notifications
Luzern

«Wegen Corona mehr Leute einstellen musste ich nicht»: Lustat-Direktor Norbert Riesen seziert die Krise Zahl für Zahl

Von täglichen Todesfällen bis zur monatlichen Kurzarbeitsstatistik: Selten war Lustat so gefragt wie zur Zeiten der Pandemie. Direktor Norbert Riesen über politisches Gespür und technische Innovationen.
Norbert Riesen, Direktor von Lustat Statistik Luzern, im Büro. Er will die Darstellung der Daten weiter verbessern.
(Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 12. März 2021))

Alexander von Däniken

Spätestens seit einem Jahr bestimmen Zahlen unser Leben. Ob Läden öffnen oder Restaurants schliessen, entscheiden Bundesrat und Kantonsregierungen anhand von Fallzahlen oder der Auslastung der Intensivstationen. Dasselbe gilt für die Unterstützung der Wirtschaft: Wie viele Millionen und Milliarden brauchen die Unternehmen, um Arbeitsplätze zu erhalten? Hinweise darüber erhalten Bund und Kantone unter anderem in der Kurzarbeits- oder Arbeitslosenstatistik. Im Kanton Luzern dient Lustat als Quelle. Was steckt hinter den statistischen Aussagen?

94 neue Fälle, 11 beatmete Coronapatienten, 87,5 Prozent Intensivbettenauslastung

Diese und weitere Zahlen zur gesundheitlichen Coronasituation trägt Lustat Statistik Luzern täglich zusammen. Und zwar im Auftrag des kantonalen Gesundheits- und Sozialdepartements (GSD), wie Lustat-Direktor Norbert Riesen sagt. Grundsätzlich lasse sich die Arbeit der Statistiker in zwei Kategorien unterteilen: Spezifische Projekte wie diese, die von kantonalen Dienststellen kommen können. Und den allgemeinen gesetzlichen Grundauftrag vom Kanton Luzern als zentrale Statistikstelle, statistische Basisdaten über Bevölkerung, Wirtschaft, Gesellschaft sowie Raum und Umwelt für den Kanton Luzern und seine Gemeinden zu erheben, auszuwerten und benutzergerecht zu veröffentlichen. Dazu gehören auch zahlreiche Datenlieferungsverpflichtungen gegenüber dem Bund. Lustat betreibt zudem die kantonale Datenplattform Lureg. Diese dient dem Datenaustausch zwischen kommunalen und kantonalen Stellen sowie dem Bund.

300 Arbeitsstunden

So viel hat Lustat ungefähr investiert, um das tägliche Covid-19-Reporting für das GSD aufzugleisen und zu programmieren. Direktor Norbert Riesen: «Gerade am Anfang stellen sich viele entscheidende Fragen, die mit dem Auftraggeber besprochen werden müssen. Welche Daten werden ausgewählt, wie werden sie aufbereitet, wie und wo veröffentlicht und wie kann der gesamte Prozess automatisiert werden?» Sobald das Gerüst stehe, sei die tägliche Aktualisierung dank Automatismen in der Regel schnell gemacht. Das gelte auch für die Aufarbeitung der wirtschaftlichen Kennzahlen. Gerade weil das jeweilige Aufgleisen aufwendig sei, habe die Lustat-Geschäftsleitung laut Riesen in Coronazeiten mehr zu tun. Was den zusätzlichen Aufwand für alle 31 Angestellten betreffe, sei dieser dank guter Aufgabenverteilung und hoher Flexibilität gut zu bewältigen. «Wegen Corona mehr Leute einstellen musste ich nicht.» Eine Herausforderung seien aber die Schulungen für interessierte Behördenmitglieder, insbesondere im Umgang mit und Verstehen von Daten. Hier habe man auf Internetlösungen umstellen müssen. «Das hat dank eines Sonderefforts genauso geklappt wie die Umsetzung von Homeoffice.»

6100 Arbeitslose per Ende Februar, 48,7 Prozent der Luzerner Gastronomiebeschäftigten Ende 2020 in Kurzarbeit

Quellen solcher Daten sind das Staatssekretariat für Wirtschaft und das Bundesamt für Statistik. Die kantonalen Statistikämter können das Rohmaterial mit zusätzlichen Informationen anreichern. «Wir machen ja auch eigene Erhebungen», sagt Norbert Riesen. Weitere Quellen sind die Gemeinden. Noch Potenzial sieht Riesen bei Datensammlungen aus nicht-öffentlicher Hand; so etwa beim automatisierten Abgreifen aktueller Daten von bestimmten Websites. Hier sei beispielsweise Zürich schon weiter. Grundsätzlich gelte aber, dass die Daten verlässlich sein müssen.

100 Prozent politisch, aber unabhängig

Verlässliche Daten sind das eine, eine möglichst objektive Auswahl und Kommunikation derselben das andere. Natürlich kennt auch Norbert Riesen das Bonmot, das Winston Churchill zugeschrieben wird: «Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.» Doch davon hält der Lustat-Direktor nichts. Natürlich arbeite man oft mit Politikern zusammen, was die Auswahl von Kriterien und Parametern eines Themas betreffe. Schliesslich gehe es darum, der Politik eine möglichst genaue Entscheidungsgrundlage zu bieten. Das gehe nur, wenn die Statistiker ein Verständnis der politischen Abläufe und Bedürfnisse entwickeln. «Darum verlange ich von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch ein grundsätzliches politisches Interesse.» Aber dass der Auftraggeber entscheidende Daten verschweigen will, nur weil deren Aussage nicht mit der politischen Gesinnung übereinstimme – das hat es laut Norbert Riesen noch nie gegeben. «Und das würden wir auch nicht dulden.»

6310 Einwohner zählt Bolligen (BE)

Zu ihnen gehört auch Norbert Riesen. Der 59-Jährige ist Wochenaufenthalter. An den Werktagen lebt er im Luzerner Stadtteil Littau, an den Wochenenden bei seiner langjährigen Lebenspartnerin in Bolligen, nordöstlich der Stadt Bern. Seit Februar 2014 ist Riesen Lustat-Direktor. «Das Leben als Wochenaufenthalter stimmt für mich», sagt er. Unter der Woche sei er ganz der Luzerner, der sich Gedanken über Verkehrszählungen auf der Seebrücke macht, während er darüber fährt. Am Wochenende engagiert er sich als SP-Mitglied in der Geschäftsprüfungskommission von Bolligen, als Präsident der Spitex in der Nachbargemeinde Ostermundigen oder als Stiftungsrat des Kinderheims Aeschbacherhuus in Münsingen.

Lustat 4.0

Mit Corona hat laut Norbert Riesen die Bedeutung von Statistiken zugenommen. Die Politik müsse folgenschwere Entscheidungen treffen und brauche dafür eine solide Datenbasis. Diese dürfte noch grösser werden und schneller verfügbar sein. Künftig werden auch die Auswirkungen der Pandemie durch statistisches Zahlenmaterial in weiteren Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen untersucht werden können. «Dabei wird es mit fortlaufender Zeitdauer eine Herausforderung sein, die Coronavirus-Effekte von anderen Entwicklungen zu unterscheiden.» Also was war coronabedingt und was hat andere Ursachen? Letztlich geht es laut Riesen auch darum, der ganzen Bevölkerung attraktive Statistiken zur Verfügung zu stellen. «Schon jetzt arbeiten wir noch stärker daran, die Daten visuell noch besser darzustellen.»

Mehr zu Lustat: www.lustat.ch, Newsletter: www.lustat.ch/newsletter, Twitter: @LustatLuzern

Kommentare (0)