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Zug und die Briefkastenfirmen: die Schattenseiten des Erfolgs

Über 33'000 Unternehmen sind im Handelsregister des Kantons Zug eingetragen. Bei vielen von diesen ist ein Briefkasten jedoch die einzige Verbindung zu ihrer Domiziladresse. Eine Datenrecherche unserer Zeitung zeigt nun, wo sich die Briefkastenfirmen befinden könnten, und dass es wohl mehr als 6000 gibt.
Alle Adressen mit Firmen im Kanton Zug. Je grösser der Punkt desto mehr Firmen sind an der Adresse registriert. (Grafik: Zoe Gwerder / Stamen Design CC By 3.0 – (c) Open Street Map constributors)
Die Dammstrasse 16 in Zug ist die auffälligste Adresse im Kanton. ((Bild: Maria Schmid, Zug, 31. März 2020 ))
An der Bahnhofstrasse 21 in Zug hat es am meisten Firmen.
((Bild: Maria Schmid, Zug, 31. März 2020 ))

Zoe Gwerder

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Zoe Gwerder

Luanda Leaks, Paradise Papers, Panama Papers: Der Kanton Zug spielte in seiner jüngsten Vergangenheit wiederholt eine Rolle als Domizil für Unternehmenskonstrukte, die kriminelle Machenschaften verschleiern. Briefkastenfirmen drohen am Image des Kantons zu kratzen.

Wie viele es gibt, ist gemäss den Behörden unklar. Zwar gibt es durchaus «saubere» Hintergründe, solche substanzlose Unternehmen zu gründen. Sei es beispielsweise zur Verwaltung eigener Immobilien oder ein Unternehmen, für welches ein Laptop als Arbeitswerkzeug reicht. Doch oft soll mit den Zuger Adressen etwas vorgemacht werden, was nicht ist – mit und ohne kriminellen Hintergrund.

Dass es sehr viele sein müssen, zeigt alleine schon der Vergleich gesamtheitlicher Zahlen. So kamen 2018 auf rund 127'000 Einwohner 33'000 Firmen. Damit hätte also jeder vierte Einwohner im Kanton eine eigene Firma – Säuglinge und Greise mit eingerechnet. Noch extremer wird es in der Stadt Zug. Dort hätte gar jeder zweite Einwohner eine eigene Firma. Von den kantonalen 33'000 Firmen sind rund 18000 gemäss dem Bundesamt für Statistik Betriebe mit Angestellten. Es bleiben also rund 15'000 übrig, die nicht als Betriebe gelten.

Erstmals alle Firmenstandorte im Kanton ausgewertet

Wo die Briefkastenfirmen zu lokalisieren sein könnten, war der Öffentlichkeit bisher nur aus Zufallsfunden bekannt. Die Behörden geben sich unwissend. Eine datenjournalistische Recherche unserer Zeitung, bei welcher alle im Kanton Zug ansässigen Firmen aus dem Handelsregister mit einbezogen wurden, zeigt nun erstmals, an welchen Adressen unverhältnismässig viele Firmen ansässig sind und welche kleinen Adressen ebenfalls auffällig sind.

«Auffällig» heisst in dieser Recherche, dass das Verhältnis von Firmen zu Telefonbucheinträgen an derselben Adresse hoch ist. Denn auch wenn sich heute nicht mehr alle Unternehmen und Private im Telefonbuch eintragen lassen, geben vorhandene Einträge dennoch einen Anhaltspunkt, über die Grösse des Gebäudes. Häufig trifft man im Telefonbuch bei solch auffälligen Adressen auf Einträge von Treuhändern und Anwälten – also jenen Berufsgattungen, die hauptverantwortlich sind für die Ansiedlung von Briefkastenfirmen .

Am auffälligsten bezüglich dieses Wertes ist die Dammstrasse 16 in Zug. Auf 92 Firmeneinträge kommen gerade mal 3 Einträge im Telefonbuch. Beim Gebäude handelt es sich um das Haus, in welchem das ehemalige Wärterhäuschen der Landis und Gyr untergebracht war – gleich beim Eingang zum Areal.

