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Luzern

Zwei Förster aus zwei Generationen: Das sind die Herausforderungen im Luzerner Gütschwald

Stürme, Klimawandel, Pilzbefall: Der Wald und seine Bäume haben viele Feinde. Wir trafen uns mit zwei Förstern aus verschiedenen Generationen im Luzerner Gütschwald – und unterhielten uns mit ihnen über zukünftige Herausforderungen.
Raphael Müller (heutiger Oberförster) und Ferdi Willmann im Gütschwald. (Bild: Pius Amrein, Luzern, 15. Oktober 2019)

Hugo Bischof

Das Stadtforstamt Luzern feiert sein 200-jähriges Bestehen. Was sind seine Aufgaben, was die grossen Herausforderungen der kommenden Jahre? Wir treffen uns mit Raphael Müller und Ferdi Willmann im Gütschwald. Müller, 46-jährig, ist seit 2011 Stadtoberförster der Korporation Luzern. Willmann, 81-jährig, war von 1974 bis 2001 Förster der Berg- und Alpenwaldungen Pilatus, die auch Teil des Luzerner Stadtforstamts ist. Zwei Generationen von Förstern, ein gemeinsames Anliegen: die Liebe zum Wald und die Sorge um dessen Weiterbestehen.

Müller und Willmann führen uns an eine Stelle, die viel über die Geschichte des Waldes erzählt. Einige wenige, fast 40 Meter hohe Buchen und Eichen stehen hier, lose verteilt auf dem mit Brombeer überwucherten Boden. Müller und Willmann schätzen ihr Alter auf über 100 Jahre. «Sie sind Überlebende des Gewittersturms vom 31. Juli 1960», erzählt Müller. «Zwei Drittel des Gütschwalds wurden damals niedergelegt, ein Drittel durch den Sturm selber, ein Drittel durch Folgeschäden wie Borkenkäfer-Befall und weitere Stürme.»

Zur Erneuerung braucht es oft mehrere Menschengenerationen

9000 Kubikmeter Schadholz fielen nach dem Sturm 1960 an, heisst es in der Broschüre, die das Stadtforstamt zu seinem Jubiläum herausgibt. Das entspricht einer vollen Jahresnutzung des Stadtforstamts. Weitere 11 000 Kubikmeter kamen in den Jahren darauf durch die Folgeschäden dazu. Einer der beliebtesten Stadtwälder wurde damals innert weniger Minuten praktisch vollständig zerstört. Der Gütschwald wurde danach rasch wieder aufgeforstet. Gemäss Jubiläumsbroschüre pflanzte man dabei 259 000 junge Bäume, mehrheitlich Fichten, Tannen und Lärchen. Die Fichten setzten sich am besten durch, der Gütschwald hat heute den Aspekt eines Fichtenforstes. Deshalb fördert man hier das Laubholz, wo immer möglich.

«Das Faszinierende am Wald ist, dass er sich erneuert – auch wenn er dafür manchmal mehrere Menschengenerationen braucht», sagt Willmann. Er weist auf die Weisstännchen hin, die zwischen den Baumriesen wie zarte Pflänzchen wirken: «Sie können im Schatten grosser Bäume sehr lange vegetieren; und dann, wenn es Licht gibt, schiessen sie in die Höhe.»

Stürme rissen auch später immer wieder tiefe Furchen in die Luzerner Stadtwälder. An Vivian 1990 und Lothar 1999 erinnern sich viele noch immer mit Schrecken. Auch lokale Unwetter sind oft nicht weniger zerstörerisch; im Juli 2019 fielen einem von ihnen allein im Bireggwald 800 bis 1000 Kubikmeter Holz zum Opfer. «Stress für den Wald bedeuten auch lange Hitzeperioden sowie Trockenheit», sagt Müller. Sein Fazit: «Der Klimawandel ist im Wald bereits deutlich zu spüren.» Probleme machten auch eingeschleppte Pilzkrankheiten, wie zum Beispiel das Eschentriebsterben. Die Esche sei im Luzerner Stadtwald bereits deutlich zurückgegangen.

Zu den Gewinnern des Klimawandels werden gemäss Müller trockenheits- und wärmeliebende Baumarten wie die Eiche oder die Linde gehören. «Im Gegensatz dazu wird die flachwurzelnde Fichte vermehrt vom Borkenkäfer befallen und aus einzelnen Wäldern vermutlich verschwinden.» Laut Willmann zeigt auch die Buche, die dominierende Baumart der tieferen Lagen, erste Absterbeerscheinungen: «Ich stelle vermehrt fest, dass Buchen ihre Blätter im Sommer früh verfärben und neu austreiben. Das zeigt, dass sie sich gegen das Sterben wehren.»

