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Zug

Narzissten, die systematischen Zerstörer ihrer Mitmenschen: Jetzt bekommt Zug eine erste Selbsthilfegruppe für Frauen

Die zwei Zugerinnen Chris Oeuvray und Martina Müller waren beide in einer Beziehung mit einem Narzissten. Um Betroffenen zu helfen, haben sie den Verein «Opfer von Narzissten» gegründet, der die erste, kantonsübergreifende Selbsthilfegruppe für weibliche Opfer von Narzissten im Kanton tragen soll.
Martina Müller (links) und Chris Oeuvray, hier bei der Badi Seeliken, bieten ab Oktober eine Selbsthilfegruppe für weibliche Opfer von Narzissten an. (Bild: Maria Schmid (Zug, 20. September 2021))
Die Freundinnen Martina Mueller (links) und Chris Oeuvray blicken hoffnungsvoll in die Zukunft. Beide haben es aus Beziehungen mit einem Narzissten geschafft. Dabei wollen sie auch andere Frauen unterstützen. (Bild: Maria Schmid (Zug, 20. September 2021))

Tijana Nikolic

Tijana Nikolic

«Ich habe dich unter unerträglichen Schmerzen geboren und mich jahrelang für dich aufgeopfert. Aber du kannst mich nicht einmal jede Woche besuchen.», «Ihre Präsentation war nicht schlecht, aber was haben Sie sich bei der Schriftart gedacht. Das tat in den Augen weh.», «Was sagst du, ich sei erst um zwei Uhr nachts nach Hause gekommen? Ich war bereits um 22.00 Uhr da. Du bist eh in letzter Zeit immer so gestresst und verwirrt. Bist du bei der Arbeit überfordert?» – Solche oder so ähnliche Sätze bekommen Opfer von Narzissten täglich zu hören. Sei es von der Familie, dem Chef oder dem Lebenspartner.

Auf den ersten Blick erscheint das Gesagte nicht dramatisch, doch wenn man solche Aussagen tagtäglich zu hören bekommt, kann das die Psyche belasten. Denn Angehörige von Narzissten leiden unter deren Manipulation, den Beschimpfungen und dem fehlenden Mitgefühl. Ein Ausweg scheint für viele unmöglich, und so nehmen sie ein solches Leben hin und hoffen manchmal Jahrzehnte lang darauf, dass es eines Tages besser wird.

Opfer sollen in geschütztem Rahmen durchatmen können

Den Opfern von «toxischen» Beziehungen mit Narzissten möchten die beiden Zugerinnen Chris Oeuvray und Martina Müller helfen. Zu dem Zweck haben sie den Verein «Opfer von Narzissten» gegründet, der die erste, kantonsübergreifende Selbsthilfegruppe für weibliche Opfer von Narzissten im Kanton Zug tragen soll. Am Montag, 27. September, findet um 19.00 Uhr in der B&B Sportsbar an der Dammstrasse in Zug eine Informationsveranstaltung dazu statt.

Die beiden Freundinnen, die selbst in Beziehungen mit Narzissten waren, möchten allen Frauen, die in derselben Lage sind oder waren, ab Oktober jeden zweiten Dienstagabend um 19.00 Uhr einen Ort anbieten, um sich gegenseitig auszutauschen und einander zu helfen. «Wir möchten für die Opfer da sein und ihnen zuhören. Sie sollen sich aufgefangen fühlen und in einem geschützten Rahmen kurz durchatmen können», sagt die 35-jährige Müller.

«Wir werden keine Therapie anbieten, sondern eine Unterstützung unter Gleichgesinnten», ergänzt Oeuvray. Gleichzeitig möchten sie Präventionsarbeit leisten und die Gesellschaft für dieses wichtige Thema sensibilisieren.

«Den Menschen muss bewusst werden, dass ein Narzisst eben nicht nur ein charismatischer Egozentriker ist, sondern dass es sich dabei explizit um Personen mit einer psychischen Krankheit handelt»,

wünscht sich Oeuvray, die Lebensberaterin ist. In ihrem Beruf hat sie es mit Narzissten und Co-Narzissten, die in einer Beziehung die Illusionen des Narzissten unterstützen, zu tun. In einem Thriller-Roman, den sie veröffentlicht hat, lässt sie ihr Wissen über toxische Beziehungen einfliessen.

«Egoistisch, egozentrisch, dominant und ohne jegliche Empathie»

Einen Narzissten erkenne man, wenn folgende vier Kriterien nachhaltig und immer erfüllen seien, ansonsten könne es sich zwar um einen schwierigen Menschen handeln, ein Narzisst sei dieser jedoch nicht. «Personen mit einer narzisstischen Störung sind stets egoistisch, egozentrisch, dominant und ihnen fehlt jegliche Empathie», erklärt Oeuvray weiter.

