notifications
Zwischenbilanz

Schweizer Frauenpower und eine verpasste Chance

Bei Halbzeit der Sommerspiele in Rio de Janeiro hat die Schweiz mit fünf Medaillen und neun Diplomen die Ausbeute von London 2012 bereits übertroffen. Eine Analyse.
Das «Zufallsdoppel» freut sich über die Silbermedaille: Martina Hingis (links) und Timea Bacsinszky.
Bild: Keystone/Laurent Gillieron
Präsentiert stolz ihre Bronzemedaille: Giulia Steingruber.
Bild: EPA/Tatyana Zenkovich

Klaus Zaugg, Rio de Janeiro

Glückliche Tage in Rio de Janeiro. Strand, Sonne und am Sonntag zwei Medaillen wie aus dem Lehrbuch des erfolgreichen Olympia-Managements. Medaillen, wertvoll wie Gold. Mit einer Geschichte, gut genug für eine Verfilmung. Kunstturnerin Giulia Steingruber springt zu Bronze, Martina Hingis und Timea Bacsinszky gewinnen Silber im Tennisdoppel.

Giulia Steingruber (22) steht für den Erfolg einer klugen Sportförderung. Ihre Karriere wäre ohne die Unterstützung der Sportverbände nicht möglich, weil eine Kunstturner-Karriere auf dem freien Markt nicht finanziert werden kann. Martina Hingis (35) und Timea Bacsinszky (27) brauchen keine Sportförderung. Sie verdienen als Berufsspielerinnen gutes Geld. Sie stehen für die Emotionen des Sportes, die über alle Missgeschicke triumphieren. Eine sechsköpfige Tennisdelegation hätte nach Brasilien reisen sollen. Am Ende waren nur diese zwei Spielerinnen hier, und es war nicht einmal vorgesehen, dass sie zusammen das Doppel bestreiten. Sie gewinnen Silber.

Diethelm Gerber bricht den Bann

Die Spiele haben mit Frauenpower begonnen. Giulia Steingruber trug die Fahne ins Stadion. Die Spiele stehen im Zeichen von Frauenpower. Drei von fünf Medaillen haben Frauen geholt. Die Sportschützin Heidi Diethelm Gerber (47) hat den Bann mit ihrer Bronzemedaille gebrochen. In ihrem Sog holten sich Fabian Cancellara im Zeitfahren und der Leichtgewichtsvierer mit den beiden Luzernern Mario Gyr und Simon Schürch die Goldmedaille. Da dürfen wir schon fragen: Wo wären wir in Rio ohne Frauen?

Bei Halbzeit stehen wir mit fünf Medaillen und neun Diplomen dank Frauenpower bereits besser da als vor vier Jahren in London (4/6) während der ganzen Spiele. Ja, in London hatten die Schweizer bei der traditionellen Halbzeitbilanz noch keine Medaille. Es ist nun sogar möglich, dass der Rekord der Neuzeit (9 Medaillen im Jahr 2000 in Sydney) in Rio übertroffen wird.

Olympiasieger in der Vorbereitung

Warum sind die Schweizerinnen und Schweizer in Rio erfolgreicher als vor vier Jahren in London? Von den vielen Faktoren ist einer von zentraler Bedeutung und wird in den Emotionen des Augenblicks kaum erwähnt: In der britischen Hauptstadt war die Vorbereitung einfacher, in Rio ist sie ungleich schwieriger. In Rio ist mit akribischer Detailarbeit noch mehr herauszuholen als in London.

Die Schweizer sind Olympiasieger in der Vorbereitung. Die Effizienz unserer Sportfunktionäre ist in diesem Bereich weltweit unübertroffen. Nicht die Gesamtsumme, nicht die Quantität der eingesetzten finanziellen Mittel entscheidet. Es ist die Qualität. Die Effizienz. Die Intelligenz beim Einsatz der Mittel. Und das ist ein Problem. Die Schweizerinnen und Schweizer werden alle vier Jahre für ihre Tüchtigkeit bestraft. Die Forderungen nach grösserer finanzieller Unterstützung durch die öffentliche Hand (Bundeskasse) verhallen immer wieder ungehört. Mit einem einleuchtenden populistischen Argument: Es geht ja, was wollt ihr mehr?

Der Olympiageneral hofft

Aber wie lange funktioniert das noch? Weltweit wird in immer mehr Ländern immer mehr in den Spitzensport investiert. Im Herbst werden bei uns politische Weichen gestellt. Der Bundesrat wird dem Parlament einen Aktionsplan für die nächsten Jahre vorlegen. Es soll nicht mehr Geld aus der Bundeskasse in den Spitzensport fliessen. Olympiageneral Ralph Stöckli sagte gestern im Rahmen der «Halbzeitbilanz», er hoffe immer noch auf grössere finanzielle Unterstützung durch den Bund. Sportminister Guy Parmelin und Bundespräsident Johann Schneider-Ammann waren hier in Rio. Man habe gute Gespräche geführt.

Unsere Sportgeneräle mögen zu den besten der Welt gehören. Politisch sind sie naiv. Bundesräte sind immer gut gelaunt, wenn sie eine schöne Reise machen und mit Sportlerinnen und Sportlern plaudern dürfen. Gute Gespräche unter Palmen haben keinerlei politische Bedeutung. Bei «Halbzeit» ist die Schweiz in Rio eine grosse Sportnation. Sportpolitisch bleibt sie daheim im eigenen Land ein Zwerg. Frauenpower könnte unserem Sport zu mehr politischem Drive verhelfen. Aber kein einziger der Fachverbände schickt eine Kandidatin für die anstehende Präsidentenwahl von Swiss Olympic, für den wichtigsten politischen Posten im Schweizer Sport, ins Rennen. Eine verpasste Chance.

Empfang von Timea Bacsinszky (rechts) und Martina Hingis im «House of Switzerland».
Bild: Keystone / Laurent Gilliéron
Martina Hingis, links, und Timea Bacsinszky, rechts, küssen ihre Silbermedaillen.
Bild: Keystone / Laurent Gilliéron
Martina Hingis (rechts) Arm in Arm mit Timea Bacsinszky.
Bild: Keystone / Peter Klaunzer
Timea Bacsinszky (links) und Martina Hingis in Aktion im Tennis-Doppel-Final.
Bild: AP Photo/Charles Krupa
Die Russinnen Ekaterina Makarova (links) und Elena Vesnina feiern ihre Goldmedaille.
Bild: EPA / Michael Reynolds
Timea Bacsinszky (links) und Martina Hingis sprechen sich ab.
Bild: AP Photo/Charles Krupa
Martina Hingis wartet auf den Ball.
Bild: AP Photo/Charles Krupa
Russlands Ekaterina Makarova (rechts) und Partnerin Elena Vesnina spielen gegen die Schweiz.
Bild: AP Photo/Charles Krupa
Timea Bacsinszky (links) und Martina Hingis gehen beide auf den Ball los.
Bild: AP Photo/Charles Krupa
Martina Hingis konzentriert.
Bild: AP Photo/Charles Krupa
Timea Bacsinszky (links) redet mit Martina Hingis.
Bild: AP Photo/Charles Krupa
Kommentare (0)