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Vier Jahre nach Horror-Unfall: Endlich wieder auf Achse

Motorrad fahren war seine grosse Leidenschaft – und machte Gerben Mesland vor vier Jahren zum Querschnittgelähmten. Soeben absolvierte der Holländer eine 1300 Kilometer lange Alpentour.
Töff-Freunde fürs Leben: Gerben Mesland im Seitenwagen von Danilo Braccinis Motorrad. (Bild: Roger Grütter (Littau, 11. Juni 2018))

Gerben Mesland’s Whatsapp-Profilbild zeigt ihn noch immer als 40-Jähriger, der auf seiner Honda Dax durch holländisches Unterholz prescht. Acht Jahre nachdem das Bild entstanden ist, geschah das Unfassbare: Nur 300 Meter vor seinem Zuhause kam der Familienvater von der Strasse ab. Was passierte damals, und weswegen? Gerben wird es nie erfahren. Es gibt keine Bremsspuren, keine Zeugen, keine Erinnerungen. Vier Monate später erwacht der Logistikmanager aus dem Koma, schwankte immer wieder zwischen Leben und Tod, hat etliche Operationen hinter sich und seinen rechten Unterschenkel amputiert.

Am vergangenen Sonntag, auf den Tag vier Jahre nach dem Unfall, ist Gerben in Luzern. Von hier aus unternimmt er eine ­Alpentöfftour. Wir treffen ihn am späten Vormittag, begleitet von einem Dutzend Freunden. Nach einem Stadtrundgang und der Fahrt auf dem Schiff Saphir ­kommen immer mehr dazu. Am frühen Abend im Pickwick Pub sind es mindestens doppelt so viele – Freunde aus Luzern, aus Deutschland, Belgien, die Schwester aus Neuseeland, der 83-jährige Schwiegervater und etliche Nachbarn von seinem Wohnort unweit von Rotterdam.

«Ein Bild des Grauens»

«Gerben ist ein Partytier. Er liebt die Menschen und die Menschen ihn», sagt Danilo Braccini aus ­Disentis, welcher Gerben vor gut 20 Jahren an einem Enduro-Treffen in Italien kennen lernte. Er besuchte seinen Freund zwei Wochen nach dem Unglück: «Überall die Schläuche, die künstliche Beatmung. Ein Bild des Grauens.» Seine Frau Mariska und sein damals 17-jähriger Sohn kämpften mit ihm, all die Rückschläge, die paar Fortschritte, bis sich 18 Monate danach sein Zustand immerhin stabilisierte. Damals wurde aber auch klar: fast vollständige Lähmung. Den linken Arm kann Mesland langsam bewegen, einen Elektrorollstuhl bedienen. Und: Die Stimme ist ihm geblieben, wenn auch längst nicht so kräftig wie zuvor.

Zwei Jahre später kommt er endlich in sein Haus in Hardinxveld-Giessendam, inzwischen von seinen Freunden rollstuhlgängig umgebaut. Vier Monate später fährt Nachbar Frans Schoonderwoerd mit einem Seitenwagen auf der Basis eines BMW K100 vor. Ein Autositz kommt rein, weitere Bekannte konstruieren einen Lift für den Transfer vom Rollstuhl in das ­Gefährt. Und von da an waren Motorradausflüge wieder Teil seines Lebens.

«Gerben is gek op brommers», sagt seine Frau Mariska. «Brommer» steht im Holländischen für Töffli und «gek» für verrückt. «Alles mit zwei Rädern und einem Motor faszinierte ihn schon als Kind, als Teenager folgte ein «Brommer» nach dem anderen, später dann die schweren Maschinen, vor allem Japaner.» Wenig erstaunlich: Kurz vor dem Unfall war er noch auf der Isle of Man in der irischen See, dem Motorrad-Mekka schlechthin. Aber, dass er auf den vierten «Jahrestag» eine Alpentöfftour über mehr als 1000 Kilometer planen würde, überraschte selbst Freund Danilo Braccini: «Gerben war schon immer sehr positiv und übertrug das auf sein Umfeld. Nun kriegt er das alles zurück.»

Schmerz, aber auch Stolz

Vor einem Jahr begann Mesland mit der Planung: Dank etli- chen Therapien kann er E-Mails schreiben und das Telefon bedienen. Der Tross, welcher vor einer Woche im Hotel Thorenberg in Littau abfuhr, zählte 10 Motorräder und 20 Personen. Mit dabei war auch eine Pflegeequipe im Begleitbus – und sogar ein 25-jähriger Halbprofi, welcher die ersten drei Tagesetappen auf seinem Rennrad mitmachte. Während der vergangenen sechs Tage ging es bis nach Tirano in der italienischen Lombardei und wieder ­zurück nach Luzern, wo Meslands kleine Karawane gestern heil ankam.

Am Abend vor der Abreise aber, um 21.30 Uhr – exakt vier Jahre nach den verhängnisvollen Sekunden, welche sein Leben für immer veränderten – sass er mit seinen Freunden beim Nachtessen. Seine wahre Grösse – 1,90 Meter – sieht man ihm im Rollstuhl nicht mehr an. Seine Lebensfreude, all das Aufbauende, hingegen schon. Für ihn wird dieser Tag immer negativ besetzt sein, gleichzeitig fühlte er aber auch Stolz. Seine ersten Ferien seither, von ihm organisiert, begleitet von so vielen Gefährten. «Es gibt so gute Menschen», sagte er. Durch den Unfall und seine anschliessende Tatkraft hat er ­zusätzliche kennen gelernt.

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