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Zug

Einsprache gegen Massagebetrieb in Baar – jetzt kommt der Gemeinderat in Erklärungsnot

Eine Automobil-Werkstatt in der Altgasse installierte in seiner Liegenschaft einen Massage-Salon. Dieser nutzt eine Fläche, welche  ursprünglich als Wohnung gedacht war. Lange Jahre sah in dieser Interpretation der Bauordnung in der Gemeinde Baar niemand ein Problem. Jetzt schon.
Altgasse Baar: In dem Gebiet soll Wohnen und Arbeiten gleichermassen gefördert werden. Das Bild zeigt den Blick auf das Ende der Altgasse Richtung Südstrasse. (Bild: Stefan Kaiser (8. März 2021) )
Altgasse Baar: In dem Gebiet soll Wohnen und Arbeiten gleichermassen gefördert werden. Das Bild zeigt den Blick auf das Ende der Altgasse Richtung Südstrasse. (Bild: Stefan Kaiser (8. März 2021))
Altgasse Baar: In dem Gebiet soll Wohnen und Arbeiten gleichermassen gefördert werden. (Bild: Stefan Kaiser (8. März 2021))
Altgasse Baar: In dem Gebiet soll Wohnen und Arbeiten gleichermassen gefördert werden. Das Bild zeigt den Blick auf die Velobrücke welche die Altgasse quert. (Bild: Stefan Kaiser (8. März 2021))

Marco Morosoli

Marco Morosoli

Marco Morosoli

Marco Morosoli

So viel zu den Fakten: Im vorwiegend der Korporation Baar gehörenden Gebiet Altgasse gibt es 90 Wohnungen, circa 20 Gewerbebetriebe und rund 20 Büro- und Briefkastenfirmen. Und das in einem Baarer Quartier, welches die gemeindliche Bauordnung der Arbeitszone zuteilte. Diese Bestimmung wiederum fusst auf dem kantonalen Planungs- und Baugesetz (PBG) des Kantons Zug. Auf solchen Flächen ist zwar «betriebsnotwendiger Wohnraum» zulässig – was jedoch genau unter diesem Passus zu verstehen ist, hat bis anhin in Baar niemand auf der Gemeindeverwaltung hinterfragt.

Doch nun hat der Wind gedreht. Die Gemeinde änderte im Quartier Altgasse wohl beginnend im Jahr 2019 ihre Praxis. So genau weiss dies niemand. Ohne Vorwarnung. Um wenigstens seinen Besitzstand zu wahren, hatte der erwähnte Garagenbetrieb die Idee mit dem Massagesalon. Gewerberaum vermieten, das ist in Zeiten der Coronavirus-Pandemie kein Zuckerschlecken. Gegen die nachträgliche Bewilligung für das vorerwähnte Gewerbe hat nun Markus Blaser Einsprache erhoben. Der Seniorchef einer auf Einbruchschutz spezialisierten Firma sammelte dabei in Rekordzeit weitere rund 150 Unterschriften für das von ihm formulierte Begehren. Markus Blaser kennt das Leben entlang der Altgasse aus eigener Erfahrung sehr gut. Er sagt im Gespräch, dass er sich die Praxisänderung seitens der Gemeinde Baar nicht erklären könne, geschweige denn eine plausible Begründung dafür habe.

Die Gemeinde scheint das Regime im Gebiet Altgasse geändert zu haben

Auch er ist von der nunmehr von der Gemeinde propagierten «harten Linie», durch eine strenge Auslegung der betreffenden Paragrafen betroffen, denn er hat in seinem vor rund sieben Jahren erweiterten Gewerbebetrieb mehr als nur eine Wohnung installieren wollen. Was früher ein lockerer Federstrich war, mündet aktuell in ein kategorisches Nein. Die neu eingenommene Haltung der Gemeinde listet Blaser in der Einsprache auf. Einerseits nennt er «entspricht der gemeindlichen Praxis» und «wird von der Bauabteilung so gehandhabt» als angeführte Erklärungen seitens des Baarer Gemeinderats. Blaser fährt dann fort: «Auf welche Grundlagen oder Reglemente sich diese Praxis oder Handhabung abstützt, bleibt verborgen.» Blaser spinnt in der Einsprache den Faden weiter und schreibt:

«Die Verweigerung der Wohnungsbewilligung auf einem zusätzlich erstellten Gewerbebau führte nun zu dem Umnutzungsgesuch des Garagenbetriebs.»

Markus Blaser und seine Mitstreiter glauben auch noch aus einem anderen Grund das Recht auf ihrer Seite zu haben. Es sei zwar unklar, wann die Umzonung von einer Wohn- und Gewerbezone in eine Arbeitszone erfolgt sei, jedoch habe sich dieser Richtungswechsel als unglücklich erwiesen. Blaser weiss in der Einsprache sogar zu berichten, dass die Gemeinde bei der nächsten Planung auf ihren Entscheid zurückkomme wolle. Wohl auch deshalb, weil die Korporation Baar-Dorf selber im Gebiet Altgasse Alterswohnungen bauen wolle. Und: Die nächste Ortsplanungsrevision steht unmittelbar bevor. Unter diesem Gesichtspunkt ist es noch seltsamer, weshalb die zuständigen Baarer Behörden die harte Hand ihr Werk tun lassen.

