ukrainczyk, ist es weniger.

«Ucki», wie der 1911 in Warschau geborene Ukrainczyk genannt wurde, studierte an der Technischen Hochschule im tschechoslowakischen Brünn, ehe er Sportjournalist wurde. Im Zweiten Weltkrieg diente er im 202. Schweren Artillerie-Regiment der polnischen Armee, das an der Seite der Franzosen bei Belfort gegen Hitlerdeutschland kämpfte. In die Enge getrieben flüchteten rund 43 000 polnische und französische Soldaten in der Nacht auf den 20. Juni 1940 in die nahe gelegene Schweiz, wo sie in Internierungslager untergebracht wurden.

Mit dem «FC Flüeli» gegen den FC Luzern

Juliusz Ukrainczyk kam 1943 nach Obwalden. Hier begann seine Karriere als Fussballfunktionär. Die internierten Soldaten, die tagsüber hauptsächlich in der Landwirtschaft und im Strassenbau arbeiteten, spielten auch gerne Fussball. Und das taten sie offenbar ganz gut. Das Team der polnischen Internierten, das unter dem Namen «FC Flüeli» – dem Standort des Internierungslagers – bekannt war, bestritt zahlreiche Freundschaftsspiele gegen Teams aus der Nationalliga A und B, so auch gegen den FC Luzern. Organisiert wurden diese Spiele von Ukrainczyk, der als Mannschaftsbetreuer und Spieler firmierte.

Spielen durften die Polen nur unter Auflagen: Für jede Partie musste beim zuständigen eidgenössischen Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung eine Genehmigung eingeholt werden, die An- und Abreise per Zug sowie allfällige Übernachtungen waren genau festgelegt. Die Spieler wurden von Schweizer Offizieren begleitet, nach jedem Spiel gab es einen Rapport über die Disziplin der Spieler, wie in zeitgenössischen Dokumenten nachzulesen ist.

Schweigende Polen halfen dem FC Sarnen

Zwischen 1943 bis zu seiner Ausreise aus der Schweiz im Juni 1945 organisierte Ukrainczyk zahlreiche Fussballspiele. Die polnische Mannschaft war beliebt. So beliebt, dass sich der Verantwortliche Offizier des Internierungslagers Flüeli im Juli 1944 beim Obwaldner Regierungsrat für einen Sport-Toto-Beitrag in der Höhe von 500 Franken einsetzte. Das Team habe allein auf dem Sportplatz Sarnen 37 Fussballspiele gegen prominente Mannschaften ausgetragen und «damit die denkbar beste Propaganda des Sportes bei der Bevölkerung getan». Tatsächlich entsprach die Obwaldner Regierung dem Gesuch teilweise – und sprach 150 Franken für neue Fussballschuhe. Vielleicht auch, weil die polnischen Fussballer auch dem FC Sarnen immer mal wieder aus der Patsche halfen. Wie in der Vereinschronik festgehalten, wurden die durch den Militärdienst bedingten Lücken im Kader der Sarner mit polnischen Spielern gefüllt. Sie spielten unter falschem Namen und mussten schweigen, um nicht aufzufliegen. «Dieser ‹Dreh› ging gut und wurde vom Verband nie aufgedeckt», heisst es dazu in der Chronik des FC Sarnen.

Ukrainczyk organisierte nach seiner Ausreise aus der Schweiz weiter Freundschaftsspiele. Diesmal auf internationaler Ebene. Das Geschäft boomte, da es vor dem Europapokal der Landesmeister keine offiziellen Kräftemessen von Klubs aus unterschiedlichen Ländern gab – und dennoch alle wissen wollten, wer denn nun der Beste ist. Sein Job als Spiele-Vermittler – mit Spielern handelte er nicht – machte ihn zu einem der einflussreichsten Männer im Fussball der Nachkriegszeit. Die Klubs meldeten ihm ihre Lücken im Spielplan, um ein lukratives Freundschaftsspiel auszutragen. Auch Länderspiele organisierte er, so etwa Schweiz – Brasilien am 11. April 1956 auf dem Zürcher Hardturm (1:1). Bis zu 300 Spiele soll Ukrainczyk jährlich organisiert haben. 10 Prozent der Einnahmen sollen als Provision jeweils an ihn gegangen sein. Man habe ihn einst «Fussballzar von Europa» genannt, schrieb das holländische «Limburgs Dagblad» im Jahr 1963.

Als einflussreicher Vermittler stand er, wie eingangs erwähnt, auch am Anfang der Geschichte der heutigen Champions League. 1954, anlässlich der Fussball-WM in der Schweiz, wo er gemäss eigenen Worten einen «renommierten französischen Journalisten» traf. Es war Gabriel Hanot, dem er die Idee eines internationalen Klubwettbewerbs erzählte. In den darauffolgenden Monaten wurde die Idee konkretisiert, die französische Sportzeitung «L’Equipe» unterstützte sie. Der Spiele-Vermittler wollte mit dem neuen Wettbewerb den Kurswert der europäischen Topklubs steigern – und damit seine Provision für Freundschaftsspiele.

Die Uefa war anfangs nicht interessiert

Der 1954 gegründete europäische Fussballverband Uefa stand den Plänen anfangs skeptisch gegenüber, übernahm dann aber doch die Durchführung – auf Drängen des Weltfussballverbandes Fifa. Das Produkt «Meistercup» funktionierte – und den Erfolg bekam Miterfinder Ukrainczyk direkt zu spüren: Das öffentliche Interesse an Freundschaftsspielen schwand, die Clubs waren durch die regelmässig stattfindenden Spiele untereinander besser vernetzt und benötigten die Dienste des Spiele-Vermittlers immer weniger. Der Mann, der nach dem Krieg lange Jahre in Paris lebte und arbeitete und auch die französische Staatsbürgerschaft erhielt, geriet langsam in Vergessenheit. 1965, anlässlich des Einzugs von 1860 München in den Final des Cupsieger-Cups, schrieb das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» noch davon, dass «ein findiger Geschäftsmann namens Juliusz Ukrainczyk» die Idee zu den europäischen Klubwettbewerben hatte.

Im Januar 1978 verstarb Ukrainczyk, in Paris. Heute erinnert nur noch wenig an sein Wirken. In einigen Fachpublikationen und holländischen Medien wurden in den letzten Jahrzehnten Artikel über sein Wirken verfasst. Sein Wikipedia-Eintrag ist kurz, seine Beteiligung an der Erfindung des Europapokals fehlt im französischen Beitrag gänzlich und wird nur in der deutschen Version erwähnt. Gabriel Hanot wird an selber Stelle als «Wegbereiter des Europapokals» geehrt.

Der Artikel wurde verfasst mit Material aus dem Privatarchiv von Christian Stachon aus Neuenkirch. Dessen Vater ebenfalls in Losone und Sarnen interniert war.

Kommentare (0)