Kilian Küttel
Doch den Auftakt zum sogenannten Katastrophenherbst 2001 macht am 27. September das Attentat im Zuger Regierungsgebäude, bei dem 14 Politikerinnen und Politiker erschossen werden, darunter drei Mitglieder der Regierung.
«Das alles hat die Schweiz in eine Krise gestürzt», sagt heute Jakob Tanner, emeritierter Professor für Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte an der Universität Zürich. Bis zu diesem Zeitpunkt habe man solche Katastrophen nur mit dem Ausland in Verbindung gebracht: «Das Grounding der Swissair, der fliegenden Nationalhymne der Schweiz, oder das Flammeninferno im Gotthard: Das konnte sich in der Schweiz doch niemand vorstellen.»
Insbesondere wegen der grossen internationalen Anteilnahme räumt er dem Zuger Attentat einen hohen Stellenwert ein. Was auch am 11. September gelegen habe:
«Die Ereignisse hatten inhaltlich nichts miteinander zu tun, geschahen aber innerhalb von drei Wochen. Als Zug passierte, war die Weltöffentlichkeit noch von 9/11 geschockt.»
Und: Die Auswirkungen des Amoklaufs seien bis heute zu spüren. Etwa, indem man Sicherheitsdispositive ausgebaut oder das Waffenrecht angepasst hat. Ebenso sei nach der Tat etwas zu beobachten gewesen, das Tanner eine «Tell-Mentalität» nennt: «Das Gefühl Einzelner, unter Berufung auf altschweizerische Freiheiten selber für sein vermeintliches Recht einstehen zu können.»
Als Beispiel nennt er die Bluttat von Escholzmatt, wo im Frühjahr 2004 ein Landwirt seine Frau, seinen Bruder und seine Schwägerin sowie den Sozialvorsteher der Gemeinde erschossen hat. «Solche Formen von Selbstjustiz sind in Demokratien verstärkt zu beobachten – etwa beim Sturm auf das US-Capitol diesen Januar», sagt Tanner. «Und dass auch schweizerische Coronaskeptiker vor dem Bundeshaus auftreten, muss zu denken geben.»
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