Natalie Ehrenzweig
Natalie Ehrenzweig
20 Jahre ist es her, dass die Albert-Koechlin-Stiftung mit Sitz in Luzern Handlungsbedarf im Bereich Menschen mit geistiger Beeinträchtigung festgestellt hat. «Diesen Menschen wollte man begleitetes Wohnen anbieten. Dabei standen Selbstbestimmung und ein so normales Leben wie möglich für die Betroffenen im Zentrum», erinnert sich Beatrice Affentranger, stellvertretende Leiterin begleitetes Wohnen.
Heute werden zehn Personen in einer eigenen Wohnung begleitet, damals startete das Projekt mit fünf Betroffenen. Einer der Ersten war Beat Baumeler. Der knapp 59-Jährige geniesst die Lage der Wohnung mitten in der Stadt. «Wenn etwas ist, ist immer jemand da.» Unterstützung brauche er vor allem bei administrativen und praktischen Fragen rund um die Wohnung. «Beim Einkaufen oder Kochen, aber manchmal auch zum Beispiel beim Ferienbuchen.»
Beat Baumeler arbeitet in der Stiftung Brändi. «Unser Angebot richtet sich an erwachsene Menschen mit einer leichten geistigen Beeinträchtigung, die eine IV-Rente erhalten, an einer Tagesstruktur wie zum Beispiel einer Arbeitsstelle im zweiten Arbeitsmarkt teilnehmen und in der Lage sind, ihren Alltag weitgehend selbstständig zu bestreiten», erklärt Beatrice Affentranger. Einmal wöchentlich trifft sie sich mit ihrem Klienten.
Auch Wohnen auf Probe ist möglich
Neben dem begleiteten Wohnen bietet die Stiftung auch dreimonatiges Probewohnen an. «Viele derjenigen, die das Probewohnen ausprobieren, wechseln wenn möglich in eine eigene Wohnung in der Region Luzern mit oder ohne Wohnbegleitung», sagt Affentranger. Dass die meisten Verhältnisse so gut funktionierten, liege am grossen Vertrauen zwischen den Betreuungspersonen und den Klientinnen und Klienten. «Das hat sicher auch mit unserer Haltung zu tun: Wir respektieren unsere Klienten. Ihre Vorstellungen von ihrem Leben sind massgebend, nicht unsere. Wir greifen höchstens ein, wenn wir eine psychische Krise oder etwa ungesundes Verhalten feststellen. Und auch dann immer in Rücksprache mit ihnen», betont Beatrice Affentranger.
Sie bedauert, dass das Jubiläum aufgrund der Pandemie mit den Klientinnen und Klienten nicht gebührend gefeiert werden konnte. Doch man gehe immerhin ein- bis zweimal jährlich zusammen essen. Und per Januar 2022 wurde das begleitete Wohnen vom Kanton Luzern als soziale Einrichtung mit ambulanten Fachleistungen anerkannt.
Auch ein Angebot für Jugendliche gibt es
Ebenfalls ein Jubiläum, das fünfjährige, feiert die Jugend-WG der Stiftung. Hier finden Jugendliche aus angespannten, konfliktbeladenen Wohnsituationen ein Zuhause. In mittlerweile drei Wohngemeinschaften leben insgesamt zehn junge Erwachsene. «Sie müssen zwischen 18 und 25 Jahre alt sein, genügend gut Deutsch sprechen und in Ausbildung sein», erläutert Betreuerin Claudia Bühler die Bedingungen. Diese Kriterien erfüllen Tina, Anna und Samuel (Namen geändert). Sie sind zwischen 20 und 23 Jahre alt und leben unterschiedlich lange in einer Vierzimmerwohnung.
«Ich konnte mich gut in Anna einfühlen, weil es mir bei meinem Einzug ähnlich ging», erzählt Tina. Zu Beginn sei es merkwürdig gewesen, mit einem fremden Mann zusammen zu wohnen. So habe sich Anna erst zurückgezogen. «Doch wir haben uns sehr schnell angefreundet.» Wie in anderen WGs gibt es eine Ämterliste. Das funktioniere sehr gut, weil alle drei es gerne sauber hätten. «Nicht alle WGs laufen so reibungslos wie diese. Manchmal bin ich als Betreuerin gefordert, mit den Jugendlichen Streitkultur und Konfliktfähigkeit zu erarbeiten», sagt Claudia Bühler.
Neben der Ämterliste gibt es eine Hausordnung, an die sich die Bewohnerinnen und Bewohner halten müssen. «Wir müssen unsere Zimmer sauber halten, dürfen keine Drogen konsumieren, die fremden Zimmer nicht ungefragt betreten und, ganz wichtig, an der wöchentlichen WG-Sitzung teilnehmen», erklärt Tina.
«Erfüllen Aufgaben, die sonst Eltern wahrnehmen»
Claudia Bühler muss die Jugendlichen vor allem bei administrativen Angelegenheiten wie Post bearbeiten und Rechnungen bezahlen, unterstützen. «Wir gehen auch mal zu Gesprächen mit dem Lehrbetrieb mit. Oft erfüllen wir die Aufgaben, die sonst die Eltern wahrnehmen. Für viele sind diese WGs ein Zwischenschritt nach dem schwierigen Zuhause und vor dem selbstständigen Leben als Erwachsene.» Auch Tina und Anna freuen sich darauf, nach der Ausbildung den Schritt in eine eigene Wohnung zu wagen, auch wenn sie die jetzige Wohnsituation geniessen. «Auf unsere Nachbarin können wir uns zum Beispiel immer verlassen, sie hilft uns. Und sie bringt uns oft Kuchen», erzählen die jungen Frauen lachend.
Anders als beim begleiteten Wohnen gibt es bei den Jugend-WGs eine Warteliste. «Wir achten auf eine gute Durchmischung, damit es möglichst keine Abbrüche gibt. So konnten wir in den fünf Jahren 31 Jugendlichen ein Zuhause bieten, fünf erfolgreiche Lehrabschlüsse feiern und mehrere junge Menschen in eine selbstständige Wohnform übertreten lassen», sagt Claudia Bühler.