Neue Debatte ums Waldsterben?

Bahnt sich ein neues Waldsterben an – wie Anfang der 1980er-Jahre, als dazu eine kontroverse Debatte entbrannte? «Ich fand den Begriff schon damals falsch», betont Willmann: «Nicht der Wald stirbt, sondern die Bäume sterben.» Allerdings seien damals im Umfeld von Industrieanlagen in Osteuropa tatsächlich ganze Wälder eingegangen. «Die Waldsterbedebatte hat mit der Einführung von Luftreinhaltegesetzen und Katalysatoren auch Positives bewirkt», betont Müller.

Früher ersetzte man abgestorbene Bäume meist durch Exemplare der gleichen Art. Heute pflanzt man vermehrt klimaresistente Arten: Eiche, Kastanie, Hagebuche, Linde oder Kirsche. «So weit wie im Tessin, wo immer mehr Palmen auftauchen, sind wir noch nicht. Ausländische Pflanzen, die nicht hierher gehören, entfernen wir wieder.» Müller betont: «Das Sterben einzelner Bäume gehört zum Ökosystem. Unser Auftrag ist, den Wald als Ganzes zu erhalten. Dazu brauchen wir auch die Jagd, denn das Wild hat einen grossen Einfluss auf die Waldverjüngung.»

«Kulisse für Jogger, Biker und Reiter»

Den Wald als Erholungsgebiet für die Bevölkerung zu erhalten – auch dies ist Aufgabe des Stadtforstamts. Vita-Parcours, Finnenbahn, Wanderwege und Feuerstellen müssen gewartet werden. Der Nutzungsdruck nehme zu, betonen die beiden Förster. Müller formuliert es zugespitzt so: «Bei uns ist der Wald oft nur Kulisse für Jogger, Biker und Reiter.» Die meisten Nutzer würden sich vorbildlich verhalten, sagt Willmann: «Es gibt aber leider auch andere.» Littering und Vandalismus würden vermehrt auftreten, bestätigt Müller: «Der Wald ist einer der letzten Freiräume, die nicht überwacht werden, das nützen einige aus. Bäume werden gefällt, Sitzbänke als Grill-Brennholz missbraucht und zum Zeitvertreib Nägel in Bäume geschlagen. Willmann nennt ein besonders trauriges Vorkommnis: «Im Krienser Schachenwald richteten wir mit grossem Aufwand zusammen mit der Gemeinde einen Pfad für Rollstuhlfahrer ein. Er verkam innerhalb weniger Wochen zu einer Galopperstrecke für Reiter.»

Zur Pflege des Waldes gehört auch der Holzschlag. Bäume werden aus verschiedenen Gründen gefällt, nicht nur wegen der Sicherheit, sondern auch für die Holzgewinnung, denn Holz findet Anwendung in vielen unserer Lebensbereiche. «Nur so viel nutzen, wie nachwächst – das ist unser Grundsatz», sagt Müller. Wenn Bäume gefällt werden, stösst dies in Teilen der Bevölkerung dennoch oft auf Unverständnis. «Das ist schade», sagt Müller. «Die Waldeigentümer machen so viel Gutes für die Bevölkerung und den Naturschutz. Ab und zu ein anerkennendes Wort wäre schön.»

Rund 8000 bis 9000 Kubikmeter Holz werden im Luzerner Stadtwald jährlich genutzt. Es wird verkauft, als Bauholz, für die Möbel- und Holzplattenherstellung und als Brennholz. Eine grosse Herausforderung für das Stadtforstamt ist, dass der Holzpreis eingebrochen ist. «1983 bezahlte man für einen Kubikmeter Holz durchschnittlich 127 Franken, heute sind es noch knapp 60 Franken», sagt Müller. «Einst entsprach der Preis für einen Kubikmeter Holz dem Tagesgehalt eines Waldarbeiters; heute ist es gerade noch ein Stundenlohn. Die Maschinen- und Lohnkosten entwickeln sich gerade umgekehrt zum Holzpreis», sagt Müller. Eine anständige Entlöhnung sei aber wichtig. «Denn», so Müller, «der Beruf des Forstwartes ist mit vielen Risiken verbunden; die Forstwirtschaft steht in der Rangliste der gefährlichsten Berufe zusammen mit dem Baugewerbe an der Spitze.» Müller und Willmann sind froh, dass es unter ihnen, abgesehen von Knochenbrüchen, nie zu sehr schweren oder gar tödlichen Unfällen gekommen ist.