Dabei unterscheide man unter den offensichtlichen, für sich selbst «genialen» Narzissten: «Die zeigen gerne allen wie toll sie sind. Oft anzutreffen sind solche Personen beispielsweise in der amerikanischen Politik», sagt Müller schmunzelnd. Daneben gäbe es aber die fast gefährlicheren, nämlich die verdeckten Narzissten: «Die wissen genau, welche Drähte bei ihren Mitmenschen zu ziehen sind. Tarnen können sie sich aber gut, um diese Selbstverliebtheit nicht nach aussen zu zeigen und sich so nicht zu enttarnen», so Oeuvray weiter.

Was sich in den Weg stellt, wird vernichtet

Einige von ihnen könnten ebenfalls die Opferrolle perfekt spielen, um so zu bekommen, was sie wollten. Ein Narzisst habe ein Selbstbild, welches jedoch nicht der Realität entspreche:

«Er spürt sein wahres Ich nicht und kreiert meistens schon frühkindlich ein externes Bild, wie er sein will oder wie er glaubt, sein zu müssen»,

erläutert Oeuvray. Er werde alles tun, um diesem Bild gerecht zu werden. Das bedeute auch, dass er alles vernichte, was sich ihm in den Weg stelle.

Im Grunde seien diese Menschen einsam und leer. «Nicht selten endet ein solches Leben in einem verzweifelten Suizid, wenn der Narzisst merkt, dass er sein Bild nicht mehr aufrechterhalten kann», führt Müller weiter aus. Denn heilen kann man die Krankheit bis heute nicht. Man kann nur lernen, gesund mit ihr umzugehen und den Ausgleich zu der innerlich aufgestauten Wut beispielsweise im Sport zu suchen.

Die Dunkelziffer ist hoch

Gerne könnten an der Informationsveranstaltung auch Männer vorbeikommen und sich informieren. «Die Gruppensitzungen sollen jedoch nur Frauen vorbehalten sein, da es vielen unter Gleichgeschlechtlichen einfacher fällt, sich zu öffnen», findet Oeuvray. Sie fände es auch toll, wenn jemand eine Selbsthilfegruppe für männliche Opfer von Narzissten in Zug gründen würde.

«Für Männer ist das Eingeständnis, Opfer eines Narzissten zu sein, oft noch schwieriger, da es gesellschaftlich als nicht sehr männlich gilt, von einer Frau fertig gemacht zu werden»,

vermutet Müller, die dreifache Mutter ist. Bei beiden Geschlechtern gebe es Dunkelziffern, weil die Opfer sich oft genierten, darüber zu reden.

An der Infoveranstaltung und auch an den Treffen der Selbsthilfegruppe sind ebenfalls Angehörige von Opfern willkommen, wenn eine Betroffene sich nicht trauen sollte, anwesend zu sein oder wenn sich jemand selber gerne informieren möchte, wie er für Opfer da sein und helfen kann. «Das Einzige, was man machen kann, ist, der betroffenen Person immer wieder zu sagen, dass man für sie da ist, egal, was sie braucht. Sie soll spüren, dass sie nicht alleine ist», weiss Oeuvray.

Zermürbender und langer Rechtsstreit kann folgen

Eine Beziehung mit einem Narzissten zu beenden, muss sehr gut durchdacht sein, denn es kann unter Umständen sehr gefährlich werden. «Opfer brauchen einen sicheren Ort, an dem sie für eine Weile wohnen können, genügend Geld und gute Freunde, die sie in dieser Situation auffangen», zählt Müller auf. Ausserdem sollte man versuchen, sich so gut wie möglich psychisch für das Bevorstehende zu stabilisieren.

«Und wenn man sich dann schlussendlich trennt, muss man definitiv gehen und sollte nicht mehr zurückkommen. Ein Kontaktabbruch ist hilfreich, und am besten kommuniziert man danach nur noch über die Anwälte», rät Müller. Der Kanton habe sehr viele Anlaufstellen. Die Polizei biete ausserdem Beratungsgespräche, bei denen einem alle weiteren Möglichkeiten aufgezeigt werden.

«Wenn man mit dem Narzissten verheiratet ist und womöglich Kinder im Spiel sind, muss man unter Umständen mit einem zermürbenden und langen Rechtsstreit rechnen. Doch es lohnt sich, diese Strapazen auf sich zu nehmen. Sie sind nichts im Vergleich zur Freiheit, die man dadurch wiedererhält», versichert Oeuvray.

Weitere Informationen gibt es unter www.co-narzissmus.com

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