Vanessa Varisco
Freikirchen geraten ab und an in Kritik, entweder fundamentalistische Züge oder Ähnlichkeit mit Sekten zu haben. Jene selber bestreiten das. Was ist an den Vorwürfen dran?Die grossen Freikirchenverbände teilen die typischen Merkmale problematischer Gemeinschaften – sogenannter Sekten – nicht. Wenn sich aber Pastoren von Freikirchen abspalten, kann ein Radikalisierungsprozess in Gang kommen, der aus einer freikirchlichen Gruppe eine fundamentalistisch-christliche Gemeinschaft macht. Mehrere Sekten in der Schweiz sind aus dem freikirchlichen Milieu herausgewachsen, am bekanntesten vielleicht die Organische Christus-Generation von Ivo Sasek mit ihrer Verschwörungs-Plattform kla.tv.Worin liegt die Faszination einer Freikirche für die Gläubigen? Freikirchen sind weltanschaulich bewusst relativ einheitlich, orientieren sich möglichst wörtlich am Neuen Testament, ermuntern ihre Besuchenden zum Engagement innerhalb und ausserhalb der Gemeinde, pflegen enge Beziehungen untereinander und haben ihren eigenen Stil in Musik und Verkündigung. Sie sind attraktiv für Menschen, die zu einer engagierten, familiär wirkenden Gemeinschaft gehören möchten, welche möglichst eng am Neuen Testament orientiert ist und in welcher alle mindestens in wesentlichen Punkten dasselbe glauben. Zudem ist entscheidend, dass die Besuchenden den Stil der betreffenden Gemeinde schätzen. Stilfragen können zu Spaltungen von Freikirchen führen.Weshalb kann das Missionieren für Gläubige ein wichtiger Bestandteil des Glaubens sein? Dass der eigene Glaube weitergegeben werden soll, ist ein wesentliches Anliegen des freikirchlichen Christentums, das in Wort und Schrift immer wieder thematisiert wird. So erwarten Freikirchen von ihren Besuchenden, dass sie für ihren Glauben Werbung machen, sei das im persönlichen Umfeld, durch Strasseneinsätze oder durch finanzielle Unterstützung von Missionswerken.Auffallend ist, dass es in zugerischen Freikirchen zeitweise vorkommt, dass der Pastor weiterzieht. Liegt dieses Phänomen der Abspaltungen in der Natur der Freikirchen, oder wo sehen Sie mögliche Gründe? Dass Pastoren von einem Verband zu einem anderen wechseln oder eine unabhängige Gemeinde gründen, kommt im freikirchlichen Milieu sehr oft vor. Die Ursachen sind manchmal theologischer Natur, nicht selten geht es um Stilfragen und sehr oft sind – wie überall – persönliche Motive entscheidend, etwa Unverträglichkeit mit Vorgesetzten oder Kollegen und Ähnliches. Problematisch sind diejenigen Abspaltungen, die aus einer Tendenz der Radikalisierung heraus geschehen. Ein Hinweis in diese Richtung ist es, wenn die Trennung damit begründet wird, dass der Verband zu «lau», zu wenig «gläubig», «engagiert» oder «entschieden» sei. Am Ende kann die Bildung einer fundamentalistisch-christlichen Gemeinschaft stehen.