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Luzern

Wirbel um Dar-Assalam-Moschee in Kriens: Jetzt spricht der Präsident

Der Wirbel um die Dar-Assalam-Moschee zeugt von tiefer liegenden Problemen. Das zeigt ein Gespräch mit dem Vorsteher der Moschee.
Blick in die Dar-Assalam-Moschee in Kriens, hier ein Regal mit Koran-Ausgaben. (Bilder Alexandra Wey/Keystone)
Ein Betsaal in der Dar-Assalam-Moschee.
Der Eingang zur Moschee im 1. Stock des Gebäudes an der Motelstrasse in Kriens.
Petrit Alimi, Präsident der IGL in der Dar-Assalam-Moschee.

Robert Knobel

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Sidali Metriter stellt sich bei der Begrüssung freundlich und mit starkem Händedruck vor. Doch der Softwareentwickler aus Algerien, der seit 20 Jahren den Schweizer Pass hat, wirkt zurückhaltend, fast scheu und meidet das Rampenlicht. Deshalb ist er bisher nicht an die Öffentlichkeit getreten – dies obwohl die Dar-Assalam-Moschee, der er als Präsident vorsteht, seit Wochen im nationalen Fokus steht. Ein Imam soll dort während einer Freitagspredigt zur Züchtigung von Ehefrauen aufgerufen haben. Und schon früher gab es Vorwürfe gegen die Krienser Moschee, dass dort radikale Botschaften verbreitet würden. Bestätigt werden konnten diese Vorwürfe nicht, und auch beim aktuellen Fall liegt noch kein Verdikt vor, da die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft noch am Laufen sind. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Wegen Negativschlagzeilen: Angst um den Arbeitsplatz

Es war die Islamische Gemeinde Luzern (IGL), die sich Mitte Oktober stellvertretend für die Krienser Moschee den kritischen Fragen von Medien und Öffentlichkeit stellte. Die IGL war ursprünglich Dachverband der Luzerner Moscheen und funktioniert seit Frühling 2019 zusätzlich als eigenständige Mitgliederorganisation. Die IGL berief eine Medienkonferenz ein und kommunizierte, dass man jegliche Form von Gewalt und Extremismus ablehne. Der Präsident der Krienser Moschee war bei der Medienkonferenz nicht anwesend, liess aber ein Statement mit demselben Inhalt verteilen (wir berichteten).

Sidali Metriter ist die Sache inzwischen förmlich über den Kopf gewachsen, wie er einräumt.

«Es ist eine grosse Herausforderung, in dieser Situation proaktiv und positiv über die seit Jahren erbrachten Leistungen des Dar-Assalam-Vereins zu kommunizieren.»

Er habe Angst, wegen der vielen negativen Medienberichte seinen Arbeitsplatz zu verlieren, sagt Metriter. Deshalb übe er sein Präsidentenamt so diskret wie möglich aus. Ein Amt, das er ohnehin nie gesucht habe. «Ich habe es damals übernommen, weil niemand anders zur Verfügung stand.» Das war 2009. Metriter kam regelmässig zum Beten in die Dar-Assalam-Moschee, die sich damals noch im Krienser Kupferhammer befand. «Es gab interne Meinungsverschiedenheiten, und sie suchten jemanden, der die Leitung der Moschee übernimmt.» Metriter sagte zu – «obwohl für mich von Anfang an klar war, dass es keine einfache Aufgabe würde».

Tatsächlich gehört zu den Aufgaben des Vorstandes auch die Suche von Imamen fürs Freitagsgebet. Die Anforderungen an die Vorbeter sind bescheiden: Sie sollen belesen sein und den Koran gut rezitieren können. Und sie sollen einen guten Leumund haben. Metriter sagt:

«Bevor wir einen neuen Imam anstellen, holen wir Referenzen bei anderen Moscheen ein und teilen den Namen den Stadtbehörden und der Polizei mit.»

