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Zug

Gedenken an ein Opfer von vielen bei der grössten Stadtzuger Katastrophe

Hingeschaut: Vor über 580 Jahren starben 60 Menschen beim wohl schlimmsten Unglück in der Geschichte der Stadt Zug.
Das Gedächtniskreuz über dem Eingang des Zollhauses erinnert an den Stadtschreiber Hans Wickart, der bei der Altstadtkatastrophe von 1435 sein Leben verloren hat. (Bild: Maria Schmid, Zug, 14. August 2019)

Andreas Faessler

Den Zugern und vielen Geschichtsinteressierten von nah und fern ist wohl geläufig, dass Ende des 19. Jahrhunderts ein Teil der Zuger Vorstadt in die Fluten des Zugersees rutschte und versank. Rund 35 Gebäude fielen dem Unglück zum Opfer, es starben 11 Menschen. Die sogenannte «Katastrophenbucht» erinnert heute in ihrer Namensgebung an den einschneidenden Vorfall.

Weniger präsent dürfte indes manchen sein, dass die Stadt Zug bereits lange vor der «Vorstadtkatastrophe» von 1887 von einem fast identischen Unglück heimgesucht worden war, welches hinsichtlich der menschlichen Verluste die jüngere Katastrophe um ein Vielfaches übertraf: Am späteren Nachmittag des 4. März 1435 versank die gesamte Häuserreihe entlang der Niederen Gasse in der Zuger Altstadt im See.

Mutmassliche Folgen eines Rekordwinters

Dazu geführt hatten wahrscheinlich ungewöhnliche Wetterverhältnisse: Der Winter 1434/35 war viel kälter als üblich. Und als Ende Februar unerwartet mildes Tauwetter eintrat, hatte dieser abrupte Temperaturanstieg wohl zur Folge, dass der Untergrund die Fundamente der unteren Stadt nicht mehr tragen konnte. Bereits am Morgen besagten Tages hatte sich das Unglück angekündigt mit unheimlichem Grollen und Ächzen aus dem Untergrund. Als die Gebäude wiederholt erzitterten und Risse bekamen, flüchteten bereits manche Bewohner der niederen Gasse aus ihren Häusern. Schliesslich – just als die Glocke 5 Uhr schlug – versanken die 26 Gebäude entlang der Gasse mit enormem Getose in den Fluten des Sees. Die Katastrophe forderte 60 Menschenleben, das entsprach knapp einem Siebtel (!) der damaligen Stadtbevölkerung.

Aus dieser finsteren Stunde in der Zuger Geschichte ist immerhin ein kleiner Glücksmoment überliefert: Der Sohn von Stadtschreiber Hans Wickart – letztgenannter war wie auch Ammann Hans Kolin unter den Todesopfern – überlebte das Unglück wie durch ein Wunder. In seiner Wiege liegend wurde er auf den See hinausgeschwemmt und konnte unversehrt im Bereich der heutigen Siehbachmündung gerettet werden. Dieser Moment ist auf einer historischen Abbildung festgehalten. Dem Überleben des Kindes verdanken die heutigen Zuger Wickarts ihre Existenz.

Die Solidarität mit den Zugern angesichts des unermesslichen Leides war gross. Aus den umliegenden Orten eilten Helfer herbei, um nach Überlebenden zu suchen. Aus Zürich, Luzern und Schwyz trafen in Kürze grosszügige Hilfsgüter ein. Auch aus den umliegenden Gemeinden sowie aus den Abteien in Muri und Wettingen schickte man Spenden nach Zug, um die Not der vielen Betroffenen zu lindern. Kondolenzen wurden aus allen Ecken der heutigen Schweiz nach Zug gesandt.

Der Neubau trägt die Erinnerung weiter

Kurz nach der Katastrophe erstellte man zum Gedenken an Stadtschreiber Hans Wickart, dem Vater des erretteten Kindes, ein Steinkreuz mit Inschrift. Es wurde in der Mauer der Alten Kanzlei neben dem Zytturm eingelassen. Als das mittelalterliche Gebäude anno 1868 dem heutigen neugotischen Zollhaus weichen musste, übertrug man das alte Gedächtniskreuz in die Fassade des Neubaus. Es prangt im Tympanon des strassenseitigen Eingangs und wird flankiert von zwei Zuger Wappen. Unter der kaum entzifferbaren Inschrift verweist ein Metzgerbeil auf das Familienwappen der Wickarts.

An dieser Stelle lohnt sich der Querverweis auf ein anderes Kreuz ganz ähnlicher Gestalt. Es steht in einer Seitenwand des Chores in der Kapelle St.German in Buonas, weist eine ähnliche Grösse und Form auf und stammt in etwa aus derselben Zeit. Die Inschrift ist vergleichbar, wenn auch diese nie mit Sicherheit wörtlich hat übersetzt werden können. Man vermutet jedoch, dass dieses Kreuz in der Kapelle Buonas ebenfalls an die Opfer eines Seeunglücks erinnert («Hingeschaut» vom 5. Februar 2014).

Mit «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.

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