Eine Spaziergängerin fand die Leiche in einem Wald bei Oberkirch. Die junge Frau war im November 2000 mit mehreren Messerstichen getötet worden. Ihr Verlobter hatte versucht, den Verdacht auf eine andere Person zu lenken und war nach London geflohen. Dort wurde er verhaftet und an die Schweiz ausgeliefert. Wegen Mordes, Freiheitsberaubung und mehrfacher falscher Anschuldigung wurde der Marokkaner zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und für 15 Jahre des Landes verwiesen.
Der Täter befindet sich bis heute hinter Gittern. Mitte Mai wird er die ganze Strafe verbüsst haben – und dies, obwohl bereits vor mehr als sechs Jahren erstmals eine bedingte Entlassung möglich gewesen wäre. Im September 2014 hatte der Mann zwei Drittel der 20-jährigen Freiheitsstrafe abgesessen. Zu diesem Zeitpunkt kann ein verurteilter Straftäter unter Auflagen entlassen werden, das sieht das Strafgesetzbuch so vor. Auf diese Weise soll die Person wieder an ein Leben in Freiheit herangeführt werden. Dabei gilt: Die bedingte Entlassung ist die Regel und darf nur in begründeten Ausnahmefällen verweigert werden. Allerdings steht den zuständigen Behörden ein gewisser Ermessensspielraum zu. Und davon machten sie im Fall des verurteilten Mörders Gebrauch.
Bundesgericht teilt Kritik an Luzerner Urteil
Bereits im September 2017 hatte der Luzerner Vollzugs- und Bewährungsdienst ein Gesuch um bedingte Entlassung abgewiesen; Kantons- und Bundesgericht bestätigten diesen Entscheid. Im vergangenen August kam die Behörde nach der gesetzlich vorgesehenen Prüfung zum gleichen Ergebnis. Erneut wandte sich der Mann ans Bundesgericht und forderte seine Freilassung. Ohne die Unterstützung eines Anwalts erreicht er dort zumindest einen Teilerfolg, wie das am Mittwoch veröffentlichte Urteil zeigt.
Die beiden Richterinnen und der Richter teilen seine Kritik, wonach ihm vor dem Luzerner Kantonsgericht das rechtliche Gehör verweigert worden sei. Er hatte kritisiert, die Vorinstanz habe seine Beschwerde abgewiesen, ohne seinen Antrag auf unentgeltlichen Rechtsbeistand zu behandeln. Das Kantonsgericht hingegen stellt sich auf den Standpunkt, er habe gar nicht um einen Rechtsvertreter gebeten.
Stimmt nicht, urteilt das Bundesgericht. Der Verurteilte habe in seiner – in französischer Sprache verfassten – Beschwerde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er Hilfe benötige, sich aber keinen Anwalt leisten könne. Warum diese Passage nicht als Antrag auf einen unentgeltlichen Rechtsvertreter zu verstehen sei, erschliesse sich nicht.
Die obersten Richterinnen und Richter kommen zum Schluss: Die Vorinstanz habe den Antrag des Häftlings nicht behandelt und damit dessen rechtliches Gehör verletzt. «Im Übrigen hätte sie bei allfälligen Unsicherheiten und Zweifeln ihrerseits beim Beschwerdeführer zumindest nachfragen können und müssen. Auch das hat sie nicht getan.» Da der Luzerner Entscheid aus formellen Gründen bundesrechtswidrig ist, hebt das Bundesgericht das Urteil auf – ohne sich inhaltlich mit der Frage nach der bedingten Entlassung auseinanderzusetzen. Das Kantonsgericht wird sich nochmals mit dem Fall befassen müssen.
Bundesgerichtsurteil 6B_61/2021 vom 16. Februar 2021