Hans Graber
Es gibt noch Hoffnung. Mit dem EU-Impfpass sollen bald wieder Reisen möglich werden, ebenso Restaurant-, Kino- und Konzertbesuche. Ob und wie die Schweiz mitmachen wird, ist noch unklar. Denkbar sind wie üblich kantonale Varianten sowie allenfalls Abstufungen je nach Impfstoff. Biontech-Pfizer und Moderna grün, Astrazeneca gelb, Sputnik V rot. Mit dem grünen Pass ist man überall fein raus beziehungsweise drin, mit dem gelben kriegt man im Restaurant das Katzentischchen für maximal zwei Personen im Säli hinten, mit dem roten darf man im Kino Nachmittagsvorstellungen von schwer zu verstehenden Experimentalfilmen beiwohnen.
Die Idee mit dem Impfpass scheint mir dennoch recht stichhaltig, auch wenn sich die davon profitierenden Betriebe vorerst nicht allzu viel versprechen sollten. Bislang wurden ja erst relativ wenige geimpft, und den Pass gibt es nur für diese kleine Minderheit.
In Beizen dürfte also vor allem der Seniorenteller gefragt sein. Im Kino könnte es zu einem Revival von Blockbustern wie «Die Käserei in der Vehfreude» kommen. Und die Musikbranche ist gut beraten, erst einmal Konzerte anzusetzen mit schönen Liedern wie «Die alten Strassen noch» oder – ein Favorit von mir – «Hab oft im Kreise der Lieben».
Falls ich einen Impfpass kriegen sollte, würde ich ihn zwar brav herumtragen, inwieweit ich ihn zücken würde oder müsste, ist aber fraglich. Das war schon immer so mit amtlichen Ausweispapieren. Einen Schweizer Pass habe ich praktisch nie gebraucht, für meine Zwecke genügt meist die Identitätskarte. Aber selbst diese kommt wenig zum Zug. Schnaps händigt man mir im Laden längst ohne viel Federlesens aus, in polizeiliche Abklärungen bin ich kaum je verwickelt, und bei Grenzkontrollen – falls es diese überhaupt noch gibt – werde ich stets quasi unbesehen durchgewunken. Letzteres beleidigt mich manchmal fast ein wenig.
Weggeworfen habe ich meine alten Dokumente aber nie. Als ich sie dieser Tage wieder mal hervorkramte und etwas wehmütig betrachtete, wurde ich daran erinnert, dass ich meine erste ID mit «Jean» unterschrieben hatte. Es gab eine Phase in meinem Leben, da ich unter meinem Vornamen litt und unter anderem ausbleibende Avancen beim anderen Geschlecht (darf man das noch so sagen?) auf den platten «Hans» zurückführte.
Mit dem temporär bevorzugten «Jean» kam es freilich auch nicht zu jener unwiderstehlichen Souplesse, die ich mir ausgemalt hatte. Weitere ID habe ich dann immer mit «Hans» unterschrieben. Auch aus der gereiften Einsicht heraus, dass es sicher weitere Gründe gibt für die seit Jahrzehnten vorherrschende Grundbefindlichkeit. Wie die ist? Nachdem ich einiges darüber gelesen habe, erinnert sie mich ein wenig an «Long Covid». Schwer vorstellbar, aber vielleicht war ich ja wirklich für einmal der Zeit voraus.