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Luzern

Wasserturm als Stadtburg: Historiker begrüssen neue These

Der Historiker Heinz Horat stellt Luzerns Wahrzeichen in einen neuen Zusammenhang – mit Verweis auf ähnliche Bauten im Elsass. Andere Experten finden dies interessant und keineswegs abwegig.
Der Historiker Heinz Horat vor dem Wasserturm, Luzerns Wahrzeichen.
Bild: Boris Bürgisser (Luzern, 16. Mai 2019)
Ein Teil der alten Burg  Eguisheim im Elsass (mit der neuen Leokapelle hinten). Eguisheim ist eine kleine Ortschaft mit gut 1700 Einwohnern wenige Kilometer südwestlich von Colmar. Bild: Getty Images)
Romantische Rekonstruktion der Burg Eguisheim. Bild: Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern

Hugo Bischof

Hugo Bischof

Hugo Bischof

Der Wasserturm sei – entgegen der bisherigen Annahme – kein Teil der mittelalterlichen Befestigungsanlage Luzerns gewesen, sondern eine repräsentative Stadtburg. Diese überraschende These präsentierte der Historiker Heinz Horat vor kurzem in unserer Zeitung. Dass Horats Behauptung nicht abwegig ist, zeigt eine Umfrage bei Experten und Personen, denen der Luzerner Wasserturm auf spezielle Weise nahe steht.

Der Architekturhistoriker und frühere Stadtluzerner Denkmalpfleger Ueli Habegger betont:

«Heinz Horats These, wonach der Wasserturm das Stadtschloss der Klosterherrschaft St. Leodegar darstelle, ist interessant und befeuert den Diskurs über die Vergangenheit des Turms erneut.»

Schon im 19. und 20. Jahrhundert habe das Stadtschloss Luzerns die Fantasie und den Forschungsdrang vieler Historiker beschäftigt, so Habegger.

Heinz Horat datiert den Bau des Luzerner Wasserturms in die 1260er-Jahre, rund 30 Jahre früher als bisher angenommen. Es war die Zeit, als das Kloster und damit die entstehende Stadt Luzern zum riesigen Herrschaftsbereich der weit entfernten Benediktinerabtei Murbach im Elsass gehörte. Dass diese sich in Luzern, und dazu noch in der Reuss, ein Stadtschloss baute, ist denkbar. Ueli Habegger betont:

«Im Mittelalter gehörte das Bauen im und am Wasser zu den Privilegien der Grundherrschaft.»

Auffällig am Wasserturm ist dessen achteckiger Grundriss, auf den sich Heinz Horat in seiner These mehrfach abstützt. Dieser sei «ein Herrschaftszeichen», bestätigt Ueli Habegger. Zudem:

«Ein im Grundriss runder Wasserturm wäre, was die Strömungsverhältnisse in der Reuss betrifft, vorteilhafter als ein achteckiger.»

Dennoch werde mutmasslich offen bleiben, ob der Wasserturm tatsächlich ein Stadtschloss war, sagt Habegger weiter. Genau so gut könne dies die Marburg im Gebiet Bramberg gewesen sein, die heute nicht mehr existiere, deren Ruine auf Landkarten des frühen 17. Jahrhunderts aber noch zu sehen sei. «Auch die Marburg gehörte zum Grundbesitz der Grundherrschaft im Hof», so Habegger.

Gemäss Heinz Horat gibt es nur ganz wenige mit dem Wasserturm vergleichbare mittelalterliche achteckige Wohntürme mitten in Städten. Die nächsten architektonischen Verwandten hat er ausgerechnet im Elsass gefunden, wo auch das Kloster Murbach steht – in Guebwiller und Eguisheim. Beide Bauwerke entstanden wohl in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und sind heute nur noch in spärlichen Mauerresten erhalten. In Eguisheim und in Guebwiller waren die Stadtburgen umgeben von Wassergräben. In Luzern hatte die Reuss diese Funktion.

Manuel Menrath ist Präsident der Historischen Gesellschaft Luzern und Oberassistent Geschichte der Neuesten Zeit an der Universität Luzern. Er zitiert den Historiker Marc Bloch (1886-1944), gemäss dem Geschichte «die Wissenschaft vom Menschen in der Zeit» ist. Mit seiner «nachvollziehbaren Hypothese» berücksichtige Heinz Horat genau diesen menschlichen Aspekt in Bezug auf die Entstehungsgeschichte des Wasserturms, so Menrath: «Indem er bautechnische Stilelemente, die bislang stark im Vordergrund standen, mit gesellschafts- und religionspolitischen Komponenten ergänzt, gelingt ihm eine neue, triftige Interpretation.»

Lebendig gemachte Geschichte

Der Einbezug der in einem wechselseitigen Spannungsfeld stehenden Protagonisten mache die Geschichte zudem lebendig, sagt Manuel Menrath weiter: «Die allzu menschlichen Interaktionen des Murbacher Abts, der Vogtfamilie Rothenburg, alteingesessener Benediktiner und neuzugezogener Franziskaner sowie selbstbewusster Stadtbürger eröffnen im unmittelbaren Umkreis des Luzerner Wahrzeichens einen interessanten Einblick in eine der spannendsten Episoden unserer Stadtgeschichte.» Selbst wenn man das Baujahr aufgrund modernster Bestimmungsmethoden einmal exakt festlegen könne, werde man aufgrund der dürftigen Quellenlage nie mit letzter Sicherheit sagen, weshalb es tatsächlich zum Bau des Wasserturms gekommen ist, sagt Menrath: «Wir hätten dann einfach eine nackte Jahreszahl ohne Inhalt. Insofern ist Heinz Horats Hypothese als vorläufige Antwort zu begrüssen. Sie liefert aufgrund bestmöglichster geschichtswissenschaftlicher Analyse eine plausible Erklärung und verbindet den Turm mit den Menschen seiner Zeit.»

Valentin Groebner, Professor für Geschichte mit Schwerpunkt Mittelalter und Renaissance an der Universität Luzern, bezeichnet Heinz Horats These als «plausibel». Für den Historiker Bruno Meier, Autor des 2018 erschienen Buches «1291 – Geschichte eines Jahres», ist sie «nachvollziehbar, insbesondere auch der Hinweis auf die elsässischen Beispiele». Da die wenigen vorhandenen Quellen «gründlich durchforscht» worden seien, könnten aber wohl nur dendrochronologische Untersuchungen (Jahrring-Analysen des Bauholzes) neue Erkenntnisse liefern.

Muss der «Nachtwächter» seine Führung ändern?

Regelmässig in Kontakt mit dem Wasserturm kommt ein Mann, der in Luzern als «Nachtwächter Ralf» bekannt ist. Er macht regelmässig öffentliche und private Führungen durch das nächtliche Luzern – mit Start beim bekanntesten Wahrzeichen. «Ich erlaube mir kein historisch fundiertes Urteil über Heinz Horats These», sagt er. «Aber ich finde sie sehr interessant.» Dass Horat vergleichbare Türme im Elsass gefunden habe, sei bemerkenswert. Wird Ralf die neuen Erkenntnisse in seine Touren einliessen lassen? «Auf normalen Touren wohl kaum; aber wenn historisch besonders interessierte Personen dabei sind, kann das schon der Fall sein.»

Heinz Horats rund 20-seitige Hypothese kann man im Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern nachlesen: www.historische-gesellschaft.ch

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