Der Einsprecher Markus Blaser hat aber noch einen weiteren Pfeil im Köcher, um die Interessen seines Quartiers durchzusetzen. Die Bestandesgarantie. Dieser Rechtsbehelf ist im Planungs- und Baugesetz (PBG) des Kantons Zug ausdrücklich erwähnt. Es gibt im gleichen Gesetz auch einen Paragrafen 20, der Arbeitszonen umschreibt. Diese seien für Gewerbe, für Dienstleistungen und für die Industrie bestimmt. Ferner sei betriebsnotwendiger Wohnraum zulässig. In Baar dürften derzeit rund 80 Prozent des zur Verfügung stehenden Raumes bewohnt sein. Mit dem Segen der Gemeinde.

Da Markus Blaser ein Altgässler der ersten Stunde ist, kennt er sich dort bestens aus. Während des Augenscheins kann er denn auch fast bei jedem Gebäude sagen, ob es dort Wohnungen hat, und seit wann die Häuser nutzbar sind. Auf der kantonalen Seite Zugmap.ch finden sich zu allen bewohnten Liegenschaften die öffentlich zugänglichen Daten. Dazu gehört auch das Jahr der Erstellung.

Die ersten Häuser im Gebiet Altgasse sind fast 60 Jahre alt

Das erste Gebäude haben die Eigentümer in diesem Baarer Dorfteil im Jahre 1963 bezogen. In den 1970er-Jahren gab es dann, wie auch eine Dekade später gewaltige Bau-Schübe. Unter anderem haben Investoren Häuser erstellt, in denen Gewerbebetriebe nicht einmal dem Anschein nach vorgesehen waren. Das äussert sich in der bereits vorher erwähnten Zahl von 90 Wohnungen auf diesem Gebiet, das grossmehrheitlich der Korporation Baar gehört.

Um in Bezug der Wohnungen zu ihrem Recht zu kommen, könnten sich die 150 Einsprecher zudem auch aufs Gewohnheitsrecht berufen. Dieses Rechtsinstitut ist in vielen Ausführungen präsent. In einer 2020 erschienenen Ausgabe des Lehrbuchs «Allgemeines Verwaltungsrecht» der Autoren Häfelin/Müller/Uhlmann steht unter dem Titel «Verbot widersprüchlichen Verhaltens» von Behörden zu lesen: «Die Verwaltungsbehörden dürfen sich gegenüber Privaten nicht widersprüchlich verhalten.» Die obgenannten Professoren präzisieren ihre Haltung dahingehend. Die Verwaltungsbehörden «dürfen insbesondere nicht einen einmal in einer bestimmten Angelegenheit eingenommenen Standpunkt ohne sachlichen Grund wechseln». Widersprüchliches Verhalten verstosse zudem gegen Treu und Glauben und belaste das Vertrauen der Bürger in den Staat.

Das Gewohnheitsrecht könnte für die Einsprecher ein wertvoller Behelf sein

Auch das Bundesgericht hat sich wiederholt mit Sachverhalten auseinandergesetzt, welche sich mit der obgenannten Thematik befassen. In einem Fall, wo die Wahlkreiseinteilung des Kantons Zug zur Debatte stand, hielt das Lausanner Gericht seine Position in dieser Rechtsangelegenheit fest: «An die Entstehung von Gewohnheitsrecht werde allgemein ein strenger Massstab gesetzt, über eine lange, ununterbrochene Übung hinaus sei erforderlich, dass die der Übung zugrunde liegende Rechtsauffassung von den Behörden und Betroffenen geteilt werde.» Die Übung im vorerwähnten Rechtsstreit Altgasse dürfte wohl während rund 30 oder gar 40 Jahren angewendet worden sein. Daraus Gewohnheitsrecht abzuleiten, ist nicht abwegig.

Der Einsprecher Markus Blaser und die Seinen erhoffen sich auch Zuspruch für ihre Haltung aus der aktuellen Situation. Das Arbeitsverhalten ändere sich aktuell in der Coronapandemie erheblich. In Zeiten der Homeoffice-Pflicht würden Arbeiten und Wohnen mit dem behördlichen Segen vermischt:

«Das Wohn- und Schlafzimmer wird zum Arbeitszimmer. Darf man nun im Büro wohnen oder nur in der Wohnung arbeiten?»

Seine Eingabe beendet Markus Blaser mit einem Appell: «Wir vertrauen auf den gesunden und weisen Menschenverstand des Gemeinderats!»

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