Hugo Bischof
Hugo Bischof
Hugo Bischof
Hugo Bischof
Ostern ist der Lieblingsfeiertag von Sr. Maria Raphael Märtens. «Er hat gerade in Zeiten von Corona eine besondere Bedeutung», sagt die neu gewählte Frau Mutter der Kapuzinerinnen-Gemeinschaft im Kloster Gerlisberg in Luzern: «Es geht um die Auferstehung, das Aufstehen im wahrsten Sinn des Wortes.»
Sr. Maria Raphael betont: «Corona gibt zu denken und zu fühlen, es hat Existenzen zerstört.» Viele Menschen hätten durch Corona aber auch gelernt, kreativ zu sein: «Corona kann also auch die Chance sein, einen Neuanfang zu wagen, vielleicht in eine andere Richtung.» Ein Leitspruch von Sr. Maria Raphael lautet:
«Das Leben hat das letzte Wort, nicht der Tod.»
Sie wollte immer schon ins Kloster – die Familie sprach von «Hochverrat»
Dass sie Nonne werden und ins Kloster gehen wolle, habe sie schon als kleines Mädchen im Kindergarten gewusst, erzählt sie: «Zum Ärger meiner Eltern.» Denn diese seien stark evangelisch geprägt gewesen. Der Grossvater und ein Onkel waren evangelische lutherische Pfarrer, auch eine ihrer Cousinen wählte diesen Weg. Und im lutherisch evangelischen Glauben gibt es im Gegensatz zum katholischen keine Klöster.
Geboren wurde sie am 3. Juni 1985 in Magdeburg, noch in der ehemaligen DDR. Ihr Vater war Rechtsanwalt, ihre Mutter Krankenschwester. Nach der obligatorischen Schulzeit machte sie eine Grundausbildung als Sozialbetreuerin von älteren und behinderten Menschen. Der Wunsch, Nonne zu werden, blieb. Noch während der Ausbildung besuchte sie deshalb diverse franziskanische Klöster in Deutschland. Am 30. März 2002 trat sie vom evangelischen zum katholischen Glauben über. «Viele in meiner Familie und Verwandtschaft haben das nicht verstanden», sagt sie. Sogar der Begriff «Hochverrat» sei gefallen. «Für mich aber war immer klar, dass dies für mich der richtige Schritt war.» Heute sei sie mit der Familie wieder versöhnt.
Sie suchte auf Google nach einem Kloster
Das für sie richtige Kloster habe sie in Deutschland nicht gefunden. Sie habe sich weiter auf die Suche gemacht, in Österreich und der Schweiz, teils über Google, teils physisch vor Ort. Nirgends habe sie sich richtig wohlgefühlt, bis sie 2004 nach Luzern kam:
«Für mich war sofort klar: Hier bleibe ich. Ich war nach langer Reise zu Hause angekommen.»
Die Gerlisberg-Schwestern hätten sie sofort liebevoll aufgenommen. Und Luzern sei ein wunderschöner Ort, mit wunderbarer Aussicht, historischer Altstadt und auch modernen Gebäuden.
Am 13. September 2004 trat sie als Kandidatin ins Kloster ein. Am 21. November 2004 begann das Postulat, das Einleben in den klösterlichen Lebensrhythmus. 2005 wurde sie als Novizin eingekleidet, 2006 erhielt sie die zeitliche, und 2009 die ewige Profess.
Sie wurde einstimmig gewählt
Heute ist Sr. Maria Raphael 35-jährig. Sie ist damit die jüngste von insgesamt noch zehn Schwestern im Gerlisberg. Von diesen wurde sie am 15. Oktober 2020 zur neuen Frau Mutter gewählt. Der Provinzial der Schweizer Kapuziner leitete die Wahl. Alle Schwestern erhielten einen Wahlzettel, auf den sie den Namen ihrer Wunschkandidatin schrieben. Die Wahl sei einstimmig gewesen, verrät Sr. Maria Raphael: «Nur ich schrieb als Einzige nicht meinen Namen auf den Zettel.»
Als neue Frau Mutter ist Sr. Maria Raphael Nachfolgerin von Sr. Maria Nicola Schmucki, die im Alter von 91 Jahren von ihrem Amt zurücktrat. Sr. Maria Nicola hatte ihr Amt mehrmals inne, insgesamt 42 Jahre. Ob sie ebenfalls so lange dieses Amt ausüben werde, wisse sie nicht, sagt Sr. Maria Raphael: «Ich nehme es, wie es kommt, und ich würde eine Wiederwahl annehmen.» Die Wahl der Frau Mutter findet alle drei Jahre statt.
1978 waren es noch 54 Schwestern
«Als ich am 13. September 2004 ins Kloster eintrat, waren wir 16 Schwestern», erzählt sie. «Schon zwei Monate später starb eine von ihnen, da waren wir nur noch 15.» 1978, beim Amtsantritt von Sr. Maria Nicola, waren es noch 54 gewesen. Von den heute noch zehn Schwestern stammen fünf aus der Mission des Klosters Gerlisberg in Tansania in Afrika. «Sie sind wichtig für unsere Gemeinschaft», sagt Sr. Maria Raphael: «Einerseits bereichern sie unser Leben hier. Andererseits tragen sie zu unserem Weiterbestehen bei.» Die neue Frau Mutter betont:
«Die Mission in Tansania braucht das Mutterhaus in Luzern dringend und wird alles dazu beitragen, es zu erhalten, falls es dereinst zu einer Umnutzung des Klosters kommen sollte, was wir natürlich nicht hoffen.»
Corona hat auch das Leben im Kloster beeinflusst. Die Hostienbäckerei, die Haupteinnahmequelle des Klosters, arbeitet in reduziertem Umfang. Die Zimmer des Gästehauses sind zurzeit leer. In der Klosterkirche finden zwar weiterhin Messen am Sonntag sowie von Dienstag bis Freitag statt. «Doch es kommen etwas weniger Leute als früher», sagt Sr. Maria Raphael.
Sie vermisst den Gesang ihrer afrikanischen Mitschwestern
Etwas schmerzt sie besonders: «Wir dürfen wegen Corona nicht singen.» Vor allem den «warmen und gefühlvollen» Gesang ihrer afrikanischen Mitschwestern auf Suaheli vermisse sie: «Das ist etwas, worauf ich mich freue, wenn irgendwann die Coronamassnahmen gelockert werden können.»