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Zug

Ein Zuger Muslim zur Abstimmungsvorlage: «Und was kommt als Nächstes?»

Eine Nachfrage beim ehemaligen Präsidenten des Türkisch-Islamischen Vereins Zug zeigt auf, dass die muslimische Bevölkerung wenig Verständnis hat für die Abstimmungsvorlage über das Verhüllungsverbot.
«Was kommt als Nächstes?»: Der Zuger Dilaver Cicek hat kaum Verständnis für die Initiative. (Bild: Maria Schmid (Zug, 1. März 2021))

Andreas Faessler

Zahllose Meinungen waren und sind in dieser Zeitung zu lesen, was die kontrovers diskutierte Verhüllungsinitiative angeht, über die das Schweizervolk am Wochenende abstimmt – spaltenweise Leserbriefe von Befürwortern genauso wie von Gegnern. Wie aber ist eigentlich die Stimmung unter der muslimischen Bevölkerung in Zug angesichts dieser Initiative? Immerhin ist der religiöse Aspekt in der Vorlage der am intensivsten diskutierte. Eine Nachfrage bei Dilaver Cicek, bis 2019 Präsident der Türkisch-Islamischen Vereinigung Zug und Vorsteher der Fatih-Cami-Moschee in Baar, lässt auf ein allgemeines Unverständnis seitens der Muslime schliessen. «Sowie ich als auch alle anderen Muslime aus meinem Umkreis, mit denen ich in Kontakt bin, können ein Burka- respektive Nikabverbot absolut nicht nachvollziehen», so Cicek. «Man fragt sich allmählich, wohin das alles noch führen soll.»

Es geschieht aus freiem Willen

Seiner Auffassung nach ist ein gesetzliches Verbot religiös bedingter Verhüllung allein deshalb schon unnötig, weil es in der Schweiz kaum Nikab- und noch weniger Burkaträgerinnen gibt.

«Ich bin in Zug aufgewachsen, wohne in Luzern und arbeite in Zürich. Und ich habe noch kaum je eine voll verhüllte Frau gesehen.»

Und selbst wenn es sie gibt, dann habe das – so ist er überzeugt – nichts mit Unterdrückung zu tun, wie es viele Befürworter begründen, erst recht nicht in unseren Breitengraden. «Wenn sich Muslimas verhüllen, dann tun sie das grundsätzlich aus freiem Willen», sagt der Vater von drei Töchtern. «So wie meine Frau und meine Mutter freiwillig ihr Haar mit einem Tuch bedecken. Nicht etwa, weil sie das müssen, sondern weil sie aus eigener Überzeugung dem Gebot im Koran folgen möchten.» In Ländern wie Saudi-Arabien, Pakistan oder Afghanistan mögen die Voraussetzungen anders sein, was die Kleidervorschriften für die Frau angehe, doch hätten die liberal geprägten Verhältnisse in der Schweiz in keiner Weise etwas mit den dortigen zu tun.

Dilaver Cicek macht einen religionsübergreifenden Quervergleich: «Wo viele der Befürworter ja eifrig die Unterdrückung der Frau als Beweggrund für die Annahme der Initiative anführen – warum setzen diese sich nicht auch für die jüdisch-orthodoxen Frauen ein, die nach ihrer Heirat eine Perücke zu tragen haben? Ist das nicht auch Unterdrückung?»

Hetzerische Propaganda

Und dann sind da noch die Plakate, welche mancherorts den Strassen entlang zu sehen sind: Sie zeigen eine Nikabträgerin mit hasserfülltem, drohendem Blick. Einmal mehr ein Sujet, das eine ganze Bevölkerungsgruppe stigmatisieren sowie Angst und Unbehagen verbreiten wolle. «Als Muslime fühlen wir uns durch solche Propaganda angegriffen», sagt Dilaver Cicek.

«Das ist reine Hetze, und ich frage mich, wie so etwas rechtlich überhaupt möglich ist.»

Es gebe in der Schweiz auch gar kein ernsthaftes Problem mit Radikalisierungen. Und falls doch mal etwas aufkeime, so wie beispielsweise jüngst in der An'nur-Moschee in Winterthur, dann bleibe das punktuell, und man könne sich darauf verlassen, dass sich die Schweizer Muslime grundsätzlich von so etwas distanzierten, betont Cicek. Fundamentalistische Ansichten und Strömungen gebe es schliesslich nicht nur im Islam, sondern auch in jeder anderen Religion.

Sollte die Vorlage angenommen werden, so würde sich für die Schweizer Muslime zwar kaum etwas ändern, ist Cicek überzeugt. Allein aus bereits genanntem Grund, dass es hierzulande wohl nicht mal 100 Frauen gibt, die voll verschleiert sind. «Darum wären wir auch in keiner Weise eingeschränkt.» Aber es bleibt der fahle Beigeschmack. «Und was ist mit dem Fremdenverkehr, auf den die Schweiz nach der Coronakrise wieder unbedingt angewiesen ist? Vor allem das Welschland und auch andere Schweizer Touristenorte werden von Menschen aus dem Mittleren Osten besucht. Und die bringen viel Geld ins Land. Was, wenn sie grösstenteils wegbleiben, weil sie von diesem Verbot abgeschreckt sind?»

Mit dieser Initiative habe man ja bald alles durch, kommt Dilaver Cicek mit leicht resignierendem Tonfall aufs Kernthema zurück.

«Erst die Minarette, jetzt die Kleidung. Was folgt als Nächstes? Will man den Islam gleich ganz verbieten?»

Er ist überzeugt: Irgendwoher werde wieder etwas kommen, mit dem man das Leben der muslimischen Bevölkerung einschränken will und über das das Volk abstimmen soll. «Es täte mich darum nicht wundern, wenn sich irgendwann einmal der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einschalten würde.»

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