Genauso habe man es auch mit Abdulrahman O. gemacht, dem Imam, von dem sich die Moschee inzwischen getrennt hat. Bei der Moschee wusste man zwar, dass sich der Iraker im Rahmen des «IS-Prozesses» vor dem Bundesstrafgericht wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation verantworten musste. Doch Abdulrahman O. wurde als einziger von allen Vorwürfen freigesprochen und entschädigt. «Wir waren der Meinung, dass nichts gegen eine Anstellung spricht. Das haben uns auch die Behörden bestätigt», so Metriter.

Was hat der Imam wirklich gesagt?

Doch dann erschien Anfang Oktober ein Artikel in der «Sonntags-Zeitung» mit dem Titel «Meidet sie im Ehebett und schlagt sie». Darin wurde Abdulrahman O. unter anderem mit der Aussage zitiert, man solle Ehefrauen mit leichten Schlägen disziplinieren, wenn sonst keine Massnahme nütze. Dies soll der Imam während einer Freitagspredigt im August in der Dar-Assalam-Moschee gesagt haben. Der 38-Jährige bestreitet dies gemäss Aussagen von Personen, die mit ihm gesprochen haben. Sidali Metriter selber war während besagter Predigt nicht in Kriens. Überhaupt besucht er für das Freitagsgebet «seine» Moschee eher selten, da er meist in eine Moschee in der Nähe seines Arbeitsortes in Zürich geht. Nach Erscheinen des Zeitungsartikels habe er Vereinsmitglieder gefragt, ob die Vorwürfe stimmen. «Niemand konnte dies bestätigen», so Metriter und fügt hinzu:

«Wenn wirklich etwas gewesen wäre, hätten sie mir es von sich aus gesagt.»

Und weiter: «Viele aus unserer Gemeinde leben seit Jahrzehnten in der Schweiz und wissen, welche Äusserungen und welches Verhalten hier toleriert werden und welche nicht.»

Trotzdem will die Moschee nun die Empfehlungen der Islamischen Gemeinde Luzern umsetzen und die Predigten jeweils aufnehmen – als Beweismittel bei allfälligen Beanstandungen.

Allerdings sind Tonbandgeräte allein noch kein Allerheilmittel gegen unerwünschte Äusserungen. Gerade wenn Predigten wie in Kriens auf Arabisch oder anderen Sprachen gehalten werden. Petrit Alimi, Präsident der IGL und islamischer Theologe, betont, dass Koranübersetzungen sehr viel Interpretationsspielraum lassen. In der Sure 4.34, auf die sich der Imam in der Dar-Assalam-Moschee berief, geht es um den Umgang der Männer mit ihren Frauen. Der Text besagt zunächst, dass die Männer für ihre Frauen sorgen sollen – und dass Letztere ihren Männern treu ergeben sein sollen. Und dann gibt es diesen Satz über «widerspenstige» oder «übelwollende» Ehefrauen, der von traditionellen Exegeten meist mit «Schlagt sie» übersetzt wird. Immer häufiger wird die Passage aber anders ausgelegt – mit «Straft sie» oder «Meidet sie» in symbolischem Sinn. Dies auch mit Verweis auf Aussagen des Propheten Mohammed, der in anderen Texten die Männer explizit dazu mahnt, ihre Frauen in bester Art und Weise zu behandeln und sie nie zu schlagen.

