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Nidwalden

Von Menschen gemachte Blautöne des Himmels: Zürcher Künstlerpaar stellt in Stans aus

Im Nidwaldner Museum zeigen Christina Hemauer und Roman Keller eine hochinteressante Ausstellung. Im Fokus: der Himmel und sein Blau.
Roman Keller und Christina Hemauer fragen sich in Stans, ob Menschen das Blau des Himmels verändern. (Bild: Romano Cuonz (Stans, 12. März 2022))
Bilder vom Blau des Himmels, aufgenommen mittels Ballon. (Bild: Romano Cuonz (Stans, 12. März 2022))

Romano Cuonz

Romano Cuonz

Jana Bruggmann, die neue Konservatorin des Nidwaldner Museums, setzt im Pavillon und im Winkelriedhaus Stans ihren ersten starken Akzent. «Farbe, Form und Linie gehören zu den Grundlagen der Gestaltung», sagt sie. Und: Spätestens seit den ersten Weltraumflügen in den 1960er-Jahren habe die Farbe Blau einen Stellenwert erhalten, der weit über die Kunst hinaus von Bedeutung sei. Stellvertretend für die Erde selbst stehe sie. Nicht umsonst sei seither die Rede vom «blauen Planeten».

Als Bruggmann dann dem Zürcher Künstlerpaar Christina Hemauer (Jahrgang 1973) und Roman Keller (1969) begegnete, stellte sie fest, dass die beiden ihre Faszination teilen. Schon seit acht Jahren beschäftigen sie sich mit dem Blau des Himmels. Eine Frage, die für sie zentral ist: «Haben menschliche Aktivitäten Einfluss auf die Farbe des Himmels?» Weil das Künstlerpaar diese Frage – nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema – klar bejaht, kommt es zur Zusammenarbeit mit Jana Bruggmann und dem Nidwaldner Museum.

Die Kuratorin verschafft Hemauer und Keller Zugang zu den Beständen des Hauses. Dies erlaubt den Kunstschaffenden erstmals auch eine kulturhistorische Annäherung an den Himmel. An einen Himmel, wie ihn die Volksfrömmigkeit geprägt oder wie ihn die Alpenmaler vor 150 Jahren dargestellt hatten. Das Nidwaldner Museum erlaubt ihnen eine interaktive und multimediale künstlerische Weiterführung ihrer Forschung, unter dem neugiererweckenden Titel «Über den menschgemachten Himmel».

Cyanometer als Ausgangspunkt

Wer weiss denn heute noch, was ein Cyanometer ist? Im Eingangsbereich zum Pavillon stellen Hemauer und Keller ein solches Gerät zur Schau. Sie haben es nach Anleitung seines Erfinders, des Genfer Naturforschers Horace Bénédict de Saussure (1740–1799), nachgebaut. Die ringförmige Scheibe offeriert 53 gleichmässige Farbabstufungen zur naturwissenschaftlichen Messung der Intensität der blauen Himmelsfarbe. Damit arbeitet das Duo seit Beginn seiner Forschung.

Unmittelbar neben dem Cyanometer aber präsentieren sie nun ältere Werke aus der Sammlung des Nidwaldner Museums: ausgewählte Votivtafeln oder religiöse Darstellungen von Melchior Paul von Deschwanden (Gottvater, Wetter, Föhn). Die Bilder stammen, wie das Cyanometer, aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Sie zeigen, wie Menschen, die durch elementare Kräfte der Natur in Not geraten, höhere Mächte, «droben im Himmel», um Hilfe anrufen.

Einen weiteren Bezug schaffen Hemauer und Keller zur monumentalen Alpenmalerei von Jakob Josef Zelger. Der Stanser Maler profitierte vom Aufkommen des alpinen Tourismus. Bilder von Bergen waren gefragt, nachdem diese zum beliebten Reiseziel der Oberschicht wurden. Hier schliesst sich der Kreis zum Cyanometer und dessen Erfinder. Saussure selber führte die erste wissenschaftliche Besteigung des Mont Blanc an, um mit Hilfe seines Geräts zu belegen, dass das Blau des Himmels nicht überall dasselbe ist, dass es in grösserer Höhe dunkler wird. Kuratorin Jana Bruggmann erklärt: «Heute verleiht die Klimadebatte dem Themenkomplex einen neuen und ungemütlichen Dreh. Dies ist einer der Gründe, warum sich Hemauer und Keller mit dem Blau des Himmels befassen.»

Atmosphärische Exkursionen

Das Herzstück der Ausstellung ist eine raumfüllende, mehrteilige Installation im Pavillon, die zu einer Reise zum Blau des Himmels einlädt. Vor Augen haben Besucher eine grossflächige Videoprojektion: ein Bild des blauen Himmels, welches das Duo mit Hilfe eines Solarballons aufgenommen hat. Hemauer und Keller liessen den Ballon samt Kamera auf 17 Kilometern Höhe über Alpen und Poebene in die Stratosphäre steigen.

Einige Farbpixel des mehrstündigen Videos rechneten sie in Töne um. Diese klingen wie abstrakte Kirchenmusik. Die Installation ist interaktiv. Wer in die Nähe des DJ-Pults kommt, ins Mikron spricht oder sich bewegt, verändert die Farben des Himmels auf der Grossleinwand. Damit macht das Künstlerduo den Einfluss des Menschen auf Himmelblau und Klima erlebbar. Im Raum ist auch eine Hörstation eingerichtet: In einem Interview erklärt der Klimatologe Atsumu Ohmura, warum uns der Himmel blau erscheint und welche Faktoren seine Farbe bestimmen. Fazit: Der Mensch, der in früheren Jahrhunderten in Sachen Himmel gerne Gott und die Heiligen beschwor, ist selber zum Klimafaktor geworden.

Weiter geht’s im Winkelriedhaus

Im Winkelriedhaus geht die Reise von Hemauer und Keller weiter: mit Fotografien zur Bläue des Himmels, mit Dokumentationen zu ihren Forschungen, mit interessanten Eingriffen in die Dauerausstellung. Ja, sogar mit einem von ihnen selber entwickelten Spektroskop, das auf dem Museumsdach steht und mit zwei Kameras alle 30 Sekunden ein Foto des Himmels über Stans macht. Für die Ausstellung wird ein Zeitraffervideo von jedem Tag auf eine Scheibe projiziert, die dank Fischaugenoptik plastisch erscheint. Kuratorin Jana Bruggmann sagt zur «Himmelsschau» der beiden Künstler: «Hier wird die Vielgestaltigkeit des Himmelsbegriffs, im Wechselspiel von Glauben, Ästhetik und Naturwissenschaft, thematisiert.»

Hinweis: Die Ausstellung läuft noch bis am 2. August. Infos: www.nidwaldner-museum.ch.

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