Regelmässig erscheinen in der Schweiz Anwesenheitsranglisten von Politikern. Wer als gewählter Politiker oder als gewählte Politikerin (zu) oft im Ratsbetrieb fehlt, kann mit einer medialen Schelte rechnen. In Zug stehen gewählte Politikerinnen nun aber vor einer schwierigen Wahl: Entweder sie bleiben den Kantonsratssitzungen fern oder sie sind präsent – und verlieren dafür ihr Einkommen. Wie kommt das?
Es geht ums Politisieren während des Mutterschaftsurlaubs. Wie die beiden CVP-Kantonsrätinnen Anna Bieri und Barbara Häseli in einem diese Woche eingereichten Postulat darlegen, verwehrt ein Bundesgerichtsurteil Neumüttern de facto die reguläre Teilnahme an den Kantonsratssitzungen. Mit der Einführung der Mutterschaftsentschädigung 2005 seien im Gesetz «durchaus berechtigte und gewünschte Regelungen zum Schutz der frischgebackenen Mütter» eingeführt worden, schreiben Bieri und Häseli. Vor fünf Jahren allerdings entschied das Bundesgericht, dass «vorzeitig aufgenommene Teilzeitarbeit […] den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung beendet». Zusammengefasst: Der Entscheid sieht vor, dass während des Mutterschaftsurlaubs keinem Nebenerwerb nachgegangen werden darf, der ein Jahreseinkommen von mehr als 2300 Franken generiert – ansonsten entfällt der Anspruch auf die gesamte Mutterschaftsentschädigung aus dem Haupterwerb.
Sitzungsgeld gilt als Nebenerwerb
Obwohl der Entscheid einen Fall betrifft, in dem eine junge Mutter im Betrieb ihres Mannes mitarbeitete, werde auch das politische Amt als Nebenerwerb «sehr strikte gehandhabt», heisst es im Postulat von Häseli und Bieri. «Als Kantonsrätin und Mutter stehen wir somit vor der absurden und untragbaren Wahl: Entweder besuchen wir während des gesetzlichen 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubs keine Ratssitzungen und kommen damit dem vom Volk erhaltenen Auftrag nicht nach – auch wenn es weder gesundheitliche noch familiäre Probleme gibt», so die Postulantinnen. «Oder aber eine Kantonsrätin und junge Mutter besucht nach dem Überschreiten des Jahreseinkommens von 2300 Franken alle weiteren Sitzungen ohne Entschädigung. Dies dürfte etwa ab Mitte Jahr der Fall sein.»
Im Kanton Zug erhalten Kantonsrätinnen und Kantonsräte eine Entschädigung für geleistete Sitzungen (Plenum und Kommissionen). Damit werden auch die Vorbereitung und Lektüre abgegolten. Das Sitzungsentgelt gilt sozialversicherungsrechtlich als Nebenerwerb. Laut Bieri kann ein Kantonsparlamentarier mit rund 4500 Franken im Jahr rechnen, «je nachdem in wie vielen Kommissionen man sitzt».
Vergleich mit Militärdienst
Anna Bieri und Barbara Häseli betrifft die Regelung persönlich: Häseli erwartet ihr erstes Kind Anfang September, Bieri ihr zweites in diesen Tagen. Die beiden Parlamentarierinnen haben «völliges Unverständnis» für diese Regelung, wie sie sagen. Bieri: «Ich finde es stossend, dass man einen solchen Entscheid, der überhaupt nichts mit einem öffentlichen Nebenamt zu tun hat, hier herbeizieht.» Sie beauftragen den Regierungsrat darum, «die rechtlichen Grundlagen anzustreben, damit eine Kantonsrätin während des Mutterschaftsurlaubs im Rahmen ihrer gesundheitlichen Situation und der familiären Möglichkeiten ihren von der Wählerschaft erteilten Auftrag wahrnehmen und an den Sitzungen des Kantonsrates beziehungsweise seiner Kommissionen partizipieren kann». Dabei sollen die Politikerinnen «den Anspruch auf die durch ihren Haupterwerb generierte Mutterschaftsentschädigung aufrechterhalten können».
Besonders stossend finden Häseli und Bieri auch, «dass militärdienstleistende Personen für eine Kantonsratssitzung Urlaub nehmen können und dafür nebst der Kantonsratsentschädigung Anspruch auf Sold und Erwerbsersatz haben, obwohl Militärdienst und Mutterschaft nach demselben Gesetz geregelt sind». Selbst krankgeschriebene Personen seien besser gestellt, da sich die Krankschreibung auf die Haupttätigkeit beziehe, und sie trotz Lohn- respektive Taggeldbezug an Sitzungen teilnehmen und auch das entsprechende Entgelt beziehen könnten.