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Kolumne

Wie Kinder zu Smileys werden

Dank sozialer Medien kann heute jeder Schritt im Leben dokumentiert und mit anderen geteilt werden. Für «Ich meinti»-Kolumnist Christian Hug zu viel des Guten.  

Christian Hug, Journalist aus Stans.
Bild: Bild: PD

Eine Kollegin hat kürzlich ihr erstes Kind bekommen. Es ist ein Junge, ich weiss aber nicht, wie der heisst. Dafür konnte ich neun Monate lang ziemlich detailliert mitverfolgen, wie der kleine Bub herangewachsen ist beziehungsweise wie der Bauch der Mutter immer grösser geworden ist, denn die Mutter hat von ebendiesem fleissig Fotos auf Instagram gepostet. Zwischendurch zeigte sie der Welt so Frauenpower-Bildli, zum Beispiel eine zum Himmel gereckte Frauenfaust mit Kommentaren wie «Wir sind die Natur».

Dann kam also endlich das Kind zur Welt. Dieses freudige Ereignis teilte die Mutter mit der Welt auf Instagram und Whatsapp-Status mit einem Bildli von den Füssen des Kindes, aber ohne einen Namen zu nennen – ich nehme jetzt mal an, dass das in der Kommentarzeile platzierte Herz-Symbol kein Name ist. Wie soll man das denn auch aussprechen.

Seither sind das namenlose Kind und die Mutter oft auf Instagram- und Status-Fötteli zu sehen. Von der Mutter ist immer der Kopf abgeschnitten, und das Gesicht des Kindes ist jedes Mal mit einem Smiley überdeckt, Sie wissen schon, die gelben Emoji-Rundumeli.

Ich frage mich dann immer: Was möchte mir die Mutter mit solchen Bildern mitteilen? Dass sie selber kopflos durch die Tage hüenered? Dass niemand das Gesicht des Kindes sehen darf? Ist das Gesicht denn so hässlich? Oder geht es hier um Personenschutz? Das Recht am eigenen Bild gilt auch für Babys? Aber wenn letzteres der Fall ist: Warum zeigt sie denn überhaupt Bilder von ihrem Kind? Und warum schneidet sie sich selber den Kopf weg?

Fragen über Fragen, die mir trotz mehrerer Umfragen im Bekanntenkreis noch niemand beantworten konnte. Dafür ist mir inzwischen klar geworden, dass genau das heute Standard ist: Alle jungen Mütter posten zwar fleissig Babybilder, decken aber ihre Babys mit Smileys ab. Ist das eine Tiktok-Challenge?

Das ist aber längst noch nicht alles. Das Abdecken von Gesichtern geht noch viel weiter: Inzwischen werden in manchen Zeitungen sogar die Gesichter von toten Tieren unscharf gemacht. Wie zum Beispiel beim erschossenen Wolf, dessen Bild der Berner Grossrat Thomas Knutti letzten Juli auf Facebook gepostet hat. Letzthin habe ich sogar ein Bild gesehen von Kuhkälbern auf einer Wiese, bei denen die Ohrenmarken bis zur Unleserlichkeit verpixelt waren. Die Ohrenmarken! Herrje! Sehen so die Persönlichkeitsrechte eines Schlachtviehs aus?

Egal ob bei der Babykuh oder beim Menschenbaby: Mich befremdet dieser Fleiss der jungen Mütter und gutmeinenden Fotografen. Ich meine, in der Ukraine herrscht Krieg und die Welt geht gerade unter. Und da soll ich mir Smiley-Baby-Bildli von kopflosen Müttern ansehen?

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