Lieber mit Holz als mit Beton bauen

«Es wäre schön, wenn der Holzpreis in den kommenden Jahren wieder steigen würde», sagt Müller. «Nur so können wir auch die nötigen Pflegearbeiten im Jungwald oder den Strassenunterhalt bezahlen. Holz sollte als Baustoff wieder vermehrt zum Einsatz kommen. Es ist ein uralter Werkstoff, der trotzdem modern ist.» Auch aus ökologischer Sicht sei es besser, mit Holz als etwa mit Beton zu bauen: «Holz wird naturnah und nachhaltig produziert und stammt aus der Region.»

Die Waldarbeit ist heute im Prinzip die gleiche wie vor einigen Jahrzehnten. «Nur die Ausrüstung der Forstwarte und die Technik haben sich verändert, der Maschinenpark ist heute viel grösser», sagt Willmann. Etwas anderes ist geblieben: «Der grosse Zusammenhalt unter uns Forstarbeitern», betonen Willmann und Müller einhellig.

Geschichte der Luzerner Stadtwälder

1732

Die Luzerner Obrigkeit verbietet das Schlagen von Eichen und deren Verkauf ausser Landes. Sie reagiert so auf den wegen des Bevölkerungswachstums wachsenden Druck auf die Wälder: Holz ist als Brenn- und Bauholz sehr gefragt. Daneben dienen die meist gemeinschaftlich genutzten Wälder der Landwirtschaft als Weiden.

1764

Die Luzerner Obrigkeit erlässt detailliertere Bestimmungen zur Beweidung der Wälder durch Vieh sowie verbindliche Daten, an denen Bäume geschlagen werden dürfen.

1819

Der Stadtluzerner Jost Mohr (1782-1853) wird zum ersten Forstinspektor der Stadt Luzern gewählt. Mohr ist ein gefragter Vermesser und Kartograf.

1822

Unter dem Einfluss der Französischen Revolution teilt die Stadt Luzern ihr Gut in das Stadtgemeinde-, Ortsbürgergemeinde- und Korporationsgut auf («Sönderung»). Auch die Wälder werden auf die neugegründeten Körperschaften aufgeteilt. Die Korporation wird mit der Unterhaltspflege der Wälder, Liegenschaften und Kulturgüter sowie der Pflege der Reuss- und Seefischenzen betraut. Einwohnergemeinde und Bürgergemeinde werden 2000 wieder zusammengelegt. Die Korporation bleibt bis heute eigenständig.

1824

Jost Mohrs Plan der Pilatuswälder enthält 25 schwarze Punkte. Sie markieren die Plätze, wo Holzkohle gebrannt wurde. Die Wälder in der Umgebung der Kohlplätze sind aufgelöst, das heisst stark übernutzt. Mohr erreicht mit seinen Untersuchungen, dass die waldschädliche Verkohlung des Holzes sukzessive eingeschränkt wird.

1875

Erstmals fliesst Wasser aus dem Eigenthal in die Stadt zur Versorgung der Bevölkerung.

1889

Die Korporation Luzern erlaubt der Stadt, den Gütschwald zu einem «Waldpark» zu entwickeln. Die Wege werden fussgängerfreundlich gestaltet, Ruhebänke und Wegweiser aufgestellt.

1906

Die Einwohnergemeinde erwirbt als weitere Wasserquellen im Eigenthal von der Bürgergemeinde die Alp Rotstock sowie 1910 von Privaten die Alp Bründlen und läss sie vom Stadtforstamt aufforsten. Dadurch kann der Wasserabfluss verstetigt und die Qualität des Wassers verbessert werden. Das Wasser aus dem Eigenthal bildet bis heute einen wichtigen Teil der Wasserversorgung der Stadt Luzern.

1931

Für den Bau des Kunsthauses beim Inseli werden 1400 Holzpfähle von 12 bis 16 Metern Länge aus den Pilatuswäldern sowie Wäldern in Horw und Rothenburg mit einem vierspännigen Pferde-Transporter zum Bauplatz in Luzern gefahren. Sie werden in den schlammigen Boden gerammt, als Fundament für das Gebäude.

1941

Die Gütschhütte wird gebaut, als Zentrum des «Stadtparks».

1947

Mit der Anschaffung eines Jeeps startet die Mechanisierung/Motorisierung des Forstbetriebs.

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