Kleine Gebäude fallen plötzlich auf

Und: Auffällige Adressen gibt es nicht nur in grossen, vermeintlich anonymen Gebäuden, sondern auch in kleineren Häusern, wie am Fusse des Zugerbergs oder in der Altstadt von Zug. Zu einem solchen führten auch die Spuren von Luanda Leaks. Die genauere Betrachtung zeigt, dass tatsächlich bei einer solchen, als einziger Eintrag ein Unternehmen im Telefonbuch verzeichnet ist, welches sich «Trust» nennt. Unter diesem laufen diverse Firmen.

Doch nicht nur in der Stadt gibt es solche auffälligen Adressen: Auch auf der anderen Seite des Zugerbergs führen die Recherchen unter anderem zu einem Herrenhaus in Oberägeri. Dort zeigt die Stichprobe in den Daten des Handelsregisters, dass viele Firmen als c/o eingetragen sind – hier also nur ihren Briefkasten haben, dies mit dem c/o aber auch so deklarieren.

Andere solch auffällige Adressen entpuppen sich bei näherem Hinschauen als weniger brisant. So die Dammstrasse 21, die bezüglich des Verhältnisses von Firmen zu Telefonbucheinträgen den zweithöchsten Wert aufweist. Hier ist ein Unternehmen ansässig, welches Schiffe betreibt und jedes Einzelne als eigene Firma erfasst hat.

Über 300 Firmen mit demselben Domizil

Es gibt jedoch auch Adressen, die alleine aufgrund der Menge an Firmen auffallen. Die Bahnhofstrasse 21 ist diesbezüglich absoluter Spitzenreiter. Im unscheinbaren Gebäude, an der Ecke zur Gartenstrasse – schräg gegenüber des ehemaligen Grand Cafés – sollen 328 Firmen ihr Domizil haben.

Auch an der Baarerstrasse 75 befindet sich ein wahrer Firmen-Hotspot. 277 Unternehmen geben diesen Eingang des Blockbaus im Bereich der Bushaltestelle Guthirt als ihre Adresse an.

Über den ganzen Kanton hinweg gibt es fast 50 Adressen mit jeweils 100 oder mehr Firmen. Der Grossteil davon ist in Zug domiziliert, aber auch in Cham und Baar gibt es einige solche Adressen. Mit jeweils einer Adresse mit 100 Einträgen und mehr, sind auch die Industriegebiete von Hünenberg, Neuheim und Rotkreuz vertreten.

Der Blick auf die Grafik zeigt, dass sich grosse Ansammlungen von Firmen sowie Adressen mit einem auffälligen Verhältnis insbesondere in der Stadt Zug bis hin zum Industriegebiet bei der Autobahnauffahrt in Baar mehren. Der Vergleich aller Strassen zeigt denn auch: An der Baarerstrasse sind am meisten Firmen im Handelsregister eingetragen: über 2800. Teilt man die Anzahl Firmen jedoch durch die Anzahl Adressen pro Strasse, an denen Firmen domiziliert sind, rutscht die Baarerstrasse nach hinten. Hier ist plötzlich die Untermüli – das Quartier bei der Kistenfabrik – zu oberst.

Mehrere Tausend Briefkastenfirmen im Kanton

Wie viele Firmen über den ganzen Kanton hinweg nun tatsächlich Briefkastenfirmen sind, die zumindest ihre Identität mittels Zuger Adresse etwas aufpeppen wollen, kann nicht genau beziffert werden. Geht man aber von allen auffälligen Adressen aus, zählt diese zusammen und zieht der Anzahl Firmen, die Anzahl Einträge im Telefonbuch ab, ergibt dies etwas mehr als 6000 Firmen. In Anbetracht, dass es im Kanton Zug fast 50 Adressen gibt, an welchen jeweils zwischen 100 und 328 Firmen ihr Domizil haben, dürfte die Annahme von 6000 eher tief geschätzt sein.

Die Anziehungskraft Zugs liegt in der Offenheit

Dass es ausgerechnet im Kanton Zug eine grosse Ansammlung von Firmen gibt – darunter auch viele Briefkastenfirmen, die sich nicht als solche mittels einer c/o-Adresse deklarieren – liegt unter anderem an den offenen Rahmenbedingungen, die der Kanton den Unternehmen bietet. «Die Kehrseite der Innovationsfreundlichkeit ist die Kriminalität», erklärt Claudia V. Brunner. Sie ist Studienleiterin Wirtschaftskriminalität an der Hochschule Luzern.

Den Briefkastenfirmen das Leben schwieriger zu machen, indem beispielsweise der Markt mittels Gesetze eingeschränkt würde, ist für Brunner nicht unbedingt eine Lösung. Die Sicherheit, die es damit vermeintlich geben soll, sei nur eine beschränkte,

«denn die Kriminellen sind uns immer einen Schritt voraus.»

Der Finanzdirektor des Kantons Zug, Heinz Tännler, gibt indes zu bedenken, dass man «für die Dichte an Firmen redlich wenig Probleme» habe. Und er betont: «Auch wir wollen keine substanzlosen Gesellschaften. Wir holen diese nicht nach Zug – hierfür sind die Anwälte und Treuhänder verantwortlich, die solche Firmen betreuen.» Natürlich bestehe aber das Risiko, dass durch die schwarzen Schafe – wie kürzlich, als Luanda Leaks zu einer Adresse in Zug führten – die Reputation des Kantons diesbezüglich geschädigt werden könnte.

Mit Prävention bei Anwälten und Treuhändern ansetzen

Dass es oft Treuhänder und Anwälte sind, welche Mandate von Briefkastenfirmen annehmen und ihnen ein Domizil bieten, wird auch in der Datenrecherche ersichtlich. Die treibende Kraft, um solche Mandate anzunehmen, dürfte wohl einfach verdientes Geld sein. So gab der Zuger Anwalt, der in die Luanda-Leaks-Affäre verwickelt war an, für 25 bis 30 Stunden Arbeit pro Monat, jährlich 100'000 Franken verdient zu haben. Mehrere solche Mandate können entsprechend hohe Einkünfte sichern. Ein Lösungsansatz liege deshalb in der Prävention, erklärt Brunner:

«Wir müssen bei jenen, die solche Mandate annehmen, die Bereitschaft fördern, mehr hinzuschauen.»

Gleichzeitig ist es zur Verfolgung von Wirtschaftsdelikten essenziell, dass die Behörden entsprechende Kapazitäten haben, diese zu verfolgen. Denn Wirtschaftsdelikte in ihrem ganzen Ausmass zu erkennen und zu verfolgen, sei aufgrund der meist höchst komplexen Firmenkonstrukte sehr anspruchsvoll und aufwendig, erklärt Susanne Grau. Sie ist an der Hochschule Luzern ebenfalls Studienleiterin und Dozentin, und arbeitete während sechs Jahren im Bereich Wirtschaftsdelikte der Zuger Polizei. Der Kanton Zug sei diesbezüglich jedoch nicht untätig geblieben. Von damals weiss sie: «Die Verantwortlichen hatten schon früh reagiert und bei der Polizei einen speziellen Dienst für Wirtschaftsdelikte geschaffen.»

Gesetz unterbindet Kommunikation zwischen den Ämtern

Um ein solches Delikt zu verfolgen, benötigt es jedoch einen stichhaltigen Verdacht, um eine Anzeige erstatten zu können. Diesbezüglich sind den Behörden in den verschiedenen Ämtern des Kantons Zug jedoch klare Schranken gesetzt. So ist es gemäss Gerichtsorganisationsgesetz des Kantons Zug den Ämtern nicht erlaubt, untereinander über Auffälligkeiten zu kommunizieren. Hat also ein Mitarbeiter des Handelsregisteramtes bei einer neuen Firma oder gewissen Mutationen ein ungutes Gefühl, kann er dies nicht einfach so der Polizei melden – sodass diese nachforschen könnte. «Zur Verfolgung solcher Konstrukte wäre aber ein schnelles Reagieren sowie der Informationsaustausch förderlich», erklärt Grau. Die Studienleiterin gibt jedoch zu bedenken, dass geübte Wirtschaftskriminelle von Verfahren wenig abgeschreckt werden.

Der Zuger Finanzdirektor Tännler würde es ebenfalls begrüssen, wenn man schneller reagieren und Informationen einfach austauschen könnte. Doch es gebe hier eben auch Hürden – wie beispielsweise bei den Steuern das Steuergeheimnis. Optimierungspotenzial sieht Tännler im Bereich internationaler Gesellschafter. «Wir hätten Interesse daran, dass gesetzliche Schlupflöcher gestopft würden.» Der Zuger Finanzdirektor sieht hier aber auch den Bund in der Pflicht. «Es braucht ein Gesetz, das griffig ist, und ein System, bei welchem man trotzdem innovativ arbeiten und Geld verdienen kann.» Sodass Zug auch in Zukunft attraktiv für neue Ideen bleibe.

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