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Zug

Nichts denken hat auf diesem Bänkli durchaus Raum

Es liegt im Schatten und erdet: Das Lieblingsbänkli von Chefredaktor Harry Ziegler über dem Zugersee. Hier gibt es Platz für die grossen Gedanken – und gottlob auch für einen leeren Kopf.
Nachdenken, durchatmen, entspannen: das Bänkli ob der Psychiatrischen Klinik Oberwil. (Bild: Stefan Kaiser (Oberwil, 29. Mai 2018))

Harry Ziegler

Kitschige Zitate aus der Literatur sind durchaus angebracht, wenn man auf dem Bänkli oberhalb der Psychiatrischen Klinik Oberwil sitzend den Blick schweifen lässt. Da schiessen einem schnell einmal gymnasiale Literaturfetzen durchs Hirn, wie aus Schillers Wilhelm Tell: «Es lächelt der See, er ladet zum Bade» oder Georg Herweghs «Raum, ihr Herren, dem Flügelschlag einer freien Seele.» Aber genug der literarischen Schwülstigkeit.

Miis Bänkli, das ich zugegeben in letzter Zeit wenig besuchte, erdet mich, wenn es hoch hergeht. Der Schatten, den die Bäume spenden, das Rauschen, wenn der Wind durch die Zweige fährt – eine Oase nicht weit von der Stadt. Und – das ist nun eine eher unangenehme Eigenschaft meinerseits – ich teile es nicht gerne mit anderen Menschen. Die Lage des Ortes erlaubt mir diesen misanthropischen Ansatz. Schliesslich kann man, falls das Plätzchen stark belegt ist, einfach daran vorbei in Richtung Schönegg in Zug marschieren.

Ein Bänkli, geeignet zum Nachdenken

In den vergangenen Monaten begleitete mich bei den wenigen Bänkli-Besuchen jeweils ein kleines Büchlein. «Über Tyrannei: 20 Lektionen für den Widerstand.» Geschrieben hat es der US-Historiker Timothy Snyder, der an der Yale University lehrt. Es hat zwar nur wenige Seiten, dafür viel zum Nachdenken. Snyder zieht aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts 20 Lektionen und stellt konkrete Schritte vor, mit denen sich Leser gegen einen möglichen Zusammenbruch der Demokratie und die Herrschaft eines totalitären Regimes verteidigen könnten.

Nicht, dass in der Schweiz oder gar im Kanton Zug der Zusammenbruch der Demokratie dräut – dennoch finden sich einige Bezüge zu aktuellen politischen Entwicklungen vor allem in Snyders Heimatland, den USA. Aber auch bei uns erodiert, legt man Snyders Massstab zugrunde schleichend Gewisses. Beispielsweise Lektion 2: «Verteidige Institutionen». Institutionen, so Snyder, können sich nicht selber schützen. «Sie stürzen eine nach der anderen, wenn nicht jede von ihnen von Anfang an verteidigt wird.»

Man soll sich laut Snyder eine Institution suchen, die einem am Herzen liegt – ein Gericht, ein Gesetz, eine Zeitung, eine Gewerkschaft beispielsweise – und für diese Partei ergreifen. Das stetige ungerechtfertige Mäkeln an Institutionen, nur weil eine Partei oder eine Person ein Problem mit diesen hat, schwächt sie. Natürlich soll, muss man kritisch sein. Anzunehmen aber, dass Institutionen «selbst noch den direktesten Angriffen» standhielten, ist falsch.

Es ist falsch zu meinen, Machthaber, die durch Institutionen an die Macht gekommen sind, könnten genau diese Institutionen nicht ändern oder schleifen. Getan haben es die Nationalsozialisten in Deutschland, getan haben es auch andere Revolutionäre. Sie haben die Institutionen ihrer Funktionen beraubt, bis diese gestürzt sind.

Ein Bänkli, geeignet zum Durchatmen

Ich bin gerade bei Lektion 10 in Snyders Schrift angelangt: «Glaube an die Wahrheit.» Ich bin gespannt, was er dazu zu sagen hat. Ich weiss nun, was mich bei meinem Bänkli als Kopfnahrung als nächstes erwartet. Es tut aber auch ganz gut, dort über Oberwil zu sitzen, mit Blick über den See Richtung Ennetsee und gar nichts zu denken. Einfach mal die Ruhe, die von den umstehenden Bäumen, dem Kreuz ausgeht, auf sich wirken zu lassen. Oder einem Bussard bei seinen Kunstflügen zuzuschauen. Einfach mal durchatmen. Übrigens habe ich mich bei einem meiner letzten Besuche dermassen entspannt, dass ich tatsächlich eingeschlafen und gut erholt wieder erwacht bin. Tönt verlockend, nicht? Ich glaube, miis Bänkli hat wieder einmal einen Besuch verdient.

In der Sommerserie «Miis Bänkli» erzählen die Redaktoren der «Zuger Zeitung» eine Geschichte zu ihrem Lieblingsbänkli. Mit diesem Text endet die Serie.

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