Es braucht eine «Schweizer Variante» der Koran-Auslegung

Petrit Alimi sagt dazu: «Der Koran als Wort Gottes ist ewig und unveränderlich, aber die Interpretationen sind veränderlich und abhängig von Zeit und Ort.» Eine zeitgemässe Interpretation des Korans, die im Einklang mit der heutigen Gesellschaft und dem Rechtsstaat stehe, sei neben der Chancengleichheit auch eine wichtige Voraussetzung für die Integration der Muslime in der Schweiz. «Es ist deshalb wichtig, dass auch islamische Theologen und Pädagogen an einer schweizerischen universitären Fakultät ausgebildet werden. Nur so können wir der Nachfrage nach qualifiziertem Personal gerecht werden.» Schweizer Moscheen stehen heute vor der Wahl: Entweder sie holen einen Imam, der eine umfassende Ausbildung an einer der grossen islamischen Universitäten, etwa in Sarajevo, Medina oder Kairo, absolviert hat. Doch dieser hat oft keinen Bezug zur Schweizer Gesellschaft und ihren Werten. Oder man stellt jemanden an, der in der Schweiz lebt, aber theologisch oft Laie ist, den Koran nicht viel besser kennt als seine Zuhörer und dessen Auslegung entsprechend kurz greift. Diese Imame sind meist schlecht bezahlt. Es kommt oft vor, dass sie kurz vor dem Freitagsgebet wieder absagen, weil sie andernorts arbeiten müssen, um ihre Existenz zu sichern. «Es ist für uns eine grosse Herausforderung, jeden Freitag einen Imam zu finden», sagt Sidali Metriter.

Korrekt ausgebildete Imame findet man praktisch nicht

Der 1993 gegründete Verein Dar-Assalam sucht nun einen neuen Imam mit Festanstellung – per Stelleninserat. Die Anforderungen sind diesmal deutlich höher als das, was die Moschee bisher verlangte: Theologiestudium, gute Deutschkenntnisse, Berufserfahrung und «Offenheit gegenüber Menschen aller Altersgruppen, Nationalitäten und Religionen». Gemeldet habe sich noch niemand, räumt Metriter ein. Allzu viel Hoffnung macht sich auch Muhamed Sabanovic, Projektleiter bei der IGL, nicht. Eine Zürcher Moschee habe schon einmal per Inserat einen Imam gesucht. «Sämtliche Bewerber brachten nicht annähernd die nötigen Qualifikationen mit», so Sabanovic.

Für Petrit Alimi führt deshalb kein Weg an einer Schweizerischen Imam-Ausbildung vorbei. «Es ist ernüchternd: Heute leben Muslime teils schon in dritter Generation in der Schweiz. Doch wenn junge Muslime eine theologische Laufbahn einschlagen wollen, haben sie keinerlei Ausbildungsmöglichkeit.» Dabei gäbe es, wie das Beispiel der Dar-Assalam-Moschee zeigt, genügend Nachfrage nach religiösen und sozialen Angeboten. In Kriens besuchen rund 50 Familien regelmässig die Moschee. Sie stammen mehrheitlich aus arabischen Ländern und kommen nicht nur zum Beten, sondern treffen sich etwa beim kostenlosen Ramadan-Tisch zum Essen oder erhalten Hilfe bei Jobsuche und Bewerbungen. Das meiste davon basiert auf Freiwilligenarbeit. Von professionellen Strukturen, wie man es von Kirchgemeinden kennt, ist man weit entfernt. Die IGL ist angetreten, dies zu ändern. Die islamischen Gemeinden – nach Schweizer Vereinsrecht organisiert – haben das Ziel, ähnlich der Landeskirchen vom Staat anerkannt zu werden.

«Wenn wir keine Erfolge verzeichnen können, müssen wir uns Gedanken über die Auflösung machen»

Doch zunächst macht die IGL Schritte für die Professionalisierung der Mitgliederorganisation. Parallel dazu laufen Abklärungen für ein offenes Gemeindezentrum, welches ein Ort für die Luzerner Muslime und auch alle anderen Interessierten sein soll. Die Suche nach einem geeigneten Grundstück oder einer Liegenschaft gestaltet sich schwierig. «Auch wir machen das alles ehrenamtlich und während unserer Freizeit», sagt Petrit Alimi und fügt hinzu: «Wenn wir in den nächsten zwei Jahren keine Erfolge bei der Professionalisierung, den Finanzen und baulich verzeichnen können, müssen wir uns Gedanken über die Auflösung der IGL machen.» Wer dann die Vernetzung unter den Muslimen sicherstellt und Ansprechpartnerin von Behörden oder Medien ist, «bleibt offen», wie Petrit Alimi sagt.

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