Wie muss eine Gesellschaft ihre Energieversorgung sichern, damit die Menschen dauerhaft überleben können? Diese Frage stellt sich nicht erst heute. Für die Bevölkerung der alpinen Regionen war in der langen Geschichte ihrer Siedlungen der Aufwand gross, die Energieversorgung ihrer Dörfer sicherzustellen. Ohne ausreichend Wärme und Licht war ihre Existenz in einer von natürlichen Risiken bedrohten Umwelt jederzeit gefährdet. Das lag nicht zuletzt an den klimatischen Bedingungen mit langen und kalten Wintern und am Mangel an energetisch nutzbaren Ressourcen, wie beispielsweise das Brennholz.
Der Mangel an Brennholz führte zur Nutzung von Torf
Es ist faszinierend zu sehen, wie sie die Mühen der Energiebeschaffung meisterten. Das Urserntal ist dafür ein besonders aufschlussreiches Beispiel. Denn das Tal litt stark an Holzmangel, war es doch seit dem 14. Jahrhundert weitgehend entwaldet. Holz musste in mühsamer, meist von Frauen geleisteter Anstrengung aus dem Reusstal hochgetragen werden. Um den Mangel an Brennholz wenigstens zum Teil auszugleichen, gingen die Frauen und Männer von Ursern zeitweise dazu über, einen lokal verfügbaren Rohstoff abzubauen und als Energiequelle zu verwenden – den Torf.
In der Sprache der Chemie ausgedrückt, ist Torf «ein Zersetzungsprodukt aus organischen Substanzen, das chemisch vor allem aus Kohlenstoff (55–60 Prozent), Wasserstoff (6 Prozent) und Sauerstoff (33 Prozent) besteht». Torf ist ein Rohstoff, der in Prozessen von mehreren tausend Jahren Dauer entstanden ist. Für Torfproben aus dem Gebiet des heutigen Golfplatzes zwischen Andermatt und Hospental wurde von Forschenden der Universität Innsbruck 2012 ein Alter von 7000 Jahren ermittelt.
Die Nutzungsgeschichte von Torf ist alt, denn schon in der Jungsteinzeit ist die Verwendung von Torf nachgewiesen. Im 18. Jahrhundert wurde dann auch in der Schweiz mit der Nutzung von Torf experimentiert. Im Urserntal, wo es einige Moore und damit auch Torfvorkommen gibt, wurde Torf als Brennmaterial in grösserem Ausmass um die Mitte des 19. Jahrhunderts abgebaut. Die Korporation erliess 1860 Vorschriften, die den Abbau regelten. Entsprechende Bestimmungen finden sich auch in späteren Verordnungen. Sie werfen ein Licht auf die Grundsätze, nach denen die Talschaft ihre Ressourcen bewirtschaftete.
Das Torfgraben wurde eingeschränkt
Ein 1916 publizierter «Beschluss über das Turben-(Torf-)graben» der Korporation listet die Bestimmungen nach 1860 auf. Auf der Allmend Torf zu stechen, war ausschliesslich den «Bürgerfamilien» vorbehalten, und zwar unter Aufsicht und nur an einem einzigen der vom Engeren Rat dafür festgesetzten vier Tage. Mit der Arbeit durfte nicht vor fünf Uhr morgens begonnen werden. Die «aufgeworfenen Löcher» mussten «zugefüllt, bestmöglichst verebnet und mit Rasen bedeckt werden». Der Verkauf von Torf war verboten. Die Nichteinhaltung der Regeln wurde mit Sanktionen wie Geldbussen bedroht.
Dass die Korporation als Eigentümerin der Allmend Vorschriften für den Abbau von Torf erliess, war nicht aussergewöhnlich. Regeln der gleichen Art galten beispielsweise auch für das Wildheuen und für den Weidgang. Unmissverständlich verweisen sie auf die Prinzipien, an denen sich die Nutzung zu orientieren hatte: Ressourcen sind knapp, sie dürfen nicht übernutzt werden, sie müssen im Interesse späterer Generationen gepflegt werden und sie sind der Vermarktung zu entziehen. Damit wird in Umrissen eine Nutzungsweise sichtbar, für welche die langfristige Sicherung der Ressourcen – und nicht deren möglichst profitable Ausbeutung – an erster Stelle steht.
Torf wurde im Urserntal bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts abgebaut. Damit er als Brennmaterial verwendet werden konnte, waren mehrere Arbeitsgänge nötig. Alle Familienmitglieder beteiligten sich an den Arbeiten. Im Begleittext zur Ausstellung «Realp in der Fotografie ab 1850» erfährt man, dass Torf im Frühjahr, vor dem Heuen, gestochen wurde: «Einen ganzen Tag lang wurde von der Familie hart gearbeitet. Nur ein Mann durfte aufs Mal pro Haushalt stechen. Die anderen Männer und die Frauen trugen die abgestochenen Stücke an ein nahes Wiesenbord, wo sie zum Austrocknen ausgelegt wurden.»
Geheizt wird im Urserntal heute mit erneuerbarer Energie
Die weitere Verarbeitung zu Brennmaterial war Sache der Frauen. Nach dem Ende der Heuernte «gingen sie die im Spätfrühling gestochenen Torfstücke wenden und so aneinander stellen, dass die Stücke schräg gegeneinander standen, in der Mitte ein dreieckiger Zwischenraum. Die Torfstücke wurden nun gleichmässig von allen Seiten vom Wind getrocknet». Vom Grad der Trockenheit hing der Brennwert des Torfs ab.
Heizen war dagegen die Aufgabe des Mannes. «Er feuerte den Giltsteinofen mit Holz an und legte genug ‹Turbä› auf, sodass die Wärme den ganzen Tag reichte. Abends wurde dann nochmals aufgelegt, sodass man auch in der Nacht eine angenehme Temperatur hatte.» Der «Giltschtaioufä» aus Speck- oder Tuffstein war eigentlich ein Wärmespeicher. Er stand in der Stube und wurde meist von der Küche her beheizt.
Heute ist Torf keine Energiequelle mehr. Seit 1987 sind Moore und Moorlandschaften in der Schweiz geschützt, und der Abbau von Torf ist verboten. Geheizt wird im Urserntal zunehmend durch den Anschluss an das Fernwärmenetz Andermatt, also mit erneuerbarer Energie. Und das taleigene Unternehmen EWU versorgt das Tal mit lokal produzierter, aus Wasser- und Windkraft gewonnener Elektrizität. (